# taz.de -- Unbetreute Flüchtlinge: 20 bis 30 Euro für Sex | |
> Um an etwas Geld zu kommen, sehen viele junge männliche Geflüchtete in | |
> Deutschland nur den Weg der Prostitution. | |
Bild: Hier wird Sex gegen Geld angeboten – Treffpunkt im Berliner Tiergarten | |
Berlin/Frankfurt/Main dpa | Verlegen steht Farid vor einem kleinen | |
Toilettenhäuschen am Eingang des Berliner Tiergartens. Immer wieder gehen | |
junge Männer ein und aus. Sie sehen müde aus, wirken abgekämpft. Hin und | |
wieder kommen ältere Männer dazu. Farid hingegen wirkt angespannt. Unruhig | |
blicken seine Augen hin und her, als erwarte er jemanden. | |
Der nach eigenen Angaben 21 Jahre alte Afghane verdient sein Geld im | |
Tiergarten nahe der Siegessäule mit Prostitution. Anschaffen zu gehen sei | |
für ihn die einzige Möglichkeit, Geld zu verdienen, erzählt er später. | |
Dies ist kein Einzelschicksal, wie auch der Rundfunk Berlin-Brandenburg | |
(rbb) im April berichtet hatte. Doch wie viele Flüchtlinge sich in | |
Deutschland prostituieren, weiß niemand genau. Vor allem in Berlin, | |
Frankfurt und Hamburg sind Fälle von männlichen Flüchtlingen bekannt, die | |
Sex für Geld bieten, wie eine Umfrage der Deutschen Presse-Agentur ergab. | |
Die Berliner Hilfsorganisation „Moabit hilft!“ weiß von etwa 20 bis 25 | |
jungen Afghanen, Iranern, Irakern und Syrern, die allein im Tiergarten seit | |
Anfang vergangenen Jahres Geld mit Prostitution verdienen. Diese | |
Flüchtlinge seien ausschließlich Männer, sagt die Vorsitzende von „Moabit | |
hilft!“, Diana Henniges. In Hamburg seien „ein paar Fälle“ bekannt, sagt | |
ein Sprecher von Sozialsenatorin Melanie Leonhard. Insgesamt sei es aber | |
„kein großes Thema“. | |
## Der Lohn geht oft für Drogen drauf | |
In Frankfurt hat die Kriseninterventionsstelle für Stricher (KISS), eine | |
Einrichtung der Aids-Hilfe, Kontakt zu etwa 20 Flüchtlingen, die Sex für | |
Geld bieten. „Die Zahl ist aber höher“, sagt Beraterin Karin Fink, die seit | |
mehr als 25 Jahren in der Szene arbeitet. Wie hoch, ist unklar. Denn: „Der | |
Beziehungsaufbau mit den Flüchtlingen dauert“, sagt die Pädagogin, | |
Sexologin und Traumafachberaterin. Schon wegen der Sprache. Zu den | |
Dolmetschern sei ein „riesiges Vertrauen notwendig, dass das Gesagte auch | |
rüberkommt und nicht kulturelle normative Vorstellungen mit transportiert | |
werden“. | |
Mit zehn Jahren hat Farid, der seinen richtigen Namen nicht nennen möchte, | |
sein Heimatland Afghanistan verlassen. Zu Fuß ging es erst in den Iran und | |
von da aus vor zwei Jahren weiter nach Deutschland. Sein Asylverfahren | |
laufe, er warte auf die Anerkennung als Flüchtling. Ob seine Familie noch | |
lebt, wisse er nicht. | |
20 bis 30 Euro bekomme er für Sex, sagt Farid. Von dem Geld kaufe er sich | |
Heroin. „Ich brauche das für meinen Kopf.“ Diesen Satz wiederholt er immer | |
wieder. Seine Klientel? „Das sind fast alles ältere Männer, die herkommen.�… | |
Während des Gesprächs mit dem 21-Jährigen kommen immer wieder junge Männer | |
hinzu. Helfern zufolge sind keine Minderjährigen dabei. Reden wollen sie | |
nicht. Ihre Familien sollen nicht wissen, was sie hier im Tiergarten tun. | |
Die meisten stammen aus Afghanistan, dem Iran oder Irak. Sie alle | |
prostituieren sich hier, sagt ein älterer Iraner, nimmt sich selbst aber | |
aus. Vier bis fünf davon sind HIV-positiv. | |
## Sobald sie 18 Jahre alt sind, fehlt die Betreung | |
Die Zahl ist nach Angaben von „Moabit hilft!“ relativ konstant. Während des | |
Asylverfahrens hätten sie keinen Zugang zu Sprach- und Integrationskursen. | |
„Minderjährige, allein eingereiste Flüchtlinge werden noch betreut. Aber | |
sobald sie erwachsen werden, stehen sie ohne Betreuung da“, sagt die | |
Vorsitzende Diane Henniges. | |
Manche der männlichen Prostituierten böten schon für fünf oder zehn Euro | |
sexuelle Dienste an, berichtet Fink aus Frankfurt. „Es geht ums blanke | |
Überleben.“ Viele schickten einen Teil des Geldes nach Hause zu ihren | |
Familien, andere hätten wie Farid Drogenprobleme oder seien spielsüchtig. | |
Rund 600 bis 800 Männer gehen nach Einschätzung von Fink in Frankfurt | |
anschaffen – übers Internet vermittelte Prostituierte und Callboys nicht | |
mitgerechnet. Vom Jugendlichen bis zum 40-Jährigen böten Männer ihre | |
Dienste an. „Die Szene wird wieder jünger.“ Vor 25 Jahren seien drei | |
Viertel der männlichen Prostituierten Deutsche gewesen, inzwischen liege | |
der Anteil der Migranten bei gut 90 Prozent. Viele von ihnen stammten aus | |
Osteuropa. | |
Jakob Pastötter, Präsident der Deutschen Gesellschaft für | |
Sozialwissenschaftliche Sexualforschung, hält diese Schätzung auch in | |
anderen Großstädten für realistisch. Die Männer könnten so einfach relativ | |
schnell und unproblematisch Geld verdienen. Ralf Rötten vom Berliner Verein | |
„Hilfe für Jungs“ stimmt zu: „Es ist eine der wenigen Möglichkeiten, wie | |
man ohne Sprachkenntnisse und Arbeitserlaubnis an Geld kommt.“ | |
## Einige waren schon in Afghanistan „Tanzjungen“ | |
Von einigen wisse er, dass sie bereits in Afghanistan als „Tanzjunge“ tätig | |
waren, sagt Rötten, der Geschäftsführer des Hilfsvereins ist. Unter der | |
Bezeichnung versteckt sich eine langgehegte Tradition: Beim „Bacha bazi“, | |
übersetzt das „Knabenspiel“, halten sich wohlhabende Männer afghanische | |
Jungen zum erotischen Zeitvertreib. | |
Von Sprach-, Beratungs- und Beschäftigungsangeboten für Flüchtlinge weiß | |
Farid nichts. „Ich warte auf Post“, sagt er – und meint damit den Bescheid | |
vom Bundesamt für Migration und Flüchtlinge über seinen Asylantrag. Für den | |
21-Jährigen ist sicher, ein Zurück nach Afghanistan gibt es nicht. „Dort | |
sterbe ich. Da ist Al-Kaida.“ Farid macht mit den Fingern eine Pistole, | |
hält sie sich an die Brust und drückt ab. | |
Farid würde gerne mit den Drogen und der Sexarbeit aufhören, wie er sagt. | |
Beim Arzt sei er schon gewesen. Der habe ihn jedoch wieder weggeschickt und | |
gesagt, er solle ein andermal wiederkommen. Heroin habe er in Afghanistan | |
nie genommen. Sein größter Wunsch derzeit: „Das Zeug soll jemand rausholen | |
aus meinem Körper.“ | |
22 May 2017 | |
## AUTOREN | |
Anna Kristina Bückmann | |
Ira Schaible | |
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