| # taz.de -- Neuer ifo-Chef Clemens Fuest: Der Nachdenkliche | |
| > Jeder kennt Hans-Werner Sinn, den Wirtschaftsprofessor mit den steilen | |
| > Thesen. Sein Nachfolger als ifo-Präsident wird Clemens Fuest. Wofür steht | |
| > er? | |
| Bild: Grinsemann: Clemens Fuest. | |
| Mannheim taz | Auftritt Clemens Fuest: Er öffnet die Tür, alle drehen sich | |
| zu ihm um. Er setzt sich zu seinen zehn StudentInnen an den U-förmigen | |
| Tisch und schweigt. Die Leitung des Seminars überlässt Fuest seinem | |
| Mitarbeiter, der neben ihm sitzt. | |
| Hier am Zentrum für Europäische Wirtschaftsforschung in Mannheim referiert | |
| gerade eine junge Französin auf Englisch, ob Staaten qualifizierte | |
| Einwanderer anlocken können, indem sie die Einkommenssteuer auf hohe | |
| Verdienste reduzieren. Die zehn Jungökonomen auf dem Weg zum | |
| Master-Abschluss – Spanier, Chinesen, Kolumbianer, Deutsche, Italiener, | |
| Portugiesen – stellen jeweils ein eigenes wissenschaftliches Papier vor, | |
| welches das Seminar dann diskutiert. | |
| Fuest gibt nicht den Chef. Auf die Krawatte hat er verzichtet. Er kommt mit | |
| offenem Hemdkragen. Darunter trägt er ein weißes T-Shirt. Er ist 48 Jahre | |
| alt, sein leicht schütteres Haar schimmert rötlich. Wenn er in die | |
| Diskussion eingreift, tut er es in einer Art lauten Denkens. | |
| Er wägt Pro- und Contra-Argumente ab. In seiner Stimme liegt ein weicher, | |
| kein schneidender Ich-weiß-alles-Ton. Dann bittet er die Studentin, einem | |
| hypothetischen Finanzminister in wenigen Sätzen zu erklären, welche Vor- | |
| und Nachteile die niedrige Einkommenssteuer hätte. Der Ökonom lehrt hier | |
| Wirtschaftswissenschaft als Politikberatung. | |
| ## Die Stimmung unter Managern | |
| Genau das ist seine eigene Rolle – und wird es künftig noch mehr. Anfang | |
| April 2016 wechselt Fuest auf den Präsidentensessel des ifo Instituts für | |
| Wirtschaftsforschung in München, den bisher Hans-Werner Sinn innehat, der | |
| Mann mit dem Kapitän-Ahab-Bart. Die Frankfurter Allgemeine Zeitung stuft | |
| Sinn als „einflussreichsten Ökonomen Deutschlands“ ein. Regelmäßig | |
| veröffentlicht das ifo Institut seinen Geschäftsklima-Index, einen | |
| Gradmesser der Stimmung unter Managern, der internationale Beachtung | |
| genießt. | |
| Fuest, Professor für Volkswirtschaft der Uni Mannheim, folgt im FAZ-Ranking | |
| für 2015 auf dem vierten Platz. Seine öffentliche Präsenz könnte aber bald | |
| noch zunehmen. Der wirtschaftspolitischen Debatte in Deutschland wird das | |
| guttun. | |
| Sinns Thesen sind oft hart, steil und überdreht. Er polarisiert. Regelmäßig | |
| gelingt es ihm, Streit anzuzetteln. Mal bezeichnet Sinn Deutschland als | |
| „Basarökonomie“ – als wirtschaftlichen Scheinriesen kurz vor dem | |
| Zusammenbruch. Mal wirft er der Europäischen Zentralbank vor, Südeuropa mit | |
| hunderten Milliarden Euro durchzufüttern. | |
| „Sinn war der Dogmatiker seiner eigenen Ideen“, sagt Gustav Horn, Direktor | |
| des gewerkschaftsnahen Instituts für Makroökonomie. Horn ruft man dann an, | |
| wenn man einen arbeitnehmerfreundlichen Standpunkt braucht. „Fuest dagegen | |
| ist kein Ideologe“, so Horn. | |
| Aber auch er kann harte Positionen vertreten. „Wenn die griechische | |
| Regierung so weitermacht“, sagte Fuest vor etwa einem Jahr im Gespräch, sei | |
| ein Austritt Griechenlands aus dem Euro „unausweichlich“. Würde ein höher… | |
| Mindestlohn für die griechischen Arbeitnehmer helfen? „Nein“, meinte Fuest. | |
| „Die Produktivität der griechischen Arbeitnehmer ist so niedrig, dass der | |
| Mindestlohn sinken musste.“ | |
| Der Professor isst gern in einem Nudel-Schnellrestaurant zu Mittag. Man | |
| sitzt hier dicht gedrängt mit Studenten auf Holzbänken und trinkt | |
| Fritz-Kola aus der Flasche. Fuest balanciert das Tablett mit den | |
| Spaghetti-Tellern heran. | |
| ## Differenziertere Argumentationen | |
| „Manchmal bin ich einer Meinung mit Sahra Wagenknecht“, sagt er, als er | |
| wieder sitzt. „Marode Banken in der Finanzkrise mit Steuergeld zu retten, | |
| ist tatsächlich problematisch, da hatte Wagenknecht recht.“ Dann fügt er | |
| hinzu: „Leider war es unausweichlich.“ Fuest argumentiert differenzierter | |
| als Sinn – und deshalb manchmal auch europafreundlicher. Als das | |
| Bundesverfassungsgericht 2012 über den neuen Europäischen | |
| Stabilitätsmechanismus verhandelt, unterstützt Fuest die Bundesregierung. | |
| Er betrachtet den gemeinsamen Fonds als notwendiges Mittel, damit Staaten | |
| wie Griechenland nicht in die ungeordnete Pleite rutschen. Sinn dagegen | |
| lehnt die ESM-Kredite ab. Er argumentiert, sie würden nur dazu führen, dass | |
| notleidende Euromitglieder noch höhere Schulden aufhäufen. | |
| Mit Fuest wird es wahrscheinlich weniger Euro-Bashing aus München geben. | |
| Seine proeuropäische Position wird auch deutlich, als er mit Kollegen im | |
| Juli 2015 das Papier „Skizze für eine europäische Fiskalunion“ | |
| veröffentlicht. Darin machen die Autoren unter anderem den Vorschlag, eine | |
| gemeinsame Arbeitslosenversicherung der Eurostaaten zu gründen. Die | |
| Arbeitnehmer der einzelnen Länder sollen Geld in einen gemeinsamen Topf | |
| einzahlen, um die Beschäftigten eines notleidenden Mitglieds im Falle eines | |
| schweren wirtschaftlichen Schocks zu unterstützen. | |
| ## Ansätze nebeneinander präsentiert | |
| Der üblichen Einteilung in ein unternehmer- und ein | |
| arbeitnehmerfreundliches Lager entzieht sich Fuest deshalb auch. „Er | |
| versteht sich als Nachdenkender“, sagt sein Kollege und Freund Johannes | |
| Becker, Wirtschaftsprofessor an der Uni Münster, „unterschiedliche Ansätze | |
| präsentiert er zunächst nebeneinander.“ Becker kennt Fuest seit 2002 und | |
| promoviert später bei ihm. | |
| „Wir haben uns als Studenten immer wieder gefragt, welche Position er | |
| eigentlich vertritt“, erinnert sich Becker. Das mag auch mit Fuests stillem | |
| Auftreten zu tun haben. Einmal wartet Student Becker mit seinen | |
| Kommilitonen im Seminarraum auf den Professor – bis man merkt, dass er | |
| schon da, jedoch nicht aufgefallen ist. | |
| Wie aber kann man Fuests Standpunkt umreißen? Christian Kastrop, Chefökonom | |
| bei der OECD, früher Mitarbeiter des Bundesfinanzministeriums, hat oft mit | |
| Fuest diskutiert. „Er ist vor allem ein Pragmatiker, der an der Lösung von | |
| wirtschafts- und finanzpolitischen Problemen interessiert ist“, sagt | |
| Kastrop. „Ein dogmatischer Marktliberaler ist er nicht. Mit ihm kann man | |
| jederzeit auch innovative sozialliberale und grüne Ideen gut diskutieren.“ | |
| ## Gesetzlicher und institutioneller Rahmen | |
| Professor Becker bezeichnet Fuest als „pragmatischen Ordoliberalen“. Das | |
| heißt: In der Tradition der Freiburger Ökonomen-Schule hält er den Markt | |
| für einen effizienten Regelungsmechanismus. Fuest betont aber, „dass der | |
| Markt auch versagen kann“. Unter anderem für solche Fälle braucht man den | |
| Staat, der einen gesetzlichen und institutionellen Rahmen setzt. | |
| Wobei das richtige Mischungsverhältnis zwischen Markt und Staat immer | |
| umstritten ist. US-Ökonomen wie Paul Krugman und Joseph Stiglitz, | |
| hierzulande Gustav Horn oder der Wirtschaftsweise Peter Bofinger, plädieren | |
| eher für stärkere öffentliche Interventionen. Fuest dagegen steht mehr auf | |
| der Marktseite: „Auch staatliche Regulierung kann zu unerwünschten | |
| Ergebnissen führen“, sagt er. | |
| Er selbst sieht sich als Vertreter der „Wohlfahrtsökonomik“, sagt Fuest, | |
| als in der Nudel-Bar der Espresso auf dem Holztisch steht. Dabei geht es | |
| darum, mit unterschiedlichen ökonomischen und politischen Instrumenten | |
| einem Zustand nahezukommen, den möglichst viele Bürger als gut betrachten. | |
| Das heißt konkret? Die zunehmend polarisierte Verteilung von Einkommen und | |
| Vermögen in Deutschland hält Fuest für „kein prioritäres Problem“. | |
| ## Menschenwürdig leben | |
| Eine stark eingreifende zusätzliche Verteilungspolitik sei nicht nötig. | |
| Allerdings: Die hiesigen Steuern auf Immobilien könnte man etwas erhöhen. | |
| „Grundsätzlich soll der Staat aber kein Ziel für die Vermögensverteilung | |
| verfolgen.“ Der Markt darf entscheiden – solange die Ärmsten der | |
| Gesellschaft menschenwürdig leben könnten, und das sei ja der Fall. | |
| Solche klaren Aussagen werden mittlerweile häufiger, sagt Professor Becker. | |
| Er interpretiert das als Folge des Erwartungsdrucks, den die Politik auf | |
| einen Berater wie Fuest ausübe. | |
| Fuest greift nach seiner Regenjacke, gleich geht das Seminar weiter. „Als | |
| Ökonom versuche ich mich von der Politik zu distanzieren“, sagt er. „Diese | |
| muss die Entscheidungen treffen.“ Er selbst versteht sich eher als | |
| Dienstleister. „Meine Aufgabe ist es, die Handlungsoptionen und | |
| Konsequenzen zu erläutern.“ | |
| 21 Feb 2016 | |
| ## AUTOREN | |
| Hannes Koch | |
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