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# taz.de -- Düsseldorfer Migrantenviertel: Heimat der Macho-Gangster
> Razzia im Migrantenviertel hinter dem Düsseldorfer Bahnhof: Aus Sicht der
> Polizei und der Bewohner ist es zur Problemzone geworden.
Bild: Unter Beobachtung: Polizeirazzia hinter dem Düsseldorfer Hauptbahnhof i…
Düsseldorf taz | Im Restaurant zum Schiffchen am Düsseldorfer Hauptbahnhof
lässt sich ein paar Tage vor der großen Razzia das Räuber-und-Gendarm-Spiel
in der Bahnhofspassage durch die große Glasfassade beim Altbier beobachten:
Gruppen von Bundespolizei und bewaffneten Polizisten auf der einen,
Kleingruppen von „Schwarzköpfen“, so nennt sie die junge Kellnerin, auf der
anderen Seite. Wenn man Glück hat, werden zwei oder drei meist junge Männer
dezent abgeführt. Männer in Jeans, schwarzem Anorak, die Baseballmütze tief
ins Gesicht gezogen. Gangster-Outfit, dunkle Haare. Das wandelnde Stereotyp
vom bedrohlichen arabischen Macho, wie es nach den Übergriffen der
Silvesternacht in Köln durch die Medien ging, hier scheint es sich zu
bestätigen.
Es geht um 2.244 Verdächtige, die meisten aus Nordafrika, viele davon aus
Marokko. Fast nur Männer, meist unter 30 Jahre alt. „Die Täter kennen sich,
verbringen gemeinsam ihre Freizeit und ziehen in verabredeten Gruppen auf
Beutezug. Fakt ist, dass sich aus dieser Gruppe immer wieder Einzelne
zusammenfinden, um Straftaten zu begehen“, sagt der Sprecher der
Düsseldorfer Polizei, Markus Niesczery.
Darunter seien junge Männer, die in zweiter Generation in Deutschland
lebten, aber auch gerade erst angekommene Asylbewerber. Rings um den
Bahnhof gebe es ein soziales und wirtschaftliches Zentrum von Leuten, die
aus dem nordafrikanischen Raum kommen. Dort seien Kleinkriminelle, Hehler,
Vermittler untergeschlüpft.
4.392 Diebstähle im Stadtgebiet von Düsseldorf sollen die letzten
anderthalb Jahre auf das Konto dieser Täter gehen. Handy gestohlen,
Brieftasche entwendet, Schmuck entrissen. Die Methode: der Antanztrick.
Alter und Herkunft der Täter ähneln sich.
Das Schaufenster der Trinkhalle vor der Bahnhofsunterführung zu Beginn des
„Rückzugsraums für Taschendiebe“, wie Ermittler das Viertel rund um die
Ellerstraße bezeichnen, ist schwarz-rot-golden gesäumt. Ein letzter
territorialer Selbstbehauptungswille? Davor stehen Gruppen von Obdachlosen.
Auf der anderen Seite der Unterführung liegt das sogenannten
Maghrebviertel. Es regnet. Die Ellerstraße ist leer. Marokkanische
Möbelläden, Friseursalon Paris, Kaftanmoden, Änderungsschneideren,
Bäckereien mit marokkanischen Süßigkeiten, Cafés, Shisha-Bars – ein
Einwandererviertel, marokkanisch geprägt.
Düsseldorf hat die zweitgrößte marokkanische Community in Deutschland. „Der
Anteil der Menschen, die aus dem Maghreb stammen, liegt in den städtischen
Sozialräumen Mintropplatz, Am Bahndamm und Oberbilk nordwestlich der
Kruppstraße zwischen 3,9 und 6,8 Prozent.
In absoluten Zahlen sind dies in Oberbilk 412 von 8.921 Bewohnern, Am
Bahndamm 127 von 1.865 Bewohnern und um den Mintropplatz herum 222 von
5.667 Bewohnern“, teilt die Stadtverwaltung Düsseldorf mit. Eine kleine
Gemeinde. Nordrhein-Westfalen ist seit den 1960er Jahren das Hauptziel von
Einwanderern aus Nordafrika. Damals wurden sie als Gastarbeiter für die
Autoindustrie und den Bergbau der Region angeworben. Sie sind hier
integriert.
## Vielleicht ein Stück Heimat
Die Lage der neu angekommenen Jugendlichen ist völlig anders. Das Viertel
ist für sie ein Anknüpfungspunkt, vielleicht ein Stück Heimat. Die Zahl der
Neuankömmlinge aus Marokko steigt. Allein im Dezember 2015 sind nach
Angaben des Bundesamts für Migration und Flüchtlinge 2.300 Algerier und
3.000 Marokkaner nach Deutschland gekommen. Noch im August waren es weniger
als 1.500 Algerier und Marokkaner. Im ganzen Jahr 2014 haben weniger als
4.000 Menschen aus beiden Ländern in Deutschland Asyl beantragt.
Nun kommen sie mit der Flüchtlingswelle über die Türkei, die kein Visum für
arabische Länder verlangt. Sie kommen aus Italien oder Spanien, wo sie eine
Zeit lang gelebt haben. Die schlechte wirtschaftliche Lage dort lässt sie
in den Norden ziehen. Deutschland gilt als attraktiv.
Den Buchladen von Abderrahim Khouja in der Ellerstraße gibt es seit 2005.
Hier findet man neben Erziehungstipps für muslimische Eltern in westlichen
Gesellschaften und religiösen Schriften, Djellabas, Musik, Henna, bunte
Lederpantoffeln. „Ja, es kommen inzwischen sehr viele junge Marokkaner über
die Türkei hierher“, bestätigt der grauhaarige Khouja. „Auch ein Neffe von
mir kam. Ich habe ihm klargemacht, dass er so keine Zukunft hier hat. Bei
mir konnte er nicht wohnen, oder soll er sich mit meiner Tochter ein Zimmer
teilen?“
Viele junge Marokkaner glaubten immer noch, Deutschland sei das Paradies,
weil die Gastarbeiter der ersten Generation damals im Mercedes zurückkamen.
„Und dann schlafen sie unter Brücken.“ Die Leute im Viertel würden unter
den Neuzugängen leiden: „Meiner Frau wurde hier vor Kurzem die Handtasche
beim Einkaufen gestohlen.“
## Das Thema ist aufgeladen
Die Söhne der hier friedlich lebenden Marokkaner geraten unter
Kollektivverdacht. Spricht man mit den Händlern im Viertel, betonen fast
alle, wie gern sie in Deutschland leben, wie sehr sie die Übergriffe von
Köln verurteilen. Die meisten fordern die Ausweisung der Täter. Der Friseur
im Salon Maghreb Star findet, dass ohnehin viel zu viele Fremde kommen.
Kaum einer der Gesprächspartner will seinen Namen nennen. Zu aufgeladen ist
das Thema, zu heikel, zu politisch.
Der Blaue Bock gegenüber dem Buchladen ist eine der wenigen verbliebenen
deutschen Kneipen. Sie heißt so, weil der Showmaster Heinz Schenk in den
1960er Jahren einmal persönlich hier war. Karneval hat angefangen, bunte
Girlanden baumeln von der Decke. „Diese Männergruppen gehen den hiesigen
Obst- und Süßigkeitenverkäufern mächtig auf die Nerven, wenn sie den
Eingang zum Geschäft verstellen“, sagt ein Stammgast. „Ja, die werden doch
jeden Morgen aus anderen Städten im Kleinbus hier hergebracht, um zu
stehlen“, sagt ein anderer.
Saida Quanssaida mag die Ellerstraße. „Das ist ein buntes, lebendiges
Viertel. Ich gehe dort gern einkaufen“, sagt sie. Die junge Marokkanerin
hat in Deutschland studiert, spricht fließend Arabisch, Französisch,
Deutsch und arbeitet in der Migrationsberatung der Arbeiterwohlfahrt (AWO)
für Erwachsene in der Liststraße.
## Keine Chance auf Asyl
Die zierliche, selbstbewusste Quanssaida ist eine engagierte
Sympathieträgerin. „Bei den Maghrebinern sind es hauptsächlich junge
Männer, die hier herkommen. Aber aus Spanien und Italien kommen auch
Frauen“, sagt sie. „Wir hatten auf der Ellerstraße eine Aktion, wir wollten
die jungen Menschen dort erreichen. Einige hatten eine
Aufenthaltserlaubnis, andere hatten keinen anerkannten Status.“
Probleme machten junge Leute, darunter viele Marokkaner. „Sie haben keine
Chance auf Asyl und geben sich als Syrer aus. Sie können kein Deutsch,
wissen nicht wohin“, sagt Quanssaida. Deshalb ziehe es sie in die großen
Städte. Hier fänden sie zumindest Menschen, die die gleiche Sprache
sprechen. Die Frage sei: „Was können wir tun, damit sie nicht auf der
schiefen Bahn landen, ins kleinkriminelle Milieu abrutschen, sondern hier
Fuß fassen?
Quanssaida erzählt: Ein 27jähriger Marokkaner kam und weinte. Er wollte
unbedingt zurück. „Ich habe alles versucht. Er war Hotelfachmann in
Marokko. Hier ist er auf die schiefe Bahn geraten.“ Saida versuchte Papiere
über die marokkanische Botschaft zu bekommen. Doch der junge Mann kam nie
wieder in die Beratungsstelle.
## Viele Marokkaner sind illegal hier
Aziz Ejjiar kennt die Szene seit Jahren. Er wurde 1951 in Marrakesch
geboren und arbeitet seit 1979 als Sozialarbeiter bei der AWO Düsseldorf in
der Jugendgerichtshilfe für ausländische Jugendliche. „Ein großer Teil der
Marokkaner ist illegal hier. Es sind junge Leute ohne Perspektive, viele
aus einem bildungsfernen Milieu, aus armen Verhältnissen. Die
Arbeitslosigkeit in Marokko ist groß.“ Er kenne keinen einzigen Asylantrag
eines Marokkaners, der positiv beschieden wurde. Deshalb würden viele erst
gar keinen Asylantrag stellen. „So bekommen sie keinerlei Unterstützung,
keine Arbeitsstelle. Kleinkriminalität ist für diese jungen Männer die
Möglichkeit zu überleben. Andere flüchten aus Asylantenheimen und kommen
nach Düsseldorf, weil sie es nicht aushalten, irgendwo in der Provinz
Däumchen zu drehen.“
Viele hätten keinen festen Wohnsitz, dafür mehrere Identitäten. Oft seien
sie drogenabhängig. „Und wenn sie beim Stehlen erwischt werden, kommen sie
vielleicht vier Wochen in U-Haft. Dann wieder raus.“ Nur wenn die
Ausländerbehörde informiert würde, kämen sie möglicherweise in
Abschiebehaft. „Doch auch so ein Prozess ist langwierig. Auch endgültig
abgelehnte Asylbewerber können oft nicht abgeschoben werden, weil die
marokkanische Botschaft nicht gerade kooperativ ist beim Ausstellen von
Ersatzpässen.“
Ejjiar kennt Marokkaner, die sieben verschiedene Identitäten haben, die
seit elf Jahren illegal hier sind: „Sie leben in leerstehenden Wohnungen,
übernachten in Kellern. Am Abend sind sie dann unterwegs. In der Altstadt,
am Bahnhof, am Flughafen, in Spielhallen und Bars. Abzocken ist ihr Ding.
Notfalls auch mit Gewalt. Aber sexualisierte Übergriffe auf Frauen waren
vor Köln nie auffällig.“
17 Jan 2016
## AUTOREN
Edith Kresta
## TAGS
Migration
Kriminalität
Schwerpunkt Flucht
Düsseldorf
Köln
Sexualisierte Gewalt
Flüchtlingspolitik
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Polizei
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