# taz.de -- Daimler gegen Umweltverband: „Man droht uns mit Vernichtung“ | |
> Nach den Abgasmessungen der Deutschen Umwelthilfe droht Daimler mit einer | |
> Klage. Das sei beispiellos, sagt Umwelthilfe-Geschäftsführer Resch. | |
Bild: Was funktioniert wie bei welcher Temperatur? | |
taz: Herr Resch, ich würde mit Ihnen gern über den Abgasskandal sprechen – | |
und auch über die Rolle, die Daimler darin spielt. Oder bringe ich Sie | |
damit ins Gefängnis? | |
Jürgen Resch: Ich hoffe, nicht. Aber aufpassen muss ich schon. Wenn ich aus | |
einem Brief zitiere, den Daimler der Deutschen Umwelthilfe geschickt hat, | |
drohen mir sechs Monate Haft oder 250.000 Euro Strafe. Das steht in einer | |
einstweiligen Verfügung, die das Landgericht Berlin auf Antrag des | |
Daimler-Anwalts gegen die Deutsche Umwelthilfe erlassen hat. Weil ich diese | |
Summe nicht bezahlen könnte, liefe es auf Gefängnis hinaus. Wir ziehen | |
gegen dies Verbot vor Gericht, denn wenn der Konzern damit durchkommt, | |
würde das uns und andere Umweltverbände handlungsunfähig machen. | |
In dem Brief, um den es ging, hat Daimler gedroht, Sie auf Schadenersatz zu | |
verklagen, wenn Sie auch nur den Eindruck erwecken, [1][dass das | |
Unternehmen Abgaswerte manipuliert]. Ist Ihnen so etwas schon mal passiert? | |
Ich habe in meinen 29 Jahren bei der Deutschen Umwelthilfe viele | |
Bedrohungen aus der Industrie erlebt. Aber so einen dreisten Versuch, einen | |
Verband von seiner Arbeit abzuhalten, noch nie. Gedroht wird eindeutig mit | |
der Vernichtung unseres Verbands. Denn wenn man uns dafür haftbar machen | |
würde, dass die Mercedes-Verkaufszahlen zurückgehen oder der Aktienkurs | |
abrutscht, geht es schnell um einen Streitwert von einigen Hundert | |
Millionen Euro. Im Fall eines Prozesses müssten wir dafür mehr Geld | |
zurückstellen, als der Verband schultern kann. Wir müssten Konkurs | |
anmelden. | |
Warum, glauben Sie, reagiert das Unternehmen so extrem? | |
Es zeigt jedenfalls, dass das Haus Daimler hochgradig nervös ist. In | |
Abgastests von uns, aber auch von anderen Akteuren gab es bei | |
Mercedes-Modellen besonders starke Überschreitungen der Grenzwerte, in den | |
USA gibt es eine erste Sammelklage. Und zwischenzeitlich hat das | |
Unternehmen unseren Vorwurf bestätigt, dass es eine Abschalteinrichtung | |
verwendet. | |
Uns gegenüber hat der Konzern aber erklärt, das sei durch eine | |
Ausnahmeregelung in der EU-Richtline gedeckt: Um bei niedrigen Temperaturen | |
Schäden am Motor zu verhindern, sei eine Drosselung der Abgasreinigung | |
zulässig. | |
Das ist eine letzte juristische Verteidigungslinie, die nicht lange halten | |
wird. Die Tests, bei denen die überhöhten Werte gemessen wurden, fanden bei | |
7 bis 10 Grad statt. Ich habe mit vielen Experten aus der Branche | |
gesprochen, alle haben bestätigt: Es gibt keinen technischen Grund, warum | |
die Abgasreinigung bei solchen Temperaturen nicht funktionieren sollte. Und | |
interessanterweise halten die Export-Mercedes für die USA die Grenzwerte | |
selbst bei tiefen Minustemperaturen ein. In Europa bekommen die Kunden | |
minderwertige Technik. | |
Und was ist mit der angeführten Ausnahmeregelung? | |
Die greift hier nicht. Denn in der Richtlinie steht ganz klar, dass die | |
Abgasreinigung „in normal use“ funktionieren muss, also beim normalen | |
Gebrauch unter Bedingungen, die in Europa üblicherweise vorkommen. Die | |
gleiche Formulierung wird übrigens auch bei den Bremsen verwendet. Und die | |
darf man ja auch nicht einfach unterhalb von 10 Grad abschalten, damit die | |
Bremsbeläge länger halten. | |
Wer entscheidet denn, ob Daimler unrechtmäßig handelt? | |
Am Ende wohl die Gerichte. Wir haben beim Kraftfahrtbundesamt einen Antrag | |
auf Entzug der Typzulassung für die Mercedes-C-Klasse 220 CDi gestellt. | |
Aber diese Behörde, die dem Verkehrsministerium untersteht, hat eine lange | |
Tradition, bei Umweltverstößen nicht aktiv zu werden. Sobald wir eine | |
Ablehnung oder gar keine Entscheidung erhalten, werden wir vor dem | |
Verwaltungsgericht klagen. Die endgültige Entscheidung triff vermutlich der | |
Europäische Gerichtshof. | |
Wie reagiert denn die Politik auf Ihre Recherchen? Finden Sie wenigstens | |
dort ein offenes Ohr? | |
Ja, in vielen Ländern gibt es großes Interesse. Wir haben einen sehr engen | |
Austausch mit der US-Regierung und den kalifornischen Behörden. Kürzlich | |
hat uns Christopher Grundler, der zuständige Direktor der Umweltbehörde | |
EPA, zu einem Gespräch in die amerikanische Botschaft eingeladen. Auch mit | |
verschiedenen europäischen Regierungen und der EU-Kommission haben wir | |
einen regen Austausch über unsere Messwerte. | |
Und in Deutschland? | |
Da ist das Gegenteil der Fall. Bundesverkehrsminister Alexander Dobrindt | |
verweigert seit Oktober jedes Gespräch, und er hat auch seinen Beamten | |
untersagt, mit uns zu reden. Dabei hatten wir Hinweise von Whistleblowern | |
angeboten. Für mich ist klar: Diese Bundesregierung will weder der Umwelt | |
noch den Millionen betroffenen Autobesitzern helfen, sondern den | |
Betrugskonzernen. Sie hat kein Aufklärungsinteresse. | |
Immerhin hat Dobrindt eine Untersuchungskommission eingesetzt und eigene | |
Tests vornehmen lassen. | |
Die Kommission besteht ausgerechnet aus Vertretern jener Behörden, die | |
bisher komplett versagt haben, nämlich dem Verkehrsministerium und dem | |
Kraftfahrtbundesamt. Dazu kommt ein einziger Wissenschaftler, der aber | |
bisher im Dienst der Autoindustrie gearbeitet hat. Das ist die Fortsetzung | |
des industriell-politischen Komplexes, der den Abgasskandal erst möglich | |
gemacht hat. Und die Testergebnisse liegen nach meinen Informationen seit | |
dreieinhalb Monaten vor – und sie sind verheerend für die Industrie. Das | |
ist auch der Grund, warum die angekündigte Veröffentlichung der Daten | |
bisher nicht erfolgt ist. | |
Erleben Sie vonseiten der Politik denn Unterstützung angesichts der | |
Drohungen durch die Konzerne? | |
Nein, von der Regierung hat sich dazu niemand geäußert. Wir werden als | |
Störfaktor wahrgenommen. Man möchte am liebsten, dass es überhaupt keine | |
sonstigen Untersuchungen gibt, damit man in Ruhe, wie bisher auch, mit der | |
Autoindustrie dealen kann. | |
29 Feb 2016 | |
## LINKS | |
[1] /Abgasmessungen-bei-Daimler/!5281705/ | |
## AUTOREN | |
Malte Kreutzfeldt | |
## TAGS | |
VW-Abgas-Skandal | |
Mercedes | |
Daimler | |
Deutsche Umwelthilfe | |
Alexander Dobrindt | |
VW-Abgas-Skandal | |
Automobilindustrie | |
Daimler | |
Deutsche Umwelthilfe | |
VW-Abgas-Skandal | |
BMW | |
USA | |
Verkehr | |
VW | |
VW-Abgas-Skandal | |
## ARTIKEL ZUM THEMA | |
Ermittlungen in der VW-Abgasaffäre: Der Druck auf VW steigt | |
Im VW-Abgasskandal geht es in den USA jetzt auch um Bankbetrug und Verstöße | |
gegen Steuergesetze. In Europa brodelt es ebenfalls weiter. | |
Abgas-Manipulationen: VW fürchtete Öffentlichkeit | |
Der Konzern wollte die Aufarbeitung des Abgasskandals mit den US-Behörden | |
im Verborgenen klären. Aber die durchkreuzten diesen Plan. | |
Abgasmessungen bei Daimler: Sauberes Abgas nur im Sommer? | |
Die Abgasreinigung in Mercedes-Autos wird bei Kälte zum „Motorschutz“ | |
reduziert, sagt Daimler. Aber passiert das schon bei zu hohen Temperaturen? | |
Aufklärung des Abgasskandals: Daimler meidet die Öffentlichkeit | |
Der Autokonzern nimmt nicht an Grünen-Veranstaltung teil. Und sein Anwalt | |
zwingt die Umwelthilfe, einen Drohbrief von der Webseite zu entfernen. | |
Verkehrsministerium zum VW-Skandal: Transparent wie ein Rußfilter | |
Wer ist in der Untersuchungskommission? Welchen Kontakt gibt es zur | |
Autolobby? Alexander Dobrindt verweigert die Antwort. | |
Reaktion auf Daimler und BMW: Grüne drohen zurück | |
Der Fraktionsvize der Grünen Krischer protestiert dagegen, dass Daimler und | |
BMW nach Abgastests Druck auf Medien und Umwelthilfe ausübten. | |
Nach Abgasskandal droht Milliardenstrafe: USA verklagen VW | |
Das US-Justizministerium hat den Konzern wegen Betrugsvorwürfen und | |
Verstößen gegen Umweltgesetze verklagt. Es droht eine zweistellige | |
Milliardenstrafe. | |
Kommentar Schweigen zum Abgasskandal: Arbeitsverweigerer Dobrindt | |
Der sich ausweitende Abgasskandal könnte eine Sternstunde für einen | |
Verkehrsminister sein. Könnte. | |
Ausweitung des Abgas-Skandals: Konzerne drohen, Politik schweigt | |
Auch Mercedes und BMW könnten beim Abgastest betrogen haben. Das | |
Verkehrsministerium reagiert nicht. Daimler droht der Deutschen | |
Umwelthilfe. | |
Hohe Abgaswerte bei Autoherstellern: Erst Dreck, dann Druck | |
Fahrzeuge von Mercedes und BMW zeigen in Tests überhöhte Werte. Die | |
Hersteller bestreiten die Probleme – und bedrohen Prüfer und Medien. |