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# taz.de -- Hamburger Kunsthaus Westwerk: Jeder ist Kurator
> Vor 30 Jahren kämpften Mieter auf der Fleetinsel dafür, dort
> Möglichkeiten zum Wohnen und Arbeiten für Kreative zu schaffen. Raus kam
> dabei das Westwerk
Bild: Ein Ort des gemeinsamen Schaffens und Wohnens: das Künstlerhaus Westwerk…
Hamburg taz | „Senat fressen Straße auf“, stand vor 30 Jahren auf einem
riesigen Transparent, das an der Fassade der Admiralitätstraße 74 hing. Als
Bonmot des Protests ging es bald durch alle Medien. 1986 wollte die Stadt
Hamburg die historischen Kontor- und Speichergebäude auf der Fleetinsel an
eine niederländische Versicherungsgesellschaft verkaufen.
Doch die damaligen Mieter – ein loses, aber energisches Kollektiv aus
Malern, Musikern, Fotografen und Filmemachern – wehrten sich. Zwei von
ihnen reisten nach Rotterdam, präsentierten dem Investor Portfolios und
Konzepte. Die Niederländer brachen ihre Verhandlungen mit der Stadt ab –
aus Respekt vor einem Haus voller Künstler.
Als Geschäftsführer der Fleetinsel GmbH & Co KG kaufte der Rechtsanwalt und
Mäzen Hans-Jochen Waitz 1989 die Häuser in der Admiralitätsstraße 71 bis 76
mit dem Ansatz, „Wohn- und Arbeitsmöglichkeiten für kreative Menschen zu
schaffen“. Er verpflichtete sich, eine kulturelle Nutzung über zehn Jahre
zu garantieren. Aus zehn Jahren sind heute 27 Jahre geworden. Das
Künstlerhaus Westwerk, eine selbstverwaltete Hausnutzung für Kultur und
künstlerische Produktion, ist einer seiner Mieter. In Hamburg ist es
legendär – und definitiv Vorreiter in Sachen Anti-Gentrifizierung.
Unter dem Motto „Solange wir hier sind“ feiert das Westwerk im Februar
jetzt sein 30-jähriges Bestehen. Ein „Festmonat“, wie es in der
Pressemitteilung heißt, „der den Blick auf 30 Jahre eigensinnige
Kulturarbeit richtet.“ Im Zentrum steht dabei die Ausstellung
„ge/Schichten:kollektiv“. Darin werden frühe Geschichte(n) des Westwerks
gezeigt, historische Zeugnisse und Gedächtnisfragmente, kaleidoskopische
Interviews und Projektionen von Fotos und Filmmaterial.
„Die Ausstellung wird die Klammer bilden, in deren Rahmen alle anderen
Veranstaltungen stattfinden“, erläutert Bühnenbildnerin und
Westwerk-Mitglied Sabine Flunker. Eine von ihnen ist das Konzert „Anriss“:
ein Live-Musikmix, der sich über das gesamte Gebäude verteilt, „ein
gigantomanisches Konzert mit mindestens 40 beteiligten Musikern, das
sicherlich vier oder fünf Stunden dauern wird“, so Flunker. Mit dabei sind
unter anderem Szenegrößen wie niedervolthoudini, Zucker, Jens Rachut,
Tobias Levin, Christian Naujoks, Heffels, Kristof Schreuf, Tornado,
Passierzettel und Carsten Dane.
Aktives Westwerk-Mitglied ist Flunker seit 1992. „Als ich hierher zog, war
es hier fast wie ein Nachkriegsgebiet“, erzählt sie. „Hier war überhaupt
nichts los. Auf dieser Insel gab es kein Café, keinen Supermarkt, kein
Restaurant, kein Kiosk, gar nichts.“ Umso stärker drängt sich – nicht nur
für Flunker – heute die Frage auf: Was wäre aus der Fleetinsel geworden,
wenn es das Westwerk nicht gegeben hätte? Was wäre aus dem Westwerk
geworden, wenn es Waitz nicht gegeben hätte? „Wenn man so zurückdenkt“,
sagt Flunker, „entsteht eine ganz eigene Verkettung.“
Das Westwerk über all die Jahre am Leben zu erhalten: ein finanzieller
Drahtseilakt. Seit 1988 wird der Kunstort immerhin mit einer zwar
überschaubaren, aber jährlichen Fördersumme – aktuell 18.000 Euro – von …
Kulturbehörde bezuschusst. Damit kann der Verein gerade seine laufenden
Kosten decken und organisiert doch unermüdlich Ausstellungen, Konzerte,
Performances und Lesungen – mindestens 30 Veranstaltungen jährlich.
Denn im Westwerk ist jedes Mitglied auch Kurator. Durch dieses Konzept
entsteht Kulturarbeit auf hohem Niveau, ehrenamtlich und engagiert. „Und
dabei gibt es seit 30 Jahren kein Geld dafür, keine Entlohnung im
eigentlichen Sinn“, sagt Fotograf André Lützen, der seit 1989 in der
Admiralitätstraße lebt.
„Außer eben, dass man dort wohnt, sein Atelier hat und Teil dieser
besonderen Wohnsituation ist.“ Natürlich wäre es schön, mehr Geld für das
Programm zu haben. Und dringend notwendig wäre es, die Technik zu erneuern
und auszubessern. „Im Grunde“, sagt Lützen, „den ganzen Standard zu sich…
und auch anzuheben.“
Aber das Wesentliche am Westwerk sei letztlich „das Konstrukt der Leute,
die hier leben“, findet Lützen: zu allen eine persönliche Verbindung zu
haben. „Ohne diese Beziehungen kann es kein Westwerk geben.“ Ob das
Engagement der Anfangsjahre im Verlauf der Jahre nachgelassen hat? Lützen
reagiert gelassen: „Unser Leben ist mit den Jahren, in denen wir dort
wohnen, natürlich komplexer geworden. Wir haben viel mehr Verpflichtungen.“
Arbeit und Familie zusammenzubringen und darüber hinaus auch für die
Vereinsarbeit noch Zeit zu finden, sei nicht einfacher geworden. „Aber wäre
ich nicht noch immer idealistisch“, sagt Lützen, „wäre ich da nicht mehr.…
Mittlerweile liegt das Altersspektrum der etwa 20 aktiven
Westwerk-Mitglieder zwischen 40 und 60 Jahren. „Wir dachten, es bleibt ein
Ort für junge Künstler,“ gestand Hans-Jochen Waitz bereits 2009 in einem
Gespräch mit der taz. Aber Sabine Flunker sieht das realistisch: „Wenn man
das Haus bewahren will, und damit die besondere Energie dieses Hauses, dann
sollte man wahrscheinlich irgendwann Jüngeren Platz machen. Oder das Modell
eines durchlässigen Mehrgenerationenhauses anstreben.“
Doch jetzt wird erst einmal gefeiert und zwar: „Solange wir noch tanzen
können“. So lautet das selbstironische Motto der Westwerk-Partynacht, die
am 20. Februar nicht nur das Jubiläumsprogramm, sondern höchst vermutlich
einen weiteren legendären Abend in der Admiralitätstraße beschließen wird.
30 Jan 2016
## AUTOREN
Katrin Ullmann
## TAGS
Hamburg
Kunstprojekt
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Bildende Künstler
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Bildende Künstler
Stadtentwicklung
Gängeviertel
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