# taz.de -- Vom Online- zum Plakat-Journalismus: Der neue Druck | |
> „Tonic“ ist ein Onlinemagazin, war mal Heft und macht jetzt Journalismus | |
> auf Plakaten. Denn diesen wollen die Macher in den öffentlichen Raum | |
> bringen. | |
Bild: „Tonic“ als Plakat: auf der Vorderseite Illustrationen, auf der Rück… | |
Fabian Stark denkt nach. Er zweifelt, nippt am Bier. In der Kneipe in | |
Berlin-Neukölln hängen zwei Plakate auf dem Gang zu den Toiletten. | |
Kraftvolle Illustrationen. Der umstrittene Autor Akif Pirinçci ist zu | |
erkennen. Auf der Rückseite ein Interview mit ihm. Einzelne Passagen sind | |
kommentiert, eingeordnet, ergänzt. Nur lesen können es die Gäste in den | |
Kindl-Stuben nicht. Es klebt ja an der Wand. | |
So ganz durchdacht hat er den Plakatjournalismus eben noch nicht. „Wie die | |
Plakate rüberkommen, wie sie genau genutzt werden, darüber haben wir uns | |
erst richtig Gedanken gemacht, als Leute sagten: Das kann ich doch nicht | |
mehr lesen, wenn ich das hinhänge!“ Fabian Stark klingt unsicher aber | |
ehrlich. Der 24-Jährige ist Chef von Tonic, einem Magazin von jungen, | |
experimentierfreudigen Menschen. | |
Die Macher haben sich 2010 kennengelernt, sie alle kamen von | |
Schülerzeitungen, die beim jährlichen Wettbewerb des Spiegel ausgezeichnet | |
wurden. Sie wollten gemeinsam den Journalismus weiterentwickeln. | |
Rumspinnen. Ein Jahr später ging [1][die Tonic-Webseite] an den Start. 2012 | |
kam das erste Heft dazu. Ohne Verlag, ohne wirtschaftlichen Druck, ohne | |
Werbung. Das feste Team besteht aus neun jungen Frauen und Männern, der | |
erweiterte Mitarbeiterstamm aus 120 Leuten, ein loses Netzwerk. Nur ein | |
paar von ihnen wollen Journalisten werden, sie alle arbeiten ehrenamtlich. | |
Als das erste Heft rauskam, galt Tonic einigen Medien als willkommene | |
Alternative zur Neon, dem Stern-Ableger für mehr oder weniger junge Leute | |
aus dem Hause Gruner+Jahr mit den immer wiederkehrenden Themen. | |
Es wurde beinahe als Revolution wahrgenommen, dass junge Menschen sich in | |
den Printjournalismus wagten. „Dabei wollten wir gar kein Zeichen für Print | |
oder gegen Online setzen. Wir fanden, dass manche Texte gedruckt besser | |
funktionieren“, sagt Stark. | |
2013 kam das zweite Heft. 94 Seiten zum Thema „Identität“: | |
Leistungssteigerung, Gleichberechtigung, Samenspende, Asylbewerber. Eine | |
junge Generation auf der Suche. | |
## 950 Euro von der Crowd | |
Auch die Tonic-Macher suchen ständig. Nach Neuem. Das zweite Heft wird | |
deshalb das letzte gewesen sein. Jetzt gibt es die Plakate. Im Herbst 2014 | |
sammelte Tonic per Crowdfunding Geld für ihre Idee, Journalismus auf | |
Plakaten in den öffentlichen Raum zu bringen. 950 Euro kamen zusammen. Das | |
erste Plakat beschäftigte sich mit dem Katzenkrimi-Autor und | |
Gender-Mainstreaming-Gegner Akif Pirinçci, das zweite mit der Ukraine, das | |
aktuelle mit Mode- und Modelwahn. Grundsolide Texte und Themen. Auffällig | |
aber vor allem wegen der starken Illustrationen. | |
Die Plakate können online bestellt werden. Von dem Geld, das per | |
Crowdfunding gesammelt wurde, wird der Druck bezahlt. Die Plakate werden | |
dann an Cafés, Bars, Kneipen verteilt. | |
Auf Geld jedenfalls ist niemand bei Tonic aus, wenn etwas reinkommt, werden | |
aufwändigere Recherchen davon bezahlt. Der Rest ist Selbstausbeutung, | |
natürlich. 20 Stunden arbeitet Fabian Stark pro Woche für Tonic. Eigentlich | |
studiert er Europäische Ethnologie, Journalist will er nicht werden. „Ich | |
setze mich gern mit Geschichten auseinander, will irritieren, gewohnte | |
Muster durchbrechen. Bei Inhalt wie bei Formaten.“ | |
## Was kommt als Nächstes? | |
Stark wirkt nachdenklich. Sein Bier ist auch nach einer Stunde noch halb | |
voll. Immer wieder kommt er auf die Metaebene zurück, spricht über | |
Dramaturgie und eigene Zweifel. Auch für seine Arbeit braucht er immer | |
wieder neuen Antrieb. Den anderen gehe es ähnlich. Auch deshalb entwickelte | |
sich Tonic weiter: vom Onlinemagazin zum Heft hin zu Plakaten. Und was | |
kommt als Nächstes? | |
Ein paar Plakate sind noch in Planung. Sie suchen neue Orte dafür. „Ideal | |
wäre es, wenn wir die an Bushaltestellen aufhängen könnten“, sagt Stark. An | |
diese gläsernen Wände. Von außen sähe man dann die Illustrationen, innen | |
könnte man sich mit den Textbeiträgen auseinandersetzen. Sie wollen neue | |
Vertriebswege finden. Vielleicht in Fernbussen. | |
Tonic will Journalismus in den öffentlichen Raum bringen. „In Zeiten von | |
Internet und Smartphone lesen junge Leute heute oft nur das, was die | |
eigenen Erwartungen erfüllt“, sagt Stark. Sie wollen dieses Muster | |
durchbrechen. | |
Anfang Januar hat sich die Tonic-Redaktion getroffen, reflektiert über die | |
Arbeit der vergangenen Monate. Sind Plakate das richtige Medium? Sind Cafés | |
und Bars wirklich öffentlicher Raum oder schon selektiv? Warum wurde das | |
Interview mit Pirinçci nicht auf Klopapier gedruckt? Soll künftig das | |
Medium auf den Inhalt abgestimmt werden? | |
## Fünf Kilometer, eine Story | |
Starks neueste Vision: die Berliner Sonnenallee zum Medium machen. Dort | |
Plakate aufhängen, auf der Länge von fünf Kilomentern, und eine Geschichte | |
fortlaufend erzählen. Er deutet nach draußen. Hinter der Scheibe der | |
Kindl-Stuben liegt die Straße, gesäumt von türkischen und arabischen Bars | |
und Cafés. Von Spätis und Bäckereien. Und – seitdem die Gentrifizierung in | |
Neukölln um sich gegriffen hat – von immer neuen mehr oder weniger hippen | |
Kneipen, in denen sich die zugezogenen Studenten treffen. Für ihn ist das | |
der ideale Ort für seine Art von Journalismus. | |
„Wir wollen politisieren, etwa durch plakative Gestaltung. Und die Menschen | |
zum Weiterdenken animieren“, sagt er. Die Grenzen zwischen Journalismus und | |
Aktivismus sind fließend. Die Tonic-Macher begreifen darum ihre Arbeit | |
nicht als Beruf, sondern als ständiges Experiment. | |
Das ist ihre Stärke. Und es gibt ihnen die Freiheit, scheitern zu dürfen. | |
15 Feb 2015 | |
## LINKS | |
[1] http://www.tonic-magazin.de/ | |
## AUTOREN | |
Paul Wrusch | |
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