# taz.de -- Debatte Rechtsextreme Russlanddeutsche: Sex, Lügen und große Poli… | |
> Schon lange wollen organisierte Rechte Russlanddeutsche beeinflussen. Im | |
> Fall der 13-jährigen Lisa ist das jetzt im Ansatz gelungen. | |
Bild: Bei den Demos gegen Asylbewerber finden sich immer wieder auch Menschen r… | |
Als Lüge entlarvt ist nun die Story der zeitweilig verschwundenen Lisa aus | |
Berlin-Hellersdorf von ihrer Vergewaltigung durch südländisch aussehende | |
Männer. Aber missbraucht wurde die Dreizehnjährige mit doppelter | |
russisch-deutscher Staatsbürgerschaft, unter anderem als politisches Objekt | |
sensationslüsterner kremlnaher Medien und des russischen Außenministers | |
Sergei Lawrow. Der hat sich bis heute nicht dafür entschuldigt, dass er die | |
Berliner Polizei bezichtigte, den Fall zu vertuschen. Zu alledem schweigt | |
auch die Volksdeutsche Stimme. | |
So heißt eine Onlinezeitung, die den Hype um Lisa atmosphärisch mit | |
vorbereitete. Trotzdem musste man jahrelang Russisch lesen können, um die | |
relevanteren Artikel in diesem Organ zu verdauen. Herausgeber sind seit | |
2008 die „Russlanddeutschen Konservativen“, eine Unterorganisation, welche | |
die NPD gründete, um in der mit 2,5 Millionen Menschen zweitgrößten | |
Migrantengruppe der BRD Mitglieder zu werben. Auf dem braunen Kompost | |
dieser Partei sprossen ab 2008 mehrere unter Russlanddeutschen im Trüben | |
fischende Vereine – so klein, dass ihre Führer sich zwischen ihnen | |
aufspalten mussten. | |
Den gleichen ideologischen Stallgeruch trägt der von Heinrich Groth | |
geleitete „Internationale Konvent der Russlanddeutschen“. Der organisierte | |
die Demonstration zugunsten des angeblich geschändeten Mädchens am 23. | |
Januar vor dem Kanzleramt und brockte seinen Landsleuten damit eine | |
Riesenblamage ein. | |
Von Anbeginn bemühte sich die Volksdeutsche Stimme, eine Art Angstlust bei | |
der in Sachen Geschlechterrollen und Familie eher traditionell | |
eingestellten Bevölkerungsgruppe zu erzeugen. Mit Schauermärchen über | |
Sexualität und Fortpflanzung in der Bundesrepublik: Das deutsche Volk werde | |
durch „Überfremdung“ und die Homo-Ehe genetisch ausgerottet, in deutschen | |
Kindergärten würden die Kleinen systematisch „frühsexualisiert“. Topoi, … | |
heute auch russische Massenmedien verbreiten. | |
## Deutsch-russische Wesensverwandschaft | |
Die NPD-Basis fremdelte, sie empfand Russlanddeutsche noch als unliebsame | |
Ausländer. Doch die Spitze der Partei hatte in der Russischen Föderation | |
das ideale Biotop für eine universalnationalistische Morgenbräune | |
ausgemacht. Verfolgte man dort doch rechtsextreme Gewalttaten überaus | |
zögerlich, finanzierte doch die russische Regierung ab dem Jahre 2003 sogar | |
einschlägige Parteien und förderte sie propagandistisch. Mit einer These | |
von der „Wesensverwandtschaft“ des deutschen und des russischen Volkes | |
hofften die deutschen Rechtsextremen von diesem Potenzial zu profitieren. | |
Den Russlanddeutschen dachten sie dabei ganz offen eine Übersetzerrolle zu, | |
als „Brückenkopf“ in der Achse Berlin–Moskau. | |
Ohne großen Erfolg. Schon zu Zeiten des von Präsident Putin heute | |
verherrlichten ZK-Generalsekretärs Josef Stalin wurde diese Minderheit | |
kollektiv und völlig aus Luft gegriffen als „fünfte Kolonne“ denunziert, … | |
der Folge stark dezimiert und ist noch heute überempfindlich gegenüber | |
Versuchen, sie zu instrumentalisieren. | |
Als Helmut Kohl Anfang der 90er Jahre die großen Einwanderungsschübe | |
Russlanddeutscher durch seine Politik begünstigte (zeitweilig kamen über | |
200.000 Personen pro Jahr), wählten die meisten von ihnen CDU. Doch heute | |
spiegeln sie im Durchschnitt das Wahlverhalten ihrer jeweiligen Nachbarn in | |
der BRD. Die hier aufgewachsene Generation ist mehrheitlich sehr gut | |
integriert. An ultrarechten Demos beteiligten sich über Jahre nur ein paar | |
Dutzend Ältere. | |
Bis die russische Regierung es eben schaffte, im letzten Januardrittel | |
deutschlandweit 10.000 von ihnen „für unsere Lisa“ auf die Beine zu | |
bringen. Mit ihrem Propagandablasebalg hatte sie inmitten der | |
Flüchtlingskrise ein altes Gefühl der Kränkung unter den Deutschen aus den | |
postsowjetischen Ländern neu angefacht. | |
Das Recht für deutschstämmige Personen aus Osteuropa, in die Bundesrepublik | |
überzusiedeln, wurde nämlich ins Grundgesetz als Wiedergutmachtung für die | |
Leiden aufgenommen, die sie durch den von Deutschland ausgehenden Zweiten | |
Weltkrieg erlitten. Deshalb fühlten sich viele Russlanddeutsche gegenüber | |
anderen Migranten hier im Lande als etwas Besseres, doch in der Realität | |
nicht besser behandelt, ja verkannt: als Wirtschaftsmigranten. Selbst in | |
Städten mit 20 Prozent russlanddeutscher Bevölkerung ist deren Geschichte | |
in den Schulcurricula bis heute kein Gegenstand. | |
## Gefühl der Zurücksetzung | |
Sobald es den herrschenden Politikern nicht mehr opportun erschien, wurde | |
das Grundrecht eingeschränkt. Der Zahl deutschstämmiger Einwanderer aus der | |
ehemaligen Sowjetunion setzte man gesetzliche Grenzen. Und obwohl dort | |
deutsche Schulen jahrzehntelang verboten waren, verweigerte die | |
Bundesrepublik ab 2005 sogar Familienangehörigen den Nachzug, die nicht | |
bereits im Herkunftsland einen Deutschtest bestanden. | |
Angesichts der schrankenlos willkommen geheißenen Neuankömmlinge aus | |
südöstlichen Ländern im vergangenen Jahr wuchs unter den Russlanddeutschen | |
das Gefühl der Zurücksetzung. Darauf bauten die russischen Massenmedien mit | |
Legenden, in denen sie immer neue von Migranten in Europa begangene | |
Verbrechen erfanden und deren Zahl ins Maßlose hochschraubten, ebenso wie | |
übrigens die der Anschläge auf Flüchtlingsunterkünfte. Neben der Angst vor | |
den neuen „Asylanten“ wiederbelebten sie bei den Russlanddeutschen auch das | |
– allen ehemaligen SowjetbürgerInnen aus gutem Grund gemeinsame – | |
Misstrauen gegen alle staatlichen Machtorgane einschließlich der Polizei. | |
Ohne Folgen für unsere Demokratie blieb bislang das jahrelange Werben der | |
Ultrarechten um die Russlanddeutschen. Erst die Fake-Berichterstattung in | |
den der russischen Regierung hörigen TV-Kanälen trieb eine nennenswerte | |
Anzahl von ihnen auf Demos NPD-naher Organisationen wie des | |
„Internationalen Konvents der Russlanddeutschen“. Mit Lawrows Einmischung | |
hat die russische Regierung erstmals nicht nur heimlich, sondern von oben | |
auf der Seite Rechtsradikaler in Westeuropa interveniert. Sie zeigt, woher | |
der inneren Stabilität in der EU die größere Gefahr droht. | |
6 Feb 2016 | |
## AUTOREN | |
Barbara Kerneck | |
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