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# taz.de -- Virologe über Zika-Viren: „Das ist Teil der Evolution“
> Viele Faktoren können dazu führen, dass das Risiko für eine Zika-Epidemie
> steigt, erläutert der Virenexperte Thomas Mettenleiter.
Bild: Mit Insektiziden wird versucht, den Überträger der Zika-Viren zu vernic…
taz: Herr Mettenleiter, die internationale Staatengemeinschaft ist
alarmiert über den aktuellen Ausbruch des Zikavirus in Lateinamerika.
Überrascht Sie die Geschwindigkeit, mit der sich das Zikavirus derzeit
ausbreitet?
Thomas Mettenleiter: Generell ist der Verlauf einer Viruserkrankung, die
durch Stechmücken übertragen wird, unberechenbar. Das haben auch jüngste
Erfahrungen mit dem 2006 erstmals in Europa aufgetretenen Virus der
Blauzungenkrankheit der Wiederkäuer oder mit dem 2011 neu identifizierten
Schmallenberg-Virus gezeigt. Daher ist die rasante Ausbreitung des
Zikavirus nicht ungewöhnlich.
Kann man das Virus überhaupt bekämpfen? Man kann die Mücken ja schlecht am
Fliegen und Stechen hindern.
Derzeit gibt es keinen Impfstoff gegen eine Zikavirus-Infektion. Menschen
können sich nur durch Insektenschutzmittel und entsprechend bedeckende
Kleidung gegen die Stiche schützen. Durch gezielte Stechmückenbekämpfung
kann das Infektionsrisiko aber deutlich minimiert werden.
Sie beobachten und erforschen seit Jahren die Verbreitung diverser
Stechmückenarten in Deutschland, heimischer wie exotischer. Wie
wahrscheinlich ist es, dass künftig auch in Deutschland lebende Mücken das
Zikavirus übertragen werden?
Für diesen Fall müssen viele Faktoren zusammenkommen. Zunächst muss der
Erreger durch einen Reisenden, der sich in einem betroffenen Land infiziert
hat, nach Deutschland gebracht werden. Dies kommt in seltenen Fällen auch
jetzt schon vor. Die entsprechenden in Deutschland vorhandenen Stechmücken
müssen dann einen kompetenten Vektor für das Zikavirus darstellen.
Was ist ein kompetenter Vektor?
„Kompetent“ bedeutet, dass die Mücken den Erreger zunächst vermehren und
dann an andere Menschen weitergeben können.
Das können nicht alle Mückenarten?
Nein. Und deswegen besteht derzeit kein erhöhtes Risiko für eine
Zikavirus-Epidemie durch Mücken in Deutschland. Eine begrenzte
Weiterübertragung kann aber nicht ausgeschlossen werden.
Hat es solche Fälle begrenzter Weiterübertragungen von Viren, die
eigentlich gar keine Chance in Europa hatten, schon gegeben?
In Oberitalien hat ein einzelnes Eintragsereignis 2007 zu einer lokalen
Epidemie des Chikungunyavirus geführt, die glücklicherweise von selbst
wieder abgeklungen ist. Es bleibt aber von höchster Priorität, dass wir in
Kooperation mit anderen Instituten das Vektor- und Infektionsgeschehen in
Deutschland weiter intensiv beobachten. Hierzu werden aktuell auch zwei
nationale Forschungsverbünde vom Bundesministerium für Ernährung und
Landwirtschaft gefördert. Wichtig ist auch eine Meldepflicht für sogenannte
Arbovirus-Infektionen, zu denen auch die Zikavirus-Infektion gehört, die
derzeit vom Bundesministerium für Gesundheit auf den Weg gebracht wird.
Werden sich Viren, die bei uns gar nicht heimisch sind, wegen des
Klimawandels auch hierzulande stärker ausbreiten?
Überwiegend warme Sommer und milde Winter begünstigen die Ausbreitung
sogenannter exotischer Viren in gemäßigte Klimazonen, wenn sie denn durch
blutsaugende Stechmücken übertragen werden. Auch vermehrter Reise- und
Warenverkehr spielt eine bedeutende Rolle bei der Einschleppung von
Erregern und potenziellen Vektoren, also zum Beispiel der Asiatischen
Tigermücke, die buchstäblich nach Süddeutschland „gefahren“ wurde. Es gi…
dann zu beobachten, ob diese Arten stabile Populationen bilden können und
wie hoch ihre Übertragungskompetenz für den jeweiligen Erreger ist.
Vor wenigen Jahren hieß es noch, Infektionskrankheiten gehörten zu den
gelösten Problemen unserer zivilisierten Welt. Das Gegenteil ist der Fall.
Resistenzen gegen Antibiotika nehmen zu, es fehlt an Impfstoffen. Wie
konnte sich die Wissenschaft so irren?
Zu Recht haben wir die Ausrottung der Pocken im Jahr 1980 und die
Entwicklung wichtiger Impfstoffe, wie etwa gegen die Kinderlähmung, als
dramatische Erfolge gefeiert. Aber wir müssen zur Kenntnis nehmen, dass wir
Infektionen trotz guter Impfstoffe nicht umfassend verhindern können. Die
Menschheit und auch die tierischen Produkte sind mobiler geworden. Früher
haben wir von exotischen Erregern und exotischen Infektionen gesprochen.
Inzwischen warne ich vor dem Wort Exotik, weil es impliziert, dass uns das
gar nichts angeht.
Inwiefern?
Was heute exotisch ist, kann morgen vor der Haustür stehen. Da geht es um
Erreger wie die Afrikanische Schweinepest oder die Blauzungenkrankheit,
oder das Schmallenberg-Virus, von dem wir bis heute nicht wissen, wo es
herkommt. Das sind Infektionen, mit denen wir künftig deutlich mehr rechnen
müssen. Und wir haben es nicht nur zu tun mit der Ausbreitung von Erregern,
sondern auch mit der Ausbreitung von Überträgern von Erregern.
Ein Beispiel?
Die Asiatische Tigermücke hat sich mittlerweile weltweit ausgebreitet und
ist auch dabei, in Deutschland Fuß zu fassen. Sie ist ein Vektor, der sehr
viele Viren übertragen kann.
Kann man diese Asiatische Tigermücke nicht ausrotten?
Das ist nicht ausgeschlossen. Belgien und die Niederlande etwa haben die
Asiatische Tigermücke erfolgreich bekämpft. Man muss die Mücken allerdings
frühzeitig bemerken, also bevor sich die Population stabil etabliert hat.
Und dann müssen die entsprechenden Bekämpfungsmaßnahmen schnell eingeleitet
werden. Damit wir das früh bemerken, ist ein gutes Monitoring nötig. Wir
müssen einen Überblick haben, was eigentlich bei uns vorkommt. Das ist
einige Zeit lang vernachlässigt worden.
Warum?
Weil man nicht davon ausging, dass es eine so große Rolle spielen würde.
Wir wissen immer noch sehr wenig über fremde Arten bei uns, aber wir wissen
auch wenig darüber, welche Kapazitäten und Fähigkeiten unsere einheimischen
Arten haben, die fremden Erreger effizient zu übertragen. Wenn ein fremder
Erreger auf einen heimischen Überträger trifft, kann es sein, dass gar
nichts passiert, weil sie nicht zueinander passen. Es kann aber auch sein,
dass sie sehr gut zueinander passen, es aber in der Geschichte bisher bloß
nie geschafft haben, zueinander zu finden. Die Blauzungenkrankheit ist ein
gutes Beispiel hierfür. Es gab Überträger in Deutschland, die hier schon
sehr lange vorhanden waren und die sehr gut geeignet waren, den fremden
Erreger zu übertragen.
Zwei Drittel aller Infektionskrankheiten, unter denen Menschen leiden, sind
tierischen Ursprungs. Wird sich dieser Trend verstärken?
Ja. Bei den neu auftretenden Infektionskrankheiten sind sogar schon drei
Viertel tierischen Ursprungs. Das hat damit zu tun, dass die Interaktion
zwischen Tier und Mensch sehr viel intensiver geworden ist. Der Mensch
bewegt sich heute in Regionen, die früher undenkbar gewesen wären. Wenn
sich ein Tourist im Urwald einen Erreger einfängt, dann haben wir diesen
Erreger im Zweifel 24 Stunden später bei uns, weil der infizierte Tourist
da ist.
Sind die Erreger aggressiver geworden?
Man hat lange angenommen, dass sich, sobald ein Erreger ausgerottet ist,
eine ökologische Nische bildet, die dann ein anderer Erreger ausfüllt. Das
ist bei den Pocken, soweit wir das sehen, bisher nicht passiert. Und bei
der Rinderpest auch nicht. Es ist aber nicht generell auszuschließen. Wir
sehen durchaus Anpassungsmechanismen an die Überträger. Plötzlich erkennen
wir neue Überträger, von denen wir gar nicht gewusst haben, dass sie
bestimmte Erreger transportieren können.
Was sollen wir tun? Uns fürchten? Nicht mehr in den Urwald gehen?
Nein. Mit Infektionen und Infektionskrankheiten hat die Menschheit immer
gelebt – und wird sie auch immer leben. Das ist Teil der Evolution. Einige
werden wir besser in den Griff bekommen, andere werden wir ausrotten.
Insgesamt wird die Herausforderung eine globale bleiben. Wir müssen zur
Kenntnis nehmen: Da draußen im Universum ist ganz viel, was wir nicht
kennen und folglich nicht einschätzen können.
2 Feb 2016
## AUTOREN
Heike Haarhoff
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