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# taz.de -- taz-Serie Ökonomie der Flucht: Container statt Eigenheim
> Eigentlich müsste die Bau- und Immobilienwirtschaft von der Zuwanderung
> profitieren. Doch die Politik setzt zu sehr auf Provisorien.
Bild: Es gibt Leerstand, trotzdem wird Geld für Container ausgegeben.
Berlin taz | Die Suche nach neuen Mietern für die frei werdende
Sechszimmerwohnung in dem Mehrfamilienhaus in Arolsen war mühselig.
Solvente Interessenten für so ein Objekt in einem nordhessischen Städtchen?
Schwierig, sagt die Eigentümerin. Wer kann, baut selbst. Andere haben kein
Geld für eine große Wohnung. Dann löste sich das Problem von selbst: Ein
Wohlfahrtsverband mietete die Räume für eine Wohngemeinschaft junger
Flüchtlinge, die ins selbstständige Leben begleitet werden.
„Wir gehen davon aus, dass die Miete immer pünktlich gezahlt wird“, sagt
die Eigentümerin. Wie viele Menschen, die mit Flüchtlingen Geld verdienen,
möchte sie nicht namentlich genannt werden.
Nicht nur in Arolsen, auch in anderen Regionen abseits der attraktiven
Ballungszentren gibt es in Deutschland etliche freie Wohnungen. „Durch den
Zuzug der Flüchtlinge ist die Chance gestiegen, leer stehende Wohnungen zu
vermieten“, sagt Alexander Wiech vom Eigentümerverband Haus & Grund. Zahlen
hat der Verband nicht, aber festgestellt: Immer mehr Mitglieder bitten um
Unterstützung bei der Vermittlung von Kontakten zu Kommunen. Für private
Vermieter ist es besonders attraktiv, wenn eine Kommune oder wie im Fall
Arolsen ein Wohlfahrtsverband Vertragspartner ist. „Das gibt Sicherheit“,
sagt Wiech.
Flüchtlinge werden nach dem Königsteiner Schlüssel auf die Länder verteilt,
der sich nach der Einwohnerzahl und nicht nach den zur Verfügung stehenden
Wohnungen richtet. Das ist ein Problem, denn gerade in Ballungsgebieten wie
Berlin, Köln oder München haben Vermieter keine Schwierigkeiten, Wohnungen
zu belegen. Im Gegenteil.
Das führt dort zum Teil zu aberwitzigen Miethöhen. Hochkonjunktur haben
auch Abzocker, die für zu viel Geld Bruchbuden vermieten.
## Container reichen nicht
Es rächt sich, dass der soziale Wohnungsbau jahrelang nahezu brach gelegen
hat. Staat und private Investoren gingen davon aus, dass aufgrund der
Bevölkerungsentwicklung eher weniger Wohnraum nachgefragt wird. Nach
Schätzungen etwa von Kommunalverbänden werden aber bis zum Jahr 2020
jährlich 400.000 neue Wohnungen benötigt. „Davon entfallen circa 100.000
Wohneinheiten auf die unterschätzte Entwicklung bei der Zuwanderung und
circa 50.000 auf den Nachholbedarf infolge der Unterproduktion der letzten
Jahre“, sagt Hans-Hartwig Loewenstein, Präsident des Zentralverbands des
Deutschen Baugewerbes.
Im Jahr 2016 sollen laut Bauwirtschaft, 290.000 Wohnungen fertiggestellt
werden, 2015 waren es 260.000. Das wäre ein Umsatzwachstum von 5 Prozent
auf 38,4 Milliarden Euro. Ein „Dreiviertelprozentpunkt“ geht nach
Loewensteins Schätzungen auf Investitionen aufgrund des Flüchtingszuzugs
zurück. Auch der Umbau von Gebäuden werde „wieder mehr Impulse“ bekommen.
Doch das wird nicht reichen, ist Loewenstein überzeugt. „Es passiert zu
wenig“, sagt er. Zwar hat der Bund mit Blick auf die Neuangekommenen die
Mittel für den sozialen Wohnungsbau für vier Jahre auf jeweils eine
Milliarde Euro jährlich verdoppelt. Aber das hält Loewenstein für zu wenig.
Wie auch die Kommunen: Sie fordern mindestens 2 Milliarden Euro jährlich.
Bislang hat die Bauwirtschaft kaum vom Flüchtlingszuzug profitiert. Denn
bei der schnellen Errichtung von Wohnraum haben die Kommunen vor allem auf
provisorische Lösungen wie Container gesetzt, sagt Thomas Bauer, Präsident
des Hauptverbands der Deutschen Bauindustrie. Weil der Markt leergefegt
sei, kauften Kommunen diese schon in China – dabei koste der Quadratmeter
Wohnraum schon zwischen 2.000 bis 3.000 Euro. „Das sind Preise, die man im
vornehmsten Bürobau hat“, sagt Bauer. In zehn Jahren müssten die Container
verschrottet werden, von Wohnungen hätte die Gesellschaft aber Jahrzehnte
etwas. Trotzdem beginne der Neubau nur schleppend.
„Dass wir sofort loslegen, sehe ich nicht“, sagt er. Grundstücke fehlten,
und die Genehmigungsverfahren dauerten zu lange. Ob die Branche insgesamt
von den steigenden Flüchtlingszahlen profitiert, ist ungewiss. Kommunen
könnten andere Bauvorhaben etwa für öffentliche Gebäude oder Straßen erst
einmal aufschieben, weil sie nicht genug Mittel für die Versorgung von
Geflohenen vom Bund und den Ländern bekommen, fürchtet Bauer.
25 Jan 2016
## AUTOREN
Anja Krüger
## TAGS
Schwerpunkt Flucht
Flüchtlinge
Immobilien
Notunterkunft
Container
Wohnraum
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Konjunktur
Stadtplanung
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