# taz.de -- "Operation Ton": Eine Kultur-Flatrate für alle | |
> Auf dem zweitägigen Kongress "Operation Ton" in Hamburg diskutierten | |
> Rocko Schamoni, Frau Kraushaar und diverse andere Prediger über | |
> musikalische Zukunftsfragen. | |
Bild: Rocko Schamoni sprach über den Preis der Musik im Film "Dorfpunks". | |
"Kristallisationspunkte, die Situationen erzeugen", beschwören die | |
Netzaktivisten Jan Krutisch und Wolfgang Wopperer beim Musikmachen 3,0 | |
herauf. Solche Momente entstünden beim (Musikdateien-)Tauschen und beim | |
Tanzen. Etwa, wenn Krutisch einen House-Track auf die Free-Software "Sound | |
Cloud" überspielt, darüber twittert, bis sich ein Kanadier der Spuren | |
annimmt, sie remixt und wiederum auf seine MySpace-Seite hochlädt. Eine | |
Bloggerin davon Wind bekommt, postet und dadurch andere Musiker anlockt, | |
die wiederum Gesangsspuren schicken. Und schließlich würde man sich via | |
Facebook zum Konzert verabreden. | |
Konzerte waren beim zweitägigen Kongress "Operation Ton" (veranstaltet von | |
Rockcity) im Hamburger Westwerk ganz altmodisch auf Programmzettel | |
angekündigt. Am ersten Abend führte der 60-jährige Wuppertaler | |
Freejazz-Pionier Hans Reichel etwa sein selbst erfundenes | |
Exotica-Instrument Daxofon vor, ein Faustkeil mit Gitarrenbünden und | |
Kontaktmikrofonen, der mit einem Kochlöffel bedient wird. Hamburgs | |
derzeitiger Shootingstar, Frau Kraushaar bot die Songs ihres bald zu | |
kaufenden Debütalbum "Le Salon is very morbidä" im Halbplayback dar. Ihr | |
Multitasking-Mischmasch aus Expressionismus-Dancing und | |
Electropunk-Verspultheit verbreitete Euphorie. | |
Die Debatten wurden dagegen mit kühlem Kopf geführt. Copyright-Gegner wie | |
Krutisch und Wopperer verknüpften romantische Technikvorstellungen mit | |
idealistisch aufgeladenen Argumenten. Während Copyright-Verteidiger, wie | |
Rechtsanwältin Kathrin Busch darlegten, was Künstlern trotz schwindender | |
Verwertungsmöglichkeiten an zusätzlichen Einkünften zustehe. | |
"Selbst-Hersteller" könnten sich von der Gesellschaft für | |
Leistungsschutzrechte (GVL) ihre Tantiemen sichern lassen. Musiker wie der | |
Hamburger Manuel Louis, der 300 seiner Schallplatten durch Mundpropaganda | |
verkauft hat, wissen in der Regel nichts davon. | |
Tipps und Tricks waren die eine Sache, die andere bei der "Operation Ton" | |
waren "musikalische Zukunftsfragen". Krutisch/Wopperer sprachen etwa von | |
einem "New Tribalism", der industriegesellschaftliche Strukturen ablösen | |
soll: Im Schein ihrer Macbooks plädierten sie für eine neue Steinzeit, in | |
der Künstler zu Tonträgern werden und eine "Crowd Patronage" das bisherige | |
Finanzierungsmodell durch Plattenfirmen ersetzt. | |
Rocko Schamoni kennt beide Seiten des Geschäfts, Erfolg und Absturz. Seine | |
Karriere als Musiker habe er endgültig an den Nagel gehängt, nachdem er zur | |
Finanzierung seines letzten Albums mehrere tausend Euro aus eigener Tasche | |
beisteuern musste. Schamoni hat inzwischen ein Auskommen aus Schriftsteller | |
gefunden. Seine Autobiografie "Dorfpunks" ist jetzt auch verfilmt worden. | |
"Wie kommt die Musik in Dorfpunks?" war sein Vortrag zur Musik im Film | |
überschrieben. 200.000 Euro hätten allein für den Soundtrack zur Verfügung | |
gestanden: Eine Menge Geld, denkt man. Aber, Musikrechte seien teuer, sagt | |
Schamoni. "Für 200.000 kann man sich keine Sex Pistols leisten." | |
Songs von Siouxsie & the Banshees und den Stranglers hingegen schon. Das | |
Lied im Abspann hat Schamoni aus Kostengründen zusammen mit Carsten | |
"Erobique" Meyer eingespielt. Geld sei aber ein Parameter, der beim | |
Musikmachen keine Rolle spielen darf, so Schamoni. | |
Von der Krise der Musikindustrie profitieren Hardware-Hersteller und | |
Telefongesellschaften. "Marken abschaffen", forderte der Berliner Musiker | |
Ekkehard Ehlers wütend. Quatsch, sagte die Bloggerin und Journalistin Meike | |
Richter und wollte in ihrem Vortrag "Das Beta Prinzip" Internet und | |
Musikbranche miteinander versöhnen. | |
Die Zahnpasta geht nicht mehr zurück in die Tube, zitierte sie den | |
britischen Sänger Billy Bragg: Filesharing lässt sich nicht rückgängig | |
machen. Musiker sollen daher versuchen, unkopierbare Waren anzubieten. | |
Diese erklärte Richter am Beispiel der amerikanischen Band Nine Inch Nails, | |
die ganze Alben zum kostenlosen Download ins Netz stellt, zusätzlich aber | |
limitierte Boxsets und T-Shirts feilbietet. | |
Künstliche Verknappung verkaufe sich wie geschnitten Brot. Solche | |
kommerziell verwertbaren Geschäftsideen gelten allerdings nicht für | |
unbekannte "Brot-und-Butterkünstler", glaubt Richter und fordert deshalb | |
eine Kultur-Flatrate, die allen zugute kommt. | |
31 Mar 2009 | |
## AUTOREN | |
Julian Weber | |
## TAGS | |
Hamburg | |
Musik | |
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