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# taz.de -- Streit um Klimaschutz: „Das Ziel ist notwendig“
> Bremen kann bis 2020 keine 40 Prozent CO2 einsparen. Über die Gründe
> streiten BUND-Chef Klaus Prietzel und der grüne Umweltsenator Joachim
> Lohse.
Bild: Schlecht für die Bremer Klimabilanz: Das Kohlekraftwerk in Farge
taz: Herr Prietzel, angesichts des Bremer Klimaberichts hat der BUND auf
Attacke geschaltet: Ein Offenbarungseid sei das. Warum so aggressiv?
Klaus Prietzel: Weil die Zahlen so dramatisch sind. Wir haben ein Ziel von
40 Prozent Einsparung im Verhältnis zu 1990. Das sollen wir 2020 erreicht
haben. Das verfehlen wir krachend – und dabei stagnieren wir auf niedrigem
Niveau. Wir haben nicht den Eindruck, dass diese Dramatik beim Senat
richtig angekommen ist.
Ist das ein richtiger Eindruck, Herr Lohse?
Joachim Lohse: Nein, der ist falsch. Richtig ist, dass wir
CO2-Minderungswerte haben, die nicht zufriedenstellend sind. Allerdings
muss man auch sagen: Schon als das Klimaschutzenergieprogramm (KEP) 2009
verabschiedet wurde, war allen klar, dass eine Lücke bleiben würde. Wir
haben schon heute praktisch sämtliche Maßnahmen, die man sich damals
vorgenommen hat, erfolgreich umgesetzt – und stellen fest, dass es trotzdem
nicht reicht. Das liegt an externen Effekten, auf die die Bremer Politik
keinen Zugriff hat.
War das Ziel zu hoch?
Lohse: Nein. Das Ziel ist notwendig. Das sagen alle Prognosen des
Weltklimarates.
Aber es ist unerreichbar?
Lohse: Es gibt im Wesentlichen zwei Gründe, warum wir es in Bremen derzeit
nicht erreichen. Der eine ist die Abfallverbrennung. Die hat sich seit 2009
in dramatischem Maße ausgeweitet – mit sehr hohem technischem Standard. Da
stellt sich die Frage, ob der Bilanzrahmen der Landesgrenzen ein sinnvoller
ist. Der zweite Punkt ist, dass alle Maßnahmen zur Steigerung der
Energieeffizienz, die die Wirtschaftsunternehmen umgesetzt haben,
vollständig überkompensiert worden sind durch das Wirtschaftswachstum.
Was könnte der Senat tun, Herr Prietzel?
Prietzel: Wir brauchen vor allem eine konsistente Strategie. Die ist im
Moment noch nicht erkennbar. Wir haben ein Paket von Einzelmaßnahmen, aber
die sind nicht eingebettet in eine Strategie.
Wozu brauchen wir die?
Prietzel: Um zu erkennen, wie weit sind wir, wo wollen wir hin, was läuft
schief – und wodurch kommen wir weiter. Selbstredend müsste der ganze Senat
einer solchen Gesamtstrategie verpflichtet sein: Wenn eine politische
Entscheidung in Bremen getroffen wird, ist notwendig, dass auch ihre
klimapolitische Relevanz angeguckt wird. Da sehen wir nicht nur den
Umweltsenator in der Pflicht. Dass solche Angaben aber selbst beim
Verkehrsentwicklungsplan fehlen, ist enttäuschend.
Lohse: Dem Verkehrsentwicklungsplan liegt die klare Strategie zugrunde, die
Klimaschutzziele zu erreichen. Wir haben durch Gutachter bestätigt
bekommen, dass wir die 40 Prozent erreichen, wenn wir umsetzen, was wir
dort als Vorhaben benennen – wenn auch erst bis 2025. Worauf wir keinen
Einfluss haben, das ist das Wachstum des Güterverkehrs und der
Kraftstoffverbrauch der Fahrzeugflotten. Das ist europäische oder nationale
Gesetzgebung. Genauso wie bei der Kohleverstromung!
Also sollte man darüber gar nicht reden?
Lohse: Doch, es ist richtig, dass man das klar adressieren muss. Diesen
Schritt haben wir weitgehend vollzogen, das wird auch Gegenstand der
Bremerhavener Konferenz sein. Die sehen wir auch ein Stück weit als
Arbeitssitzung, deren Ergebnisse in unsere Klimastrategie einfließen
sollen. Aber der Senat hat seine Hausaufgaben auf allen Feldern gemacht.
Wir erzeugen heute mehr Strom aus erneuerbaren Energien, als man damals
auch im optimistischsten Szenario für möglich gehalten hatte.
Und das schlägt sich so wenig in der Bilanz nieder?
Lohse: Der Effekt wird nur teilweise dem Land Bremen zugerechnet. Da sind
wir ein Stück weit Opfer der Bilanzierungsmethodik.
Prietzel: Wir müssen Bremen beim Energiethema im Zusammenhang mit der
Region sehen, das stimmt. Um das Ziel 100 Prozent erneuerbare Energien
ansteuern zu können, braucht man die Fläche.
Also ist da Bremen besser als die Zahlen?
Prietzel: Dass in diesem Punkt die Ziele des KEP übererfüllt werden, sollte
ein Anreiz sein, zu sagen: Jetzt erst recht!, statt uns zurückzulehnen und
die Hände in den Schoß zu legen.
Lohse: Kein Mensch hat vor, sich zurückzulehnen.
Wo sehen Sie Potenziale?
Prietzel: Da fällt mir einiges ein: Schauen Sie doch mal nur auf die
Überseestadt! Da gibt es nur ein einziges großes Solardach, auf den anderen
Dächern ist Fehlanzeige. Wir haben dort auch riesige Parkplatzflächen, wo
man durch solare Überdachung noch was machen könnte. Da ist noch gut Spiel.
Aber muss ich nicht bei der Industrie anpacken, deren CO2-Ausstoß wächst?
Prietzel: Da sehe ich vor allem die Bundespolitik in der Pflicht. Die
Umsetzung der Energieeffizienzrichtlinie hapert erheblich, da arbeitet man
seit Jahren nur mit Absichtserklärungen. Da muss mehr Druck hinter, im
Sinne von Reduktionszwang. Dafür muss sich Bremen einsetzen.
Kann Bremen das beeinflussen?
Lohse: Im Bereich der Wirtschaft muss klar mehr getan werden. Allerdings
hat der Handelskammer in den vergangenen drei Jahren ein Präses
vorgestanden, der gesagt hat: Niemand kann etwas gegen Klimaschutz haben,
aber Bremen hat wichtigere Probleme. Wie kurzsichtig das ist, erkennt
jeder, der sich die Klimafolgen-Analyse der Europäischen Zentralbank
anschaut, die vor einem lang andauernden makroökonomischen Schock für die
Weltwirtschaft warnt, sollte nicht schnellstens gegengesteuert und in
Klimaschutz investiert werden. Die Folgen des Klimawandels, mit denen wir
in Bremen zu tun bekommen, treffen uns über das globale Wirtschafts- und
Finanzsystem. Hier müssen Bremer Unternehmen mehr tun.
Und Bremen mit gutem Beispiel vorangehen ...?
Lohse: Bei den Unternehmen, auf die wir als Senat Einfluss haben, wie die
Gewoba, haben wir eine CO2-Reduktion von mehr als 50 Prozent erreicht. Von
Bremen kontrollierte Unternehmen steuern auf die Klimaneutralität zu. Wir
zeigen also, dass es möglich ist.
Einer Analyse über die Verletzlichkeit der Metropolregion zufolge ist
Bremen aber nur gering bis mittel gefährdet.
Prietzel: Das ist richtig. Die Leidtragenden auf der Welt leben in anderen
Regionen.
Lohse: In Bremens Haushaltssituation muss man doppelt und dreifach gut
begründen, warum man Geld für ein Thema ausgibt. Die Vulnerabilitätsanalyse
hat nicht geholfen, das Thema ganz oben auf die Agenda zu setzen. Der Senat
hat trotzdem viel getan, wo ich mir erwarte, dass auch bremische
Unternehmen endlich ihre Verantwortung wahrnehmen.
Herr Prietzel, bleiben Sie dabei, angesichts der Bremer Klimapolitik von
einem Offenbarungseid zu sprechen?
Prietzel: Ich muss das relativieren. Offenbarungseid heißt immer, es geht
nichts mehr – und das wäre falsch. Es geht eine Menge. Was wir brauchen,
ist nicht Resignation. Was wir brauchen, ist ein Alle-Mann-Manöver. Und
Alle-Frauen.
Bloß: Wie begeistert man Leute für Klimaschutz?
Prietzel: Wir müssen den Akzent stärker auf die Chancen legen: Die
Energiewende kann viele Verbesserungen bei der Lebensqualität bringen. Und:
Wir müssen das Bewusstsein schärfen, dass es sich um eine verdammte globale
Ungerechtigkeit handelt.
Lohse: Wenn ich Menschen aus einer gewissen Trägheit heraus motivieren
will, gibt es grundsätzlich zwei Szenarien: Entweder arbeite ich mit Angst
– oder ich liefere eine Vision für eine bessere Zukunft. Ich setze darauf,
die Begeisterung über positive Erwartungen zu wecken: Unternehmen, die über
Innovation neue Geschäftsfelder erschließen und Rendite generieren.
Menschen, die eine bessere Lebensqualität bekommen. Die bekomme ich aber
nicht, indem ich mit dem SUV durch enge Viertel-Sträßchen fahre, sondern
indem ich dort eine bessere Verweilqualität schaffe.
16 Feb 2016
## AUTOREN
Benno Schirrmeister
## TAGS
Bremen
Schwerpunkt Klimawandel
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Grüne Bremen
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