# taz.de -- Jahresbilanz des TOR-Projekts beim CCC: Auftritt mit Zwiebelgeschma… | |
> Der Anonymisierungsdienst TOR hatte ein schwieriges Jahr: Infiltration | |
> mit FBI-Hintergrund, Vertrauensverlust. Nun soll alles besser werden. | |
Bild: Das TOR-Projekt will Privatsphäre im Internet sicherstellen. | |
HAMBURG taz | Wenn er das vergangene Jahr in einem Gesichtsausdruck zeigen | |
müsste, dann würde er sein Gesicht in den Händen vergraben, sagt Jacob | |
Appelbaum zur Einführung. Auf dem CCC-Kongress in Hamburg sprachen er und | |
mehrere KollegInnen zur aktuellen Lage des Anonymisierungsdienstes TOR | |
(Abkürzung für „The Onion Router“), bei dem Internetanfragen verschlüsse… | |
und so umgeleitet werden, dass für Außenstehende ihre Herkunft verborgen | |
bleibt. Und wie ist die Lage? Durchwachsen. Das kurze Fazit: TOR hat viel | |
Vertrauen verloren und ist dieses Jahr ziemlich Mainstream geworden. Es | |
gibt Grund genug, das Gesicht in den Händen zu verbergen. | |
Anfang November hatte das TOR-Projekt bekannt gegeben, dass die | |
US-Bundespolizei FBI Forscher bezahlt hatte, um Nutzer des Netzwerks zu | |
entanonymisieren. Dafür sollen eine Million Dollar geflossen sein, was | |
sowohl das FBI als auch die beschuldigte Universität, Carnegie Mellon, | |
halbgar dementierten ([1][Dementi FBI], [2][Dementi Uni]). | |
Für viele klärten sich mit dieser Offenbarung zwei Ereignisse aus dem Jahr | |
2014: Forscher der Universität hatten ihre Technik bei einer | |
Hackerkonferenz vorstellen wollen und zogen den Vortrag aber kurzfristig | |
zurück. Später wurden 17 Menschen weltweit festgenommen, die Drogen über | |
den Anonymisierungsdienst verkauft haben sollen. Diese Ereignisse hatten | |
das Projekt das Jahr über beschäftigt, und nun wurde klar, dass es gute | |
Gründe dafür gab. | |
Das TOR-Projekt selbst hatte bereits Anfang 2014 [3][die Unstimmigkeit | |
entdeckt] – vermutlich die Infiltration durch die Forscher. Es unterband | |
diese aber erst im Sommer, was dazu führte, dass nach Angaben von TOR neben | |
den Festgenommenen [4][viele andere Nutzer] den Behörden bekannt sind. Der | |
Vortrag auf dem CCC war eine die Möglichkeit, dieses Vertrauen | |
zurückzugewinnen – doch die SprecherInnen zeigten sich kleinlaut und | |
ausweichend. „Was für euch wichtig ist: Wir arbeiten daran, dass bösartige | |
Teilnehmer an unserem Netz identifiziert und ausgeschlossen werden“, sagte | |
der ehemalige Geschäftsführer Roger Dingledine. „Und in Zukunft werden wir | |
schneller handeln, wenn wir etwas verdächtiges sehen.“ | |
## Checkliste für „ethische Forschung“ | |
Diese Arbeit wurde in zwei Präsentationen auf dem CCC deutlich, bei der | |
Dingledine, Appelbaum und KollegInnen aber so selten wie möglich Bezug auf | |
den Angriff nahmen. Dingledine präsentierte eine Checkliste für „ethische | |
Forschung“ – damit Forscher nicht unschuldige Nutzer von TOR gefährden – | |
und führte mehrere statistische Tools vor, mit denen kompromittierte Teile | |
des Anonymisierungsdienstes künftig besser identifiziert werden können. | |
„Wir werden besser darin, solche Angriffe zu erkennen“, war der laue Trost | |
Dingledines. | |
Trotz des wesentlichen Rückschlags war das Jahr ein gutes für das Projekt. | |
Gemeinsam mit Facebook entwickelte TOR Abläufe um ganz normale | |
Internetwebsites schneller innerhalb des TOR-Netzes – dem Deep Web - | |
erreichbar zu machen. „Lasst uns mehr Seiten in unserem Netzwerk spiegeln“, | |
sagt Dingledine. „So werden wir Mainstream und übernehmen dann die Welt.“ | |
Die Aggregator-Seite Reddit spendete später für TOR 83.000 Dollar (76.000 | |
Euro) und eine Crowdfunding-Kampagne brachte dem Projekt 120.000 Dollar | |
(110.000 Euro) ein. Das sind zwar nur etwa 10 Prozent vom Gesamtbudget des | |
Projekts, aber immerhin ein Schritt in Richtung Unabhängigkeit von der | |
US-Regierung, die bislang den Großteil des Geldes stellte. | |
## .onion | |
Ein „wunderbarer Schritt“ war für Jacob Appelbaum zudem die Anerkennung des | |
TOR-Projekts durch mehrere Institutionen. Der UN-Sonderberichterstatter für | |
Menschenrechte erwähnte das Projekt speziell in Bezug auf die Rechte auf | |
freie Meinungsäußerung aber auch der Gedankenfreiheit. | |
„Es ist gut, daran erinnert zu werden, dass das TOR-Projekt neben der | |
Meinungsfreiheit auch andere Menschenrechte tangiert als die | |
Äußerungsfreiheit“, sagte Appelbaum. Zudem sperrte die internationale | |
Domainverwaltung ICANN die Endung .onion, weil diese bereits für Websites | |
im TOR-Netzwerk genutzt wird: „Das ist ein toller Schutz gegen Leute, die | |
versuchen könnten die Endung zu nutzen, um Menschen zu täuschen.“ | |
Beim CCC trat erstmals auch die neue TOR-Geschäftsführerin Shari Steele in | |
die Öffentlichkeit. Sie ist seit Anfang November im Amt und leitete früher | |
die Bürgerrechtsorganisation Electronic Frontier Foundation. „Sie ist | |
unsere Traumkandidatin gewesen“, stellte Appelbaum sie vor. Doch dann war | |
der Panel vorbei, die neue Chefin machte kurz Werbung für | |
TOR-Merchandising-Hemden, bevor die CCC-Ordner sich für die Veranstaltung | |
bei allen bedankten. | |
29 Dec 2015 | |
## LINKS | |
[1] http://www.wired.com/2015/11/tor-says-feds-paid-carnegie-mellon-1m-to-help-… | |
[2] http://www.wired.com/2015/11/carnegie-mellon-denies-fbi-paid-for-tor-breaki… | |
[3] https://blog.torproject.org/blog/tor-security-advisory-relay-early-traffic-… | |
[4] https://blog.torproject.org/blog/did-fbi-pay-university-attack-tor-users | |
## AUTOREN | |
Lalon Sander | |
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