# taz.de -- taz-Serie Ökonomie der Flucht: Flüchtlinge kurbeln Wirtschaft an | |
> Die öffentlichen Haushalte geben viele Milliarden für die Versorgung und | |
> Integration von Geflohenen aus. Das ist gut investiertes Geld, finden | |
> Ökonomen. | |
Bild: Materialschlacht: Dutzende Betten in einem Hangar des ehemaligen Flughafe… | |
BERLIN taz | Die Märkte für Feldbetten, Wohncontainer und Zelte sind | |
leergefegt. Händeringend suchen Catering-Unternehmen, die | |
Flüchtlingseinrichtungen beliefern, nach MitarbeiterInnen. Seit Jahrzehnten | |
waren die Berufsaussichten für LehrerInnen, PädagogInnen oder | |
SozialarbeiterInnen nicht so gut wie heute. | |
Viele haben etwas davon, dass Geflohene nach Deutschland kommen und | |
bleiben. Die Wirtschaft erhält durch sie einen kräftigen Schub. „Die | |
staatlichen Ausgaben für Flüchtlinge wirken wie ein Konjunkturprogramm“, | |
sagt Simon Junker, Konjunkturexperte des Deutschen Instituts für | |
Wirtschaftsforschung Berlin (DIW). Wie viel Geld die öffentlichen Haushalte | |
2016 für die Versorgung und Integration von Geflohenen ausgeben werden, ist | |
unklar – noch ist ungewiss, wie viele Menschen kommen und was sie brauchen | |
werden. | |
Die Schätzungen schwanken. Das DIW geht von Ausgaben in Höhe von bis zu 17 | |
Milliarden Euro aus, das Münchener ifo-Institut von bis zu 21 Milliarden | |
Euro. Der größte Teil davon kurbelt die Wirtschaft an oder fließt in Form | |
von Steuern an den Staat zurück. | |
Die voraussichtlichen Ausgaben für Geflohene entsprächen nach | |
DIW-Berechnungen mehr als 0,5 Prozent der bundesrepublikanischen | |
Wirtschaftsleistung. Nicht alle Mittel sorgen für Wachstum, sagt | |
Konjunkturexperte Junker. Ein Teil verpufft aufgrund von Preiserhöhungen, | |
etwas fließt ins Ausland, weil Waren etwa importiert werden oder | |
Flüchtlinge Geld an Angehörige überweisen. Schätzungsweise 0,25 | |
Prozentpunkte des deutschen Wirtschaftswachstum 2016 wird durch Flüchtlinge | |
generiert, sagt Junker. „Das ist viel.“ Für 2016 rechnet das DIW mit einem | |
Anstieg des Bruttoinlandsprodukts von 1,7 Prozent. | |
Wichtige wirtschaftliche Impulse durch die gestiegene Zahl der Geflohenen | |
sieht auch Gustav Horn, wissenschaftlicher Direktor des Instituts für | |
Makroökonomie und Konjunkturforschung (IMK) der gewerkschaftsnahen | |
Hans-Böckler- Stiftung. „Es ist positiv, dass der Staatskonsum steigt“, | |
sagt er. Durch den Bau von Wohnraum und das Einstellen von Personal etwa | |
werde die Nachfrage angekurbelt. Langfristig werde sich auszahlen, dass das | |
Thema Bildung und Integration in den Vordergrund gerückt ist. „Der Ertrag | |
ist eine gut ausgebildete Gesellschaft“, sagt Horn. | |
## Nur kurzfristige Auswirkungen? | |
Ifo-Präsident Hans-Werner Sinn hält die positiven Auswirkungen für die | |
deutsche Wirtschaft allerdings nur für eine kurzfristige Erscheinung. Sie | |
seien ein „temporärer konjunktureller Effekt vielleicht für zwei, drei | |
Jahre“. Langfristig fürchtet Sinn eine Belastung der Sozialsysteme. Er | |
glaubt, dass viele Flüchtlinge aufgrund geringer Bildung nicht in den | |
Arbeitsmarkt integriert werden können. | |
Das sieht IMK-Direktor Horn anders. Er ist davon überzeugt, dass auch | |
Geflohene mit geringer Qualifikation in den Arbeitsmarkt integriert werden | |
können. „Wir sind in dieser Frage auf einem guten Weg“, sagt er. „Aber es | |
wird noch nicht genug getan.“ Die öffentliche Hand müsse mehr Mittel für | |
die Integration bereitstellen. Finanziell übernehmen würde sich der Staat | |
damit nicht, betont Horn: „Finanzminister Schäubles Kassen sind gut | |
gefüllt.“ | |
Das liegt unter anderem am konjunkturellen Aufschwung, der auch durch | |
Geflohene angeschoben worden ist – und mit dem die Mehrwertsteuereinnahmen | |
angestiegen sind. Gerade in Branchen wie dem Transport-, dem Bau- oder dem | |
Sicherheitsgewerbe sind 2015 die Umsätze aufgrund wachsender | |
Flüchtlingszahlen stark angestiegen. | |
5 Jan 2016 | |
## AUTOREN | |
Anja Krüger | |
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