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# taz.de -- Farbtupfer in langer Winternacht: Heringsschwärme am Himmel
> Wenn das Polarlicht über den Winterhimmel der Lofoten wabert, ist der
> Maler Christian-Ivar Hammerbeck glücklich.
Bild: Sommer-Mitternacht am Hafen
Der Himmel über Svolvaer glüht rot, grün und blau. Christian-Ivar
Hammerbeck steht in seinen dicken Parka gehüllt am Hafenbecken und genießt
das Farbenspiel: „Wahnsinn - so schön wie heute war es schon lange nicht
mehr“, schwärmt er über das Polarlicht, das über den nordischen
Winterhimmel wabert.
Dieses Naturschauspiel hat Hammerbeck schon hunderte Male gesehen. Der
gebürtige Hamburger ist Maler und lebt seit mehr als zwanzig Jahren auf der
norwegischen Inselgruppe der Lofoten. Das Nordlicht ist für ihn immer
wieder eine Quelle der Inspiration - und ein Motiv für seine Malerei. Schon
früh hat der ehemalige Waldorfschüler seine Vorliebe für das Malen mit
Wasserfarben entdeckt - und die sind das ideale Medium für Nordlichtmaler
wie Hammerbeck: Denn wie das Licht am Himmel zerfließt die Farbe auf dem
Papier.
Nie gleicht ein Nordlicht dem anderen. Mal begnügt es sich bescheiden mit
einer Ecke des Himmels, dann wieder nimmt es fordernd das ganze Firmament
ein. In der einen Minute verharrt es ruhig und unbeweglich, nur um sich
wenig später wie eine wild flackernde Feuersbrunst über den Himmel
auszubreiten.
In der Zeit zwischen November und März flirren Polarlichter fast täglich
über den Himmel. Für Physiker sind sie nur elektrisch geladene Teilchen des
Sonnenwindes, für die Norweger des Nordens der Farbtupfer in der langen
Winternacht - und für die Finnen ein „Fuchsschweif“ am Firmament. Einer
samischen Legende zufolge entsteht das Nordlicht, wenn ein Fuchs mit seinem
Schwanz über die Schneewehen peitscht, so dass die Funken - die Nordlichter
- sprühen. Weniger poetisch sehen es die Japaner. Sie glauben, das
Nordlicht zu beobachten, stärke die Manneskraft - und dass ein unter dem
Nordlicht gezeugtes Kind besonders schön und klug wird. Der
Tourismusbranche Norwegens kann es recht sein: Im Winter sind im Norden
auffällig viele Japaner unterwegs.
Die Lofoten, eine Inselgruppe aus über 80 Inseln, liegen weit im Norden,
zwischen 100 und 300 Kilometer nördlich des Polarkreises. Anders als
erwartet, ist dort das Klima nicht arktisch kalt, sondern dank des
Golfstroms, in dem die Inseln wie in einem warmen Wasserbad liegen,
erstaunlich mild. Natürlich fällt auch hier das Thermometer im Winter
häufig unter null. Doch Temperaturen von minus zehn oder gar minus zwanzig
Grad oder noch mehr, wie sie im Landesinneren Norwegens normal sind, sind
selten.
Trotzdem beginnt auch der nordlanderprobte Maler langsam zu frösteln. Er
mümmelt sich noch weiter in seinen Parka ein und stapft los zu seinem
Kleinwagen, mit dem er sich auf den Heimweg durch die nordische Nacht
macht. Die ist inzwischen wieder in tiefes Dunkel versunken. Denn nicht nur
was die Form, sondern auch was die Häufigkeit und die Länge seiner
Auftritte betrifft, ist das Nordlicht ein launischer Begleiter.
Hammerbeck wohnt zwei Autostunden von Svolvaer entfernt, der mit 4.000
Einwohnern größten Stadt der Inselgruppe. In seinem Heimatdorf Digermulen
stehen nur eine Hand voll Häuser - Farbpunkte zwischen dem Hausberg
Digermulkollen und der Nordsee. Der Berg ist nur gut fünfhundert Meter hoch
und nimmt sich in der Landschaft der Lofoten bescheiden aus. Doch jedes
Jahr im Sommer ist er das Ziel einer Wanderung. Dann feiert ganz Digermulen
den „Kaisertag“ und zieht die Hänge hinauf.
Im Jahr 1889 war der deutsche Kaiser Wilhelm II. hier mit seiner Jacht
gelandet. Seine Majestät war so begeistert, dass er noch mehrmals auf die
Lofoten zurückkehrte und damit gleichsam den deutschen Norwegentourismus
erfand. Auf seinen Spuren waren schon bald viele seiner Untertanen
unterwegs.
Hammerbeck ist jedes Jahr bei der Besteigung mit dabei, doch jetzt im
Winter schaut er sich den Berg lieber von unten an. Das ist auch anzuraten,
denn seine verschneiten Gipfel machen trotz der vergleichsweise geringen
Höhe keinen einladenden Eindruck.
Zu Hause angekommen schält sich Hammerbeck aus seiner Winterkleidung, lässt
seinen langen Körper in das Sofa sinken und deutet auf das Panoramafenster
seines Wohnzimmers. Die Aussicht, die er von hier genießt, ist grandios.
Jetzt am Abend muss ich seiner schwärmerischen Beschreibung glauben, doch
am nächsten Tag sehe ich alles mit eigenen Augen: die dramatische Kette der
Austvågøy-Berge - und tief unten am Meer den Eingang zum Raftsund. Wie
jeder der 150 Einwohner des Ortes hat der Maler einen unverbaubaren Blick
aufs Wasser, den Fjord und die Fischer- und Freizeitboote, die vor der
Küste unterwegs sind.
Schiffe sind die zweite Leidenschaft Hammerbecks. Das ist vermutlich nicht
ungewöhnlich für einen Hamburger - von den Hanseaten wird ja behauptet,
dass sie die Leidenschaft für die Seefahrt schon mit der Muttermilch
aufnehmen. Wenn Hammerbeck zu Hause ist, steht er zweimal täglich an seinem
Ausguck im Wohnzimmer - dann nämlich, wenn die Postschiffe der Hurtigruten
vorbeifahren.
Für ihn ist das zum Ritual geworden. Die Schiffe gehören zu seinem normalen
Tagesablauf, und auch nachdem sie aus seinem Blickfeld verschwunden sind,
begleitet er sie noch eine Weile in Gedanken. Hammerbeck mag Schiffsreisen
nicht nur in der Fantasie. Unlängst reiste er als Schiffsmaler auf der „MS
Lofoten“ mit. Er hat das Hurtigrutenschiff und die norwegische Landschaft
gemalt, die vor dem Kajütenfenster vorbeizog, und er hat beiden sogar einen
eigenen Bildband gewidmet.
Menschen sucht man auf Hammerbecks Bildern allerdings vergeblich. „Die
grandiose Natur der Lofoten hat mir bewusst gemacht, wie klein wir Menschen
sind“, sagt er. Und: „In meinen Bildern sind die Menschen so klein
geworden, dass sie gar nicht mehr vorkommen.“
Früher, als es hier oben im Norden noch keine Straßen gab, waren die
Hurtigrutenschiffe die einzige Verbindung zur Außenwelt. Sie brachten die
neue Waschmaschine ebenso mit wie den Liebesbrief des im fernen Oslo
arbeitenden Verlobten. Auch heute sind die Lastpferde des Meeres immer noch
ein wichtiges Verbindungsglied zwischen den einzelnen Küstenorten. Sie sind
aber inzwischen auch Touristendampfer, die Norwegenbesucher bequem und
luxuriös von Bergen im Südwesten bis nach Kirkenes im äußersten Norden
bringen. Auch im Winter wenn das Polarlicht lockt.
In den Wintermonaten bieten die Lofoten aber noch ein weiteres Spektakel -
allerdings ein von Menschen gemachtes: den Lofotfischfang. Auf Hammerbecks
Bildern kommt er nicht vor - anders bei seinen norwegischen Malerkollegen.
Für die ist der Lofotfischfang seit jeher ein beliebtes Motiv. Jedes
Kunstmuseum auf der Insel, sogar in ganz Norwegen, stellt Bilder zu diesem
Thema aus.
Im 19. und noch weit bis ins 20. Jahrhundert kamen zehntausende Fischer zur
Fangsaison auf die Lofoten. Ihre Boote lagen dann in dichten Reihen in den
Häfen, und die heute bei den Touristen als Ferienhütten beliebten und
zumeist auf Stelzen gebauten Rorbuer waren nichts anderes als die
Schlafhütten der Fischer. Aber auch heute kommen Jahr für Jahr im Winter
bis zu 3.000 Fischer aus dem ganzen Land auf die Inselgruppe, um vor der
Küste den Dorsch zu fangen.
In dieser Zeit kann man von vielen Häusern aus das Meer vor lauter Fischen
nicht mehr sehen. Denn sobald der Dorsch gefangen ist, wird er an riesigen,
zeltförmigen Holzgestellen zum Trocknen aufgehängt. Hunderttausende Fische
werden so in der trockenen und salzigen Meeresluft zu Stockfisch und
versperren den Einheimischen die Sicht. Sie füllen ihnen aber gleichzeitig
die Geldbörsen. Denn besonders in den Ländern Südeuropas ist der
norwegische Stockfisch eine beliebte und äußerst gut bezahlte Delikatesse.
Der Fischfang war für Nordnorwegen einst die einzige Einnahmequelle - und
ist bis heute eine der wichtigsten. Darum nennt man hier das Nordlicht auch
Heringsblitz. Früher glaubten die Fischer, dass das wundersame Licht am
nächtlichen Himmel nichts anderes ist als die Spiegelung riesiger
Fischschwärme am Firmament.
29 Oct 2008
## AUTOREN
Rasso Knoller
## TAGS
Reiseland Norwegen
Kunst
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