# taz.de -- Sperrfristen im Journalismus: Die geschenkte Zeit | |
> Medienvertreter werden manchmal mit großzügigem Vorlauf informiert. Auch | |
> im digitalen Zeitalter verliert die Sperrfrist nicht ihren Reiz. | |
Bild: Einige Informationen dürfen nicht sofort publiziert werden. | |
Der Aktualitätsdruck fördert gelegentlich Absurdes zutage. So haben am | |
Sonntag die Fantastischen Vier auf der Internetseite des Kölner | |
Stadtanzeigers lesen können, sie seien von ihren Fans „frenetisch gefeiert“ | |
worden – dabei sollten sie erst 45 Minuten später auftreten. Im | |
Journalismus zählt Schnelligkeit eben oft mehr als Sorgfalt, doch es gibt | |
zumindest ein paar Instrumente, mit denen diejenigen, über die berichtet | |
wird, den Druck aus dem Kessel nehmen können: Sperrfristen zum Beispiel. | |
Ob Redemanuskripte von Politikern, Neuigkeiten aus Unternehmen, neue | |
Produkte, Studien, Bücher, Filme oder Musik: Wenn Journalisten sich bereit | |
erklären, darüber erst ab einem bestimmten Zeitpunkt zu berichten, werden | |
sie mit Vorlauf informiert – oft sind es nur ein paar Minuten, oft aber | |
auch Stunden, gelegentlich sogar Tage oder Wochen. Und dann veröffentlichen | |
– wie auf Knopfdruck – alle zeitgleich zum selben Thema. | |
„Journalisten lieben Sperrfristen“, sagt Sonja Gruber. Sie ist nahezu | |
täglich mit ihnen konfrontiert als Wirtschaftsredakteurin bei der | |
Nachrichtenagentur APA in Wien. Gerade hat sie zudem beim Reuters-Institut | |
für Journalismus in Oxford eine Studie zum Thema „News Embargoes“ | |
vorgelegt. Ihr Ergebnis: Auch im digitalen Zeitalter verliert dieses | |
Instrument nicht seinen Reiz, im Gegenteil seien die Tage für Embargos | |
„noch nicht gezählt – Journalisten freuen sich über die Zeit, die | |
Sperrfristen ihnen schenken“. | |
Gruber hat viele Geschichten zu diesem Thema zusammengetragen. So habe die | |
Statistikbehörde der EU, Eurostat, überlegt, Sperrfristen abzuschaffen. | |
„Das hat den Korrespondenten der Nachrichtenagenturen, vor allem der | |
Wirtschaftsdienste, nicht gefallen“, berichtet Gruber. Die Journalisten | |
hätten deshalb in eigener Sache lobbyiert. Mit Erfolg: Eurostat gebe | |
zumindest vorerst weiter Material mit Sperrfrist heraus. | |
## Nur selten sanktioniert | |
In Zeiten des Hochfrequenzhandels, bei dem neben Börsenmaklern aus Fleisch | |
und Blut auch Algorithmen auf die Nachrichtenlage reagieren, geht es | |
inzwischen mitunter um Sekundenbruchteile. In diesem heiklen Umfeld gibt | |
auch das US-Arbeitsministerium Neuigkeiten vorab weiter, allerdings mit | |
Vorsichtsmaßnahmen, wie Gruber berichtet: Reporter sitzen in einem „Lock-up | |
Room“ der Behörde, in dem die Verbindung zur Außenwelt gekappt ist, bis das | |
Embargo abläuft. Läuft dabei etwas schief, schreitet gar das FBI ein. | |
Dass Journalisten Embargos brechen, ist aber die große Ausnahme. „Wenn, | |
dann meist aus Versehen“, erzählt Gruber. Mal habe ein Praktikant aus purer | |
Unwissenheit einen Fehler gemacht, mal auch ein Profi vergessen, die | |
Sperrfrist im Redaktionssystem zu hinterlegen. Deshalb werde ein Bruch | |
selten sanktioniert, aber auch das kam in den vergangenen Jahrzehnten immer | |
wieder mal vor: Die Financial Times hatte etwa Daten der Weltbank zu früh | |
verbreitet und blieb daraufhin ein halbes Jahr außen vor. | |
Die US-Agentur Associated Press wiederum hatte einst seinen Reporter Edward | |
Kennedy gefeuert, weil der die Kapitulation Deutschlands und damit das Ende | |
des Zweiten Weltkriegs in Europa zu früh bekannt gegeben hatte. Die Agentur | |
entschuldigte sich erst 2012 bei Kennedy. | |
„Die Sperrfristen sind eine Art Ehrenkodex der Branche“, sagt Gruber. | |
Tatsächlich hat der Presserat hierzulande zwar vor Jahren einen Passus, der | |
das Einhalten von Sperrfristen empfahl, aus seinem Kodex gestrichen, doch | |
das Instrument funktioniert weiterhin. „Wir haben so mehr Zeit, uns mit dem | |
Material zu beschäftigen“, sagt Froben Homburger, Nachrichtenchef bei der | |
Deutschen Presseagentur. Er wirbt deshalb für Sperrfristen, nicht zuletzt, | |
weil es Zeitungen ermöglicht, am nächsten Tag im Blatt zu haben, was | |
mitunter erst kurz vor oder manchmal sogar erst nach Andruck offiziell | |
gesagt oder publiziert wird. | |
## Probleme mit digitalen Apps | |
Nun sind es aber gerade die Zeitungen, die einen Teil der Sperrfristen | |
unterwandern. Die Neujahrsansprache der Bundeskanzlerin im Fernsehen etwa | |
ging vielen Redaktionen schon am Tag vor der Ausstrahlung zu, gesperrt bis | |
Mitternacht und dabei explizit freigegeben für die Tageszeitungen des | |
Ausstrahlungstages. In den digitalen Ausgaben aber waren Angela Merkels | |
Botschaften schon früh am Abend zu lesen, in einigen Zeitungs-Apps schon | |
von 19 Uhr an. Auch die taz trägt mit ihrer frühen Digitalausgabe freilich | |
zu diesem Phänomen bei, über das zuletzt vor allem Mitarbeiter von Fernseh- | |
und Radiosendern in sozialen Netzwerken gemäkelt haben. | |
„Abendausgaben hat es auch früher schon gegeben, in München zum Beispiel | |
gedruckt an der S-Bahn“, kontert Stefan Plöchinger, Mitglied der | |
Chefredaktion der Süddeutschen Zeitung. „Jetzt ist das halt digital, aber | |
genauso toleriert, weil es sich ja formal schon um die Ausgabe des | |
Folgetags handelt.“ Gezielt einen Bericht bis zu einer Aktualisierung der | |
digitalen Ausgabe in der Nacht zurückzuhalten sei zwar möglich, aber die | |
Ausnahme. | |
Tatsächlich ruft bislang niemand „Die Sperrfrist ist gebrochen!“ und | |
schießt hinterher. „Wir sehen uns eher an, wie sich andere Agenturen | |
verhalten“, erklärt etwa dpa-Mann Homburger – und ignoriert | |
Veröffentlichungen in Zeitungs-Apps. „Wo kein Kläger, da kein Richter“, | |
sagt APA-Redakteurin und Sperrfrist-Forscherin Gruber. | |
22 Jan 2015 | |
## AUTOREN | |
Daniel Bouhs | |
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