# taz.de -- Sozialpädagoge über Razzia: „Ein ganzes Viertel wird stigmatisi… | |
> Der Sozialpädagoge Samy Charchira kritisiert die Razzia in Düsseldorfs | |
> „Maghreb-Viertel“. Er beklagt einen Generalverdacht gegen Nordafrikaner. | |
Bild: Die Polizei kontrollierte in Düsseldorf rund 300 Personen und nahm 40 vo… | |
taz: Herr Charchira, die Polizei hat am Wochenende in Düsseldorf eine | |
Razzia durchgeführt und nach eigenen Angaben [1][mehr als 290 | |
„Nordafrikaner“ überprüft]. Nach welchen Kriterien ging sie dabei vor? | |
Samy Charchira: Jeder, der irgendwie maghrebinisch aussah, wurde | |
kontrolliert, völlig unterschiedslos. Auch 55-jährige und 60-jährige | |
Männer, die in irgendeinem maghrebinischen Café saßen, mussten sich ihre | |
Fingerabdrücke abnehmen lassen. Das ist entwürdigend, und wir kritisieren | |
das. | |
## Ging es der Polizei darum, nach dem Debakel in der Silvesternacht in | |
Köln Handlungsfähigkeit zu demonstrieren? | |
Der Verdacht liegt nahe. Die ersten Berichte über die Razzia standen schon | |
zehn Minuten nach Beginn der Aktion online. Das zeigt, wie eng da mit der | |
Presse zusammen gearbeitet wurde. Es ging darum, eine Botschaft zu senden. | |
Leider ist das auf dem Rücken der Gemeinde geschehen. | |
## Muss man das nicht in Kauf nehmen nach dem Motto: wo gehobelt wird, da | |
fallen Späne? | |
Ich begrüße, dass die Polizei mehr Präsenz zeigt und dass es mehr | |
Kontrollen gibt. Aber wir leben in einem Rechtsstaat, der garantiert, dass | |
unbescholten bleibt, wer sich nichts zu Schulden hat kommen lassen. Durch | |
diese Aktion wird dagegen das ganze Viertel stigmatisiert. Man zerstört | |
damit eine Menge Vertrauen, das in den letzten Jahren mühsam aufgebaut | |
wurde. Außerdem ist das Wasser auf die Mühlen der Rechtspopulisten, die | |
jetzt alle Nordafrikaner unter Generalverdacht stellen. | |
## Was müsste passieren? | |
Es braucht gezieltere und klügere Maßnahmen als solche medienwirksamen | |
Aktionen. Statt eine überschaubare und klar unterscheidbare Gruppe ins | |
Visier zu nehmen, ist man mit dem Bulldozer durch das Viertel gegangen. | |
Dabei haben wir ein konkretes Täterprofil: Die Gruppe, über die die ganze | |
Republik seit Wochen redet, besteht aus jungen Männern, zwischen 17 bis 32 | |
Jahre, die auf der Straße herumlungern und Diebstähle begehen. Die Polizei | |
ermittelt seit zwei Jahren in diesem Milieu - sie müsste diese Klientel | |
eigentlich besser kennen und keine Großrazzia brauchen, um sie dingfest zu | |
machen. | |
## Einige der Festgenommenen sollen schon wieder auf freiem Fuß sein. Wie | |
kann das sein? | |
Das zeigt, dass man mit rein polizeilichen Maßnahmen nicht weit kommt. Von | |
der 40 Menschen, die festgenommen wurden, sollen sich 38 illegal im Lande | |
aufhalten. Das deckt sich mit unseren Beobachtungen, dass die meisten von | |
ihnen aus dem europäischen Ausland nach Düsseldorf gekommen sind. Jeder im | |
Viertel kennt diese Gruppe, sie sind leicht zu erkennen. | |
## Wie sollte man mit ihnen umgehen? | |
Es braucht hier ein Zusammenspiel von rechtlichen und sozialen Maßnahmen | |
sowie der Jugendhilfe. Ein großer Teil von denen stiehlt zur reinen | |
Existenzsicherung. Es kann doch nicht sein, dass diese jungen Menschen | |
stehlen, um sich ihr Mittagessen zu finanzieren?! Wir müssen eine | |
vernünftige soziale Versorgung sicher stellen, dann würden auch die | |
Diebstähle zurück gehen. Wir müssen uns das Problem näher anschauen, um es | |
in den Griff zu kriegen. | |
## [2][Das Viertel leidet schon länger unter dieser Kriminalität.] Einige | |
Anwohner hatten deshalb eine Unterschriftenaktion gestartet. Und jetzt? | |
Unsere Gemeinde sieht sich als fester Bestandteil der Stadtgesellschaft von | |
Düsseldorf, sie partizipiert an Runden Tischen und Projekten der Stadt, des | |
Landes und staatlicher Institutionen. Aber jetzt ist die Gemeinde ist im | |
Aufruhr, sie fühlt sich in Sippenhaft genommen. Es gibt welche, die wollen | |
Infostände aufstellen, andere wollen demonstrieren. | |
## Die Bundesregierung [3][will die Straftäter schneller abschieben] und | |
macht Druck auf Algerien und Marokko, [4][ihre Staatsbürger wieder | |
aufzunehmen]. Bringt das etwas? | |
Da bin ich mir nicht so sicher. Rücknahmeabkommen mit diesen Ländern gibt | |
es ja schon lange. Das Problem ist nicht, dass Marokko oder Algerien diese | |
Leute nicht zurück nehmen will. Das Problem ist, dass sich die Identität | |
dieser Leute in vielen Fällen nicht fest stellen lässt. Und kein Land würde | |
Straftäter aufnehmen, von denen es nicht weiß, ob es überhaupt seine | |
Staatsbürger sind - auch Deutschland nicht. | |
19 Jan 2016 | |
## LINKS | |
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## AUTOREN | |
Daniel Bax | |
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