# taz.de -- taz-Serie Ökonomie der Flucht: Die neuen Mangelfächer | |
> Tausende LehrerInnen wurden neu eingestellt, um Flüchtlinge zu | |
> unterrichten. Auch private Sprachschulen verdienen gut mit ihren Kursen. | |
Bild: Ein „Wegweiserkurs“ für afghanische Flüchtlinge in Dresden. | |
BERLIN taz | Der Schülerhilfe Andernach geht es so gut, dass Ines Weber mit | |
dem Preis runtergehen kann – zumindest bei SchülerInnen, für die der Staat | |
zahlt. Das sind bei ihr rund ein Drittel. Wie viele es genau sind, will die | |
Institutsleiterin mit Blick auf die Konkurrenz nicht verraten. Dafür gibt | |
sie preis, dass sie bei diesen SchülerInnen im Monat 15 Euro weniger | |
verlangt. „Damit können wir die Kommune etwas entlasten“, gibt sich Weber | |
altruistisch. Der Rabatt ist nicht nur gut für den Ruf – er sichert ihr | |
auch Kunden. | |
2015 hat sich ihre Schülerzahl verdoppelt. Weber musste das größte ihrer | |
drei Klassenzimmer mit einer Trennwand teilen, um genügend Platz zu haben. | |
Den Zulauf hat sie der örtlichen Realschule zu verdanken. Dort erhalten | |
derzeit 56 Flüchtlingskinder Sprachunterricht. Stellen die Lehrkräfte in | |
der Regelklasse einen zusätzlichen Förderbedarf fest, landen die Kinder bei | |
Webers Institut. | |
Die Stadt stellt der Familie ein Bildungs- und Teilhabepaket aus und | |
schickt sie zur „Schülerhilfe“, dem einzigen Nachhilfeinstitut in | |
Andernach, einer Kleinstadt bei Koblenz. Abgerechnet wird über das | |
rheinland-pfälzische Familienministerium. 7,80 Euro die Stunde zahlt das | |
Land Weber für jeden Nachhilfeschüler. | |
Private Nachhilfe- oder Sprachschulen springen ein, wenn Schulen und | |
Volkshochschulen den Bedarf nicht decken können. Oder wenn den | |
Asylsuchenden die Warterei auf den Asylbescheid lang wird. Generell dürfen | |
nur anerkannte Flüchtlinge einen Sprach- oder Integrationskurs besuchen. | |
Seit November stehen die Integrationskurse jedoch auch noch nicht | |
anerkannten Asylsuchenden aus Syrien, Irak, Iran und Eritrea offen. Und zu | |
den zusätzlichen Deutschkursen, die die Bundesagentur für Arbeit | |
eingerichtet hat, haben sich bis Januar 220.000 Asylbewerber angemeldet – | |
doppelt so viele wie angenommen. | |
## Personalmangel bei freien Trägern | |
Viele dieser Kurse werden – wie die vom Bundesamt für Migration und | |
Flüchtlinge bezahlten Integrationskurse – von privaten Sprachschulen | |
angeboten. Das Türkisch-Deutsche Zentrum (dtz) in Berlin etwa bietet | |
derzeit 86 Integrations- und 56 Flüchtlingskurse an. „Die Nachfrage ist | |
jetzt sehr hoch“, sagt Ayla Ertürk, Leiterin der dtz-Bildung & | |
Qualifizierung gGmbH. „Wir haben mindestens 40 oder 50 Prozent mehr Schüler | |
als vor einem Jahr“. Ertürk musste viele neue DozentInnen einstellen. | |
Von den Flüchtlingen profitieren letztlich vor allem die LehrerInnen. Wenn | |
auch unterschiedlich stark. Private Sprachschulen wie die dtz stellen teils | |
Studierende gegen einen Stundenlohn von 20 Euro ein. An den | |
Volkshochschulen, die bundesweit Hauptanbieter von Erstsprach- und | |
Integrationskursen sind, bekommen DozentInnen in der Regel 30 Euro. | |
Am lukrativsten ist die Bezahlung an den Schulen. Viele Lehrkräfte wechseln | |
dorthin – das sorgt für Personalmangel bei den freien Trägern und den | |
Volkshochschulen. Sprachschulleiterin Ertürk findet für die | |
Integrationskurse mit ihren hohen Stellenanforderungen kaum LehrerInnen. | |
Und der Deutsche Volkshochschul-Verband warnte bereits im November, für | |
2016 nicht genügend Lehrpersonal zu haben. Die Volkshochschulen gehen davon | |
aus, dass sich der Bedarf in diesem Jahr verdoppeln wird – auf 370.000 bis | |
400.000 KursteilnehmerInnen. Das Bamf hat bereits die Anforderungen für | |
Sprachlehrkräfte herabgesetzt. Auch ÜbersetzerInnen oder SozialpädagogInnen | |
dürfen nun unterrichten. | |
Auch an den Schulen gibt es derzeit jede Menge Einstellungen. In Bayern | |
wurden für dieses Jahr fast 1700 Stellen für Übergangs-, Deutschförder- und | |
Berufsintegrationsklassen geschaffen. In Nordrhein-Westfalen sind es im | |
vergangenen und diesem Jahr 5.766 Stellen. Zusätzlich werden 1.200 | |
LehrerInnen mit der Ausbildung „Deutsch als Zweitsprache“ angestellt. Nach | |
taz-Recherchen wurden für das laufende Schul- oder Kalenderjahr bundesweit | |
rund 10.000 neue Lehrer eingestellt. In manchen Ländern wie in | |
Niedersachsen unterrichten auch Pensionäre. | |
Soweit ist es in Andernach noch nicht. Was die Schule nicht abdeckt, | |
leistet Ines Webers Schülerhilfe. Es klingt nach einer Win-Situation für | |
alle Seiten. Die Flüchtlingskinder werden noch gezielter gefördert. Die | |
Realschule lässt das Land dafür bezahlen, dass ihre SchülerInnen schneller | |
im Unterricht mitkommen – und die „Schülerhilfe“ kann weiter wachsen. Als | |
Dank hat sie jedem Flüchtlingskind an der Realschule ein Wörterbuch in | |
seiner Herkunftssprache geschenkt. Eine ähnliche Kooperation plant | |
Institutsleiterin Ines Weber auch in Koblenz und Neuwied: „Wir sind erst am | |
Anfang“. | |
4 Feb 2016 | |
## AUTOREN | |
Ralf Pauli | |
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