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# taz.de -- Medien über Kriminalität in NRW: Das konstruierte Staatsgeheimnis
> Die „Welt“ behauptet, Politiker würden Straftaten von Nordafrikanern
> vorsätzlich verheimlichen. Klingt unglaublich? Stimmt auch nicht.
Bild: Taschendiebstahl: „Welt“ und „Focus“ sehen die große Verschwöru…
Berlin taz | Es klingt nach einem handfesten Skandal. „Kriminelle
Nordafrikaner, ein lang gehütetes Staatsgeheimnis“, betitelt die Welt
[1][auf ihrer Homepage] einen Artikel. Jahrelang hätten Polizei und
Politiker über das Problem mit gewalttätigen Migranten aus Nordafrika
geschwiegen. Es gebe in Nordrhein-Westfalen eine „Schweigekultur mit
Tradition“, schreibt Till-Reimer Stoldt weiter in seinem Text.
Sein Hauptindiz ist das Protokoll einer Sitzung des Innenausschusses des
NRW-Landtages von Oktober 2014. „Damals sprach der Ausschuss ein einziges
Mal breit über die Problemgruppe junger Nordafrikaner – aber wie über ein
Staatsgeheimnis“, schreibt Stoldt. Innenpolitiker von CDU, FDP und Grünen
seien übereingekommen, dass es in NRW tatsächlich eine gefährliche Gruppe
nordafrikanischer Asylbewerber gebe, die exzessiv trinke, Bürger angreife,
Geschäfte ausraube. Der CDU-Politiker Werner Lohn habe zum Beispiel
entsprechendes aus dem beschaulichen Wickede berichtet, einer
12.000-Seelen-Gemeinde am Rande des Sauerlandes.
Dann aber hätten fast alle Ausschussmitglieder befunden, hierdurch könnte
„Angst“ vor Flüchtlingen geschürt werden und „die öffentliche Wahrnehm…
kippen“. Die Konsequenz laut Welt: „Man wurde sich offenbar
parteiübergreifend einig“, das „Nordafrikanerproblem“ nicht publik zu
machen.
Der Focus spitzt die Geschichte aus der Welt [2][auf seiner Homepage] noch
ein wenig zu. „NRW-Politiker wussten schon 2014 von kriminellen
Nordafrikaner-Banden“. Aber die „Öffentlichkeit wurde nicht gewarnt“.
## Angebliches Schweigekartell
Das klingt wie bei den „Lügenpresse“-Kritikern, die sich über das
angebliche Schweigekartell aus Politik, Polizei und Presse mokieren. Umso
schlimmer ist, dass die Vorwürfe des Welt-Autors nicht stimmen.
Denn wenn es sich um ein „Staatsgeheimnis“ gehandelt hat, wieso war die
Kriminalität von „Nordafrikanern“ im Herbst 2014 Thema in den Medien, wie
man binnen Minuten per einfacher Google-Suche herausfinden kann?
So berichtete der Kölner Stadtanzeiger im Januar 2014 über die seit Monaten
steigende Zahl von Diebstählen in der Domstadt. Bereits im Jahr 2013 sei
die Zahl diesbezüglicher Anzeigen um 20 Prozent gestiegen, [3][heißt es in
dem Text] unter Berufung auf eine offizielle Statistik. Und dann klar und
deutlich: Vor allem Täter, die aus nordafrikanischen Staaten eingereist
sind, machen der Polizei seit einigen Monaten zu schaffen.
Selbst aus dem „beschaulichen Wickede“ (Welt) gab es Berichte, wenn auch
eher in der Lokalpresse, in denen das Problem angesprochen wird. „Als
schwieriges Klientel seien alleinreisende junge Männer aus Nordafrika
bekannt“, hieß es etwa im April 2014 auf [4][derwesten.de].
Und im Herbst 2014, wenige Tage vor der Innenausschusssitzung, brachte die
Nachrichtenagentur dpa ein Feature über die „Hauptstadt der Taschendiebe“
Düsseldorf, das zum Beispiel von der [5][Aachener Zeitung] übernommen
wurde. Darin wird nicht nur dezidiert der jetzt viel diskutierte
Antanz-Trick beschrieben, sondern auch der Täterkreis benannt: „Viele
Taschen- und Gepäckdiebe“, sagt laut Text der leitende Ermittler der
Polizei, „kommen dabei entweder aus Nordafrika oder aus Südosteuropa.“
## Explizite Medienberichte
Solche Berichte blieben nicht folgenlos. Die CDU stellte für genau die von
der Welt herausgegriffene Innenausschuss-Sitzung den Antrag „Neues
Kriminalitätsphänomen erfassen und konsequent gegen so genannte ‚Antänzer�…
vorgehen!“ ([6][Direktlink zum .pdf]).
Dabei bezog sie sich explizit auf Zeitungstexte aus der FAZ und der
[7][Kölnischen Rundschau]. Letztere schreibt, dass sich die Polizei seit
2011 mit der Masche befasse. Kaum eine größere Stadt in Deutschland, die
nicht mit dem Problem zu kämpfen habe. Und auch hier werden die Tätergruppe
benannt: „Die Angreifer stammen laut Polizei aus Nordafrika.“
Folglich wussten nicht nur NRW-Politiker von dem Problem, sondern jeder,
der Zeitung lesen konnte.
In der Ausschusssitzung wurde dann tatsächlich Tacheles über die steigende
Kriminalität durch Menschen aus dem Maghreb geredet. Monika Düker (Grüne)
betonte, man solle jetzt nicht so tun, als sei alles in Ordnung. Der
FDP-Politiker Joachim Stamp meinte, man müsse über Repressionen nachdenken.
Innenminister Ralf Jäger (SPD) gab zu, dass er keine Lösung aus dem Ärmel
schütteln könne, aber „dieser Probleme müssen wir uns auch annehmen.“ Und
Wolfgang Lohn (CDU), der das Thema Kriminalität durch Nordafrikaner
angesprochen hatte, forderte „möglichst große Offenheit, Transparenz und
Information vor Ort“, damit die große Hilfsbereitschaft der Menschen
aufrechterhalten bleibe.
All das kann man ohne weiteres im Internet nachlesen. Denn auch das
Wortprotokoll der Sitzung, bei der angeblich ein Staatsgeheimnis vereinbart
wurde, steht für jeden einsehbar auf der Homepage des NRW-Landtages
([8][Direktlink zum .pdf], spannend wird es ab Seite 76).
## Offenes Geheimnis
Wer jetzt immer noch glaubt, in NRW sei im Oktober 2014 verabredet worden,
aus dem Problem ein Geheimnis zu machen, muss in die
Kriminalitätsstatistiken des Landes schauen. Sowohl im Bericht für [9][das
Jahr 2013], der vor der Innenauschschusssitzung veröffentlicht wurde, als
auch im Bericht für [10][das Jahr 2014], der später erschien, heißt es im
Abschnitt „Taschendiebstähle“ übereinstimmend: „Eine auffällige Entwic…
zeigt der Anteil von Tatverdächtigen aus den Maghreb-Staaten.“ Demnach
stieg die Zahl der verdächtigen Marokkaner von 40 im Jahr 2011 auf 238 im
Jahr 2013 und 471 im Jahr 2014.
So weit die Faktenlage.
Aber „Staatsgeheimnis“ klickt sich natürlich besser. Vor allem in
rechtspopulistischen Kreisen wird der Welt-Artikel schon kräftig geteilt.
18 Jan 2016
## LINKS
[1] http://www.welt.de/politik/deutschland/article151089556/Kriminelle-Nordafri…
[2] http://www.focus.de/politik/deutschland/oeffentlichkeit-wurde-nicht-gewarnt…
[3] http://www.ksta.de/koeln/-bandenkriminalitaet-hosentasche-aufgeschlitzt--ha…
[4] http://www.derwesten.de/staedte/menden/auf-flucht-getrennt-in-wimbern-wiede…
[5] http://www.aachener-zeitung.de/lokales/region/in-der-hauptstadt-der-taschen…
[6] https://www.landtag.nrw.de/portal/WWW/dokumentenarchiv/Dokument?typ=P&I…
[7] http://www.rundschau-online.de/koeln/-antaenzer--ermittler-von-trickdieben-…
[8] https://www.landtag.nrw.de/portal/WWW/dokumentenarchiv/Dokument/MMA16-690.p…
[9] https://www.polizei.nrw.de/media/Dokumente/Behoerden/LKA/140307_KRIM-Entwic…
[10] https://www.polizei.nrw.de/media/Dokumente/150313_Jahrbuch_2014_Hauptteil.…
## AUTOREN
Gereon Asmuth
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