| # taz.de -- Indigene Malerei in Hamburg: Bunte Kunst, extrem geheimnisvoll | |
| > Das Hamburger Ehepaar Schmidt betreibt eine auf Aborigine-Kunst | |
| > spezialisierte Galerie. Den spirituellen Gehalt der abstrakten Bilder | |
| > werden sie nie erfahren | |
| Bild: „Bush Medicine“ heißt das Gemälde, das bei Ehepaar Schmidt in der W… | |
| Hamburg taz | Sie will nicht länger Flora heißen. Sie möchte ihren echten | |
| Namen wissen, und deshalb ist sie aufgebrochen. Flora, eins von 20 | |
| storchenbeinigen Mädchen, ist auf dem Weg zurück zu ihrem Clan. Diese Reise | |
| ist verzweifelt weit, und die Aborigine-Malerin Nyree Ngari Reynolds, | |
| bildet genau das ab: die späte Wurzelsuche jener Aborigines, die die | |
| australische Regierung in den 1940er-Jahren aus den Familien wegnahm, um | |
| sie von weißen Siedlern erziehen zu lassen. Sie ungefragt zu assimilieren. | |
| Bis Ende der 1960er-Jahre hat es gedauert, bis die australische Regierung | |
| ihren Fehler gegenüber der „gestohlenen Generation“ einräumte, geraubte | |
| Kinder und konfisziertes Land zurückgab. Doch viele Aborigines leiden noch | |
| unter den alten Traumata. Therapeutische Hilfe ist rar, und so ist es | |
| folgerichtig, dass auch die Kunst verarbeiten hilft. | |
| Nyree Ngari Reynolds‘ „No longer Flora“-Gemälde ist Teil der | |
| Aborigine-Kunst-Sammlung des Hamburgers Dieter Schmidt, und auch wenn | |
| Politik nicht in deren Zentrum steht, ist sie doch wichtige Randnotiz. Denn | |
| der pensionierte Textilkaufmann und seine Frau Lilian wissen sehr genau um | |
| diese brutalen Entführungen und deren Folgen. Die Mutter einer befreundeten | |
| Künstlerin ist dabei zu Tode gekommen, und diese Geschichte ist so | |
| schrecklich, dass sie sie nicht erzählen wollen. Wird da etwas verdrängt, | |
| oder wahrt man diskret ein Geheimnis? Vermutlich ein bisschen von beidem, | |
| sonst könnten sie sich an den Bildern nicht mehr freuen. | |
| Zur Kunst gekommen sind die Schmidts durch Zufall: Auf einer privaten | |
| Australienreise haben sie Gloria Tamerre Petyarres Gemälde „Bush Medicine“ | |
| gesehen, ein expressionistisches Feuerwerk in Rot, Braun und Orange. „Es | |
| war ein Bauchgefühl. Wir haben das gesehen und mussten es haben“, sagt | |
| Lilian Schmidt, deren Bluse das Orange des Bildes aufnimmt. Solche Sommer- | |
| und Herbstfarben gefallen den beiden. Sie erden. | |
| 5.000 Euro haben die Schmidts dem Chef des Aboriginal Art and Culture | |
| Centers von Perth damals gezahlt, „Ich konnte überhaupt nicht beurteilen, | |
| was das wert ist und habe nur gesagt, ich will einen fairen Preis zahlen“, | |
| erinnert sich Schmidt. „Denn das ist hohe Kunst.“ Die auch etwas mit | |
| Schmidts Metier, mit Bekleidung zu tun hat, denn anfangs haben die | |
| Aborigine ihre Muster für Rituale auf ihre Körper gemalt. Und wenn Schmidt | |
| heute gelegentlich – in Absprache mit den Künstlern – Stoffe daraus macht, | |
| ist das eine Fortsetzung des Geschehens auf dekorativer Ebene. | |
| Doch dieser vermeintlich leichte Zugang täuscht. Dies ist keine naive | |
| Malerei. Aborigines haben vielmehr Schöpfungsmythen, Geschichten über Liebe | |
| und Tod, über Wanderungen der Ahnen durch die Wüste gemalt. „Dreamings“ | |
| nennen die Aborigines diese Inhalte, die für europäisch-dualistisches | |
| Denken schwer fassbar sind. Denn ein Dreaming ist vergangen und gegenwärtig | |
| zugleich, bedeutet die Vermittlung alten Wissens samt Aktualisierung. | |
| Da kann etwa der alte Weg zur Wasserstelle neben einem modernen | |
| „Milchstraßentraum“ und einem „Bergteufeltraum“ hängen. Gleich daneben | |
| Sandhügel und Eidechsenschuppen, vom Konkreten ins Abstrakte kippend; es | |
| geht um die Durchdringung von Idee und Materie. Landschaft wird meist von | |
| oben gemalt, Tiere von innen – im um 5.000 v. Chr. erfundenen „Röntgenstil… | |
| mit korrekt platzierten inneren Organen. Künstlerische Autorenschaft ist | |
| dabei die des Clans und geschützt durch strenges Copyright: Jeder Clan hat | |
| ein unantastbar exklusives Farb- und Formrepertoire. | |
| „An diesem Tabu wäre die moderne Aborigine-Kunst fast gescheitert“, erzäh… | |
| Schmidt. „Als der Kunstlehrer Geoffrey Bardon 1971 Aborigines-Kinder zum | |
| Malen animieren wollte, bekam er – weiße Blätter.“ Der Grund: Die Kinder | |
| waren nicht befugt, zu malen. Aber die Eltern durften, und als Bardon das | |
| begriff, brach ein bis heute währendes Feuerwerk an Kreativität los. Zu | |
| Hunderten versammeln sich Aborigines inzwischen in besagten Art Centers und | |
| malen, was das Zeug hält. „Immer summend, immer lachend, immer auf dem | |
| Boden hockend“, sagt Schmidt. „Staffeleien gibt es nicht.“ | |
| Wofür die über das ganze Land verstreuten Art Center gut sind? Die | |
| Aborigines selbst haben diese Kooperativen gegründet, um ihre Kunst zu | |
| vermarkten und ihren Lebensunterhalt zu sichern. Es funktioniert: | |
| Inzwischen existieren in Australien Hunderte auf Aborigine-Kunst | |
| spezialisierte Galerien und bedienen einen Milliardenmarkt. Damit die | |
| Dollars nicht an den Künstlern vorbeifließen, sind die meisten Galeristen | |
| Mitglied des „Indigenous Art Code“. Er garantiert, dass die Kunst unter | |
| ethisch einwandfreien Bedingungen entsteht und angemessen bezahlt wird. | |
| Auch Dieter Schmidt ist der Organisation beigetreten, „schließlich will ich | |
| nicht davon profitieren, dass Aborigines den Wert ihrer Kunst schwer | |
| einschätzen können“. „Natürlich ist nicht alles, was da quasi am Fließb… | |
| hergestellt wird, qualitativ hochwertig“, sagt Schmidt, „aber sehr vieles.�… | |
| Und für seine Sammlung, inzwischen 160 Bilder stark, verlässt er sich auch | |
| auf das Urteil des Art Center Direktors. | |
| Soweit es überhaupt nötig ist, denn ob ein Bild Spannung hat, spüren die | |
| Schmidts selbst. Auch, dass Formen und Farben Symbole sind, von denen sie | |
| nur die Oberfläche sehen. Und ja, er habe versucht zu verstehen, sagt | |
| Dieter Schmidt. „Darunter liegt eine Story, das Dreaming“, sagt er. „Aber | |
| um die spirituelle Botschaft zu begreifen, muss man sehr viel lesen.“ | |
| Und die Künstler? Ja, sicher habe man die gefragt. „Aber einerseits ist da | |
| das Sprachproblem“, sagt er. Denn viele Aborigines sprächen kein Englisch. | |
| „Und auch wenn man sich versteht, erzählen sie nicht viel.“ Das ist wohl | |
| kein Zufall, denn ein Geheimnis, das der Ex-Kolonisator nicht kennt, kann | |
| er einem auch nicht austreiben oder verunstalten. | |
| Und doch passen diese verschwiegenen Bilder gut in die fast ein bisschen zu | |
| eleganten, dunkelbraun getäfelten Räume von Schmidts Roots Gallery, eine | |
| von bundesweit drei auf Aborigine-Kunst spezialisierten Galerien. Sie liegt | |
| im wohlhabenden Hamburger Stadtteil Winterhude gleich gegenüber der | |
| Privatwohnung der Schmidts, wo das riesige „Bush Medicine“-Bild das ganze | |
| Wohnzimmer samt China-Mobiliar farblich übersprüht. | |
| Wie gut das in der Roots Gallery verkaufsmäßig funktioniert, sagt Dieter | |
| Schmidt nicht so genau. „Wir betreiben das als Hobby, und wenn wir etwas | |
| verkaufen, freuen wir uns“, sagt er und lächelt. Aber viele fänden, „dass | |
| so ein Bild gut übers Sofa passt“, sagt Lilian Schmidt. „Die fragen nicht | |
| groß nach den Geschichten dahinter.“ | |
| Das klingt nun wieder sehr kolonialistisch – aber vielleicht ist dieser | |
| vereinnahmende Zugang der erste Schritt zum ernst Nehmen dieser Kunst, die | |
| manchen immer noch als Folklore gilt. Auf der Kunstmesse Art Cologne zum | |
| Beispiel durfte nur zweimal Aborigine-Art gezeigt werden und seither nie | |
| mehr. „Und das, obwohl längst wissenschaftlich belegt ist, dass es sich um | |
| zeitgenössische Kunst handelt“, sagt Schmidt leicht gereizt. | |
| Auch die Affordable Art Fair in Hamburg habe Aborigine-Kunst bislang stets | |
| abgelehnt. „Ich bin sicher, das lag an der Art der Kunst“, sagt Schmidt, | |
| der bis zur Rente günstig in Asien produzierte Kleidung nach Europa | |
| verkaufte, und es bei dieser Andeutung belässt. | |
| Aber wenn er so weiter macht mit seiner Wut über die Missachtung indigener | |
| Kunst, könnte er zum späten Kämpfer wider der Arroganz des | |
| eurozentristischen Kunstbetriebs werden. Im Privaten hat er diesen | |
| Paradigmenwechsel schon vollzogen: Für die monumentale Aborigine-Kunst in | |
| seiner Wohnung hat er die ererbten abendländischen 19. Jahrhundert-Schinken | |
| abgehängt und verkauft. | |
| 12 Jan 2016 | |
| ## AUTOREN | |
| Petra Schellen | |
| ## TAGS | |
| Kunst | |
| Aborigines | |
| Hamburg | |
| Kunstsammler | |
| Aborigines | |
| Schwerpunkt Nationalsozialismus | |
| Kunstmarkt | |
| James Joyce | |
| Humboldt Forum | |
| Reiseland Norwegen | |
| ## ARTIKEL ZUM THEMA | |
| Debatte über Aborigines in Australien: Rassismus verkauft sich nicht | |
| Eine australische Tageszeitung vergrault mit einem Cartoon wichtige Leser | |
| und zahlende Kunden. Der Karikaturist sieht sich im Recht. | |
| Bremer Mahnmal für „Arisierungs“-Profite: Vom Crowdfunding zum offenen Wet… | |
| Die taz sucht Ideen und Entwürfe für ein „Arisierungs“-Denkmal an der | |
| Weser. Auf dem Gelände will auch die Firma Kühne+Nagel bauen, die einst | |
| jüdischen Besitz „verwertete“. | |
| Der Kunstmarkt ist besser als sein Ruf: Mehr Spielraum für gute Kunst | |
| Ein Kunstmarkt? Nein, viele Märkte sind es, die Kunst an unterschiedlichste | |
| private und öffentliche Sammler vermitteln. | |
| Experimentelles Hörspiel: Die Lust an der Abschweifung | |
| „Tristram Shandy“ gilt als Vorläufer der experimentellen Literatur. Und als | |
| nicht vertonbar. Der Bayerische Rundfunk hat es trotzdem gewagt. | |
| Pläne für Humboldt-Forum in Berlin: Die Welt der Anderen | |
| Ein Weltstadt-Berlin-Museum ist das falsche museale und politische Signal. | |
| Besser wäre ein Konzept, welches das kulturelle Welterbe ausstellt und | |
| diskutiert. | |
| Farbtupfer in langer Winternacht: Heringsschwärme am Himmel | |
| Wenn das Polarlicht über den Winterhimmel der Lofoten wabert, ist der Maler | |
| Christian-Ivar Hammerbeck glücklich. |