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# taz.de -- Nationalität in der Berichterstattung: Ende der Zurückhaltung
> Seit den Ereignissen in der Kölner Silvesternacht steht der Pressekodex
> zur Disposition. Forderungen werden laut, die Herkunft von Straftätern zu
> nennen.
Bild: Welche Nationalität haben eigentlich die Panzerknacker?
Der Bundesinnenminister sprach das Machtwort. Nach den Übergriffen der
Silvesternacht in Köln hatte die Polizei mit widersprüchlichen und falschen
Informationen für starke Irritationen gesorgt. Deshalb forderte Thomas de
Maizère Anfang Januar in einem Interview mit der FAZ die Polizeibehörden
und die Medien dazu auf, künftig immer die Herkunft von Straftätern zu
benennen. Auch ob diese Flüchtlinge seien oder nicht, solle man erfahren.
Alles andere „wäre Wasser auf die Mühlen all derjenigen, die Politik und
Medien bewusste Verzerrung vorwerfen“, so de Maizère.
Die CDU hat diese Haltung jetzt in mehreren Bundesländern übernommen. Dem
Druck von Pegida nachgeben, indem man sich deren Forderungen zu eigen
macht? Diese Strategie stößt nicht überall auf Begeisterung. Denn der
Pressekodex, an den sich viele Medien freiwillig halten, empfiehlt, mit der
Nennung der Nationalität zurückhaltend umzugehen. Zu beachten sei, „dass
die Erwähnung Vorurteile gegen Minderheiten schüren“ könnte, heißt es dor…
Man erinnert sich an die NS-Zeit, als die Medien von oben angewiesen
wurden, bei jüdischen Straftätern stets deren Herkunft zu nennen.
Nun ist die Polizei nicht an den Pressekodex gebunden. Und bei
Fahndungsaufrufen ist es geboten, auf äußerliche Merkmale wie die Hautfarbe
hinzuweisen, um die Suche nach Verdächtigen zu erleichtern. Aber mit der
Frage, ob sie die Herkunft oder Nationalität von Verdächtigen in ihren
Polizeiberichten erwähnen, gehen die Behörden in den einzelnen
Bundesländern höchst unterschiedlich um.
In Berlin, Baden-Württemberg oder Nordrhein-Westfalen erwähnen sie diese
nur, wenn sie für das Verständnis des Sachverhalts wichtig erscheint. Auch
in den Berufsverbänden wird diese Frage kontrovers diskutiert. Während der
Polizeigewerkschaftler Rainer Wendt kritisiert, dass sich Beamte in ihren
Berichten an „eine politische Erwartungshaltung“ hielten, verteidigt sein
Kollege André Schulz vom Bund Deutscher Kriminalbeamter einen sensiblen
Umgang mit dem Thema.
## Verzerrte Realität
Eine Rolle spielt dabei auch, dass Medien sehr selektiv über Kriminalität
berichten. Das gemeinnützige Recherchebüro „correctiv.org“ hat in einer
2015 veröffentlichten Österreich-Studie heraus gefunden, dass sich 80 bis
90 Prozent der Kriminalitätsberichterstattung in den Medien auf
Pressemitteilungen der Polizei stützt. Die verzerrt jedoch die Realität.
So berichtet die Polizei in Wien auffällig oft und gerne über
Handtaschenräuber und Drogenkriminalität. Auch Überfälle auf Juweliere,
Banken oder Taxifahrer werden häufig im Polizeibericht aufgeführt. Über
Vergewaltigungen und rassistische Gewalt findet sich dagegen praktisch nie
etwas. Beliebt sind Straftaten im öffentlichen Raum, bei denen die Polizei
ihre Handlungsfähigkeit demonstrieren kann. Bei diffuser Gewalt, die aus
der Mitte der Gesellschaft oder dem privaten Umfeld kommt, ist das weniger
der Fall.
Hinzu kommt: Oft sind es Journalisten, die mehr Details über die Herkunft
von Tätern und Verdächtigen wissen wollen. Viele Redaktionen machen auch
die Erfahrungen, dass es Proteste aus der Leserschaft gibt, wenn auf diese
Angaben verzichtet wird. Der Vorwurf der „Entmündigung“, der
„Schönfärberei“ und die Rede vom „Schweigekartell“ ist auch unter
Journalisten verbreitet.
Der Spiegel-Kolumnist Jan Fleischhauer ätzt über „Nanny-Journalismus“. Und
die Bild-Chefredakteurin Tanit Koch deutete kürzlich in einem Kommentar an,
aus den Vorgaben des Pressekodex spreche ein „Generalverdacht gegen die
deutsche Bevölkerung“. Diese könne sehr wohl zwischen den kriminellen Taten
Einzelner und der rechtschaffenen Mehrheit der Einwanderer und Flüchtlinge
unterscheiden.
## Ganz große Koalition
Wirklich? Nach der Berichterstattung über die Silvesternacht sind da
Zweifel angebracht. Nicht wenige Journalisten versuchten, sexuelle
Übergriffe, Diebstähle und versuchten Vergewaltigungen auf eine angebliche
Mentalität arabischer Männer insgesamt oder gleich auf ihre vermutete
Religionszugehörigkeit zurück zu führen. Eine ganz große Koalition aus
Emma, Cicero und Bild-Zeitung erging sich in hysterischer Empörung über
eine angebliche falsche „Toleranz“ und „Selbstzensur“ vieler Kollegen, …
mit ihren Pauschalurteilen über ganze Bevölkerungsgruppen nicht so schnell
zur Stelle waren.
Vor diesem massiven Druck sind auch manch seriöse Medien eingeknickt und
dazu übergegangen, in jedem Fall die Nationalität von Verdächtigen zu
nennen. Mehrere Regionalzeitungen sahen sich genötigt, ihren Lesern zu
erklären, warum sie am Pressekodex festhalten wollen. Bei den
öffentlich-rechtlichen Anstalten betont man zwar, dass sich „die
journalistischen und presse-ethischen Kriterien“ durch die Silvesternacht
in Köln „nicht geändert“ hätten, so ZDF-Pressesprecher Thomas Hagedorn.
Doch in manchen Redaktionen ist ein regelrechter Dammbruch zu beobachten.
Der Presserat tagt das nächste Mal im Frühjahr, um über die
Berichterstattung über die Kölner Silvesternacht zu befinden. Dort liegen
inzwischen 25 Beschwerden vor – allein zehn beziehen sich auf das
umstrittene Focus-Titelbild mit den schwarzen Handabdrücken auf einer
nackten weißen Frau.
## Zeichen der Zeit
„Der Pressekodex verbietet es nicht per se, die Herkunft von Straftätern zu
nennen. Es muss ein Sachbezug zur Tat vorliegen, dann kann die Nationalität
genannt werden"“, sagt dessen Referentin Edda Eick. Die Auslegung der
Richtlinie sei „nicht unumstritten, auch beim Presserat selbst.“
Problematisch werde es aber, „wenn ein Generalverdacht gegen eine
Minderheit geschürt wird“, betont Eick.
Die Grenze dürfte bei einigen Beiträgen nur schwer zu ziehen sein. Und
neuerdings hat der Presserat ein neues Problem: Ihn erreichen immer mehr
Beschwerden darüber, dass in manchen Berichten die Herkunft von Straftätern
angeblich „verschwiegen“ worden sei. Ein Zeichen der Zeit.
22 Jan 2016
## AUTOREN
Daniel Bax
## TAGS
Schwerpunkt Rassismus
Medien
Köln
Pressekodex
Sächsische Zeitung
Rechtspopulismus
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