| # taz.de -- Europarechtler Bast über Flüchtlinge: „Es war bisher nicht gere… | |
| > Er will anerkannten Flüchtlingen sofort Freizügigkeit gewähren. Das würde | |
| > EU-Randstaaten wie Griechenland entlasten, sagt Europarechtler Jürgen | |
| > Bast. | |
| Bild: Flüchtlinge in Athen. Nicht nur hier sind die Asylverfahren zu komplizie… | |
| taz: Seit 1. Januar haben die Niederlande für sechs Monate den EU-Vorsitz. | |
| Besonders schwierig ist die gerechte Verteilung der Flüchtlinge in Europa. | |
| Was schlagen Sie vor? | |
| Jürgen Bast: Möglicherweise ist die Lösung einfacher, als viele denken. Man | |
| müsste gegenüber dem bisherigen System nur ein entscheidendes Detail | |
| ändern. | |
| Was wäre das? | |
| Wie bisher vorgesehen, sollten weiterhin die Länder an den EU-Außengrenzen | |
| die Asylverfahren durchführen. Wenn ein Asylsuchender dann aber als | |
| schutzberechtigt anerkannt ist, soll er sich sofort frei in der EU bewegen | |
| und seinen Wohnsitz dort wählen können, wo er will. Flüchtlinge hätten dann | |
| die gleichen Freizügigkeitsrechte wie Unionsbürger. | |
| Bisher musste er in dem Land bleiben, das das Asylverfahren durchgeführt | |
| hat? | |
| Ja, so war jedenfalls die Regel. Erst nach fünfjährigem Aufenthalt erhält | |
| ein anerkannter Flüchtling ein weitgehendes Recht auf Freizügigkeit in der | |
| EU. | |
| Was kritisieren Sie am bisherigen System? | |
| Es war bisher nicht gerecht, dass EU-Grenzstaaten wie Griechenland oder | |
| Italien neben den Asylverfahren und der Erstunterbringung auch für die | |
| spätere Integration der anerkannten Flüchtlinge in den Arbeits- und | |
| Wohnungsmarkt ihres Landes zuständig waren. Deshalb haben sie die | |
| Flüchtlinge lange Zeit einfach durchgewunken. Wenn Staaten sich | |
| systematisch benachteiligt fühlen, haben sie wenig Anreiz, die Regeln zu | |
| befolgen. | |
| Wie ginge es besser? | |
| Nach meinem Konzept könnten viele Flüchtlinge, die in den EU-Grenzstaaten | |
| anerkannt wurden, anschließend direkt nach Deutschland oder Skandinavien | |
| weiterziehen – dorthin wo die Jobs sind oder wo vielleicht schon Verwandte | |
| leben. Länder wie Griechenland und Italien wären also wirksam entlastet. | |
| Auch aus Integrationsgesichtspunkten ist es sinnvoller, dass ein Flüchtling | |
| alsbald in dem Staat leben kann, in dem er auf Dauer bleiben will. | |
| Dass die Asylverfahren in der Regel an den EU-Außengrenzen durchzuführen | |
| sind, das steht doch nur noch auf dem Papier. | |
| Die Dublin-III-Verordnung der EU ist geltendes Recht. Deshalb ist sie ein | |
| naheliegender Ausgangspunkt für Reformüberlegungen. Es ist zwar in den | |
| Dublin-Regeln durchaus vorgesehen, dass ein Staat wie Deutschland | |
| Asylverfahren übernehmen kann, für die er eigentlich nicht zuständig wäre. | |
| Es wird aber wohl nicht auf Dauer die Lösung sein, dass Deutschland sowohl | |
| die meisten Asylverfahren durchführt als auch anschließend die meisten | |
| anerkannten Flüchtlinge integriert. | |
| Warum die Asylverfahren ausgerechnet in den Randstaaten der EU durchführen? | |
| Dort kommen die Menschen nun mal an. Warum sollen Flüchtlinge sich erst | |
| durch halb Europa durchschlagen müssen, bevor sich jemand für ihre | |
| Fluchtgründe interessiert? Ein schnelles und faires Asylverfahren ist ganz | |
| im Sinne des Flüchtlingsschutzes. | |
| Und wenn die Asylsuchenden doch gleich nach Deutschland reisen? Könnte | |
| Deutschland die Flüchtlinge dann nach Griechenland zurückschicken? | |
| Ja, das wäre die Logik meines Vorschlags. Anerkannte Flüchtlinge können | |
| sich zwar später ihren Wohnort in der EU frei wählen. Aber sie können nicht | |
| wählen, wo sie während des Asylverfahrens leben wollen. Deutschland hätte | |
| natürlich weiterhin die Möglichkeit, den Asylantrag selbst zu prüfen. Dafür | |
| kann es gute pragmatische oder humanitäre Gründe geben. | |
| Wären Länder wie Griechenland und Italien nicht interessiert, möglichst | |
| viele Flüchtlinge ohne große Prüfung anzuerkennen, damit die schnell gen | |
| Norden weiterziehen? | |
| Ja, das könnte eine denkbare Folge sein. Es wäre deshalb zu überlegen, ob | |
| die Asylverfahren künftig von EU-Beamten durchgeführt werden, damit überall | |
| einheitliche Standards angewandt werden. | |
| Die EU will in Italien, Griechenland und anderen EU-Randstaaten „Hot Spots“ | |
| einrichten, wo Asylaussichten grob geprüft werden. Flüchtlinge mit | |
| Bleibeperspektive sollen dann gleichmäßig auf alle EU-Staaten verteilt | |
| werden, dort werden die eigentlichen Asylverfahren durchgeführt. Was halten | |
| Sie davon? | |
| Wenig. Denn das Umverteilungskonzept hält weiterhin daran fest, dass die | |
| Flüchtlinge erst einmal fünf Jahre in dem EU-Staat bleiben müssen, der sie | |
| anerkannt hat. Das ist dann zwar nicht mehr Griechenland, aber zum Beispiel | |
| Polen oder Lettland. Daran haben weder die EU-Staaten ein Interesse noch | |
| die Flüchtlinge. Dass die planwirtschaftliche Umverteilung von | |
| Asylsuchenden keine Lösung ist, sieht man auch daran, dass von den | |
| beschlossenen 160.000 Flüchtlingen bisher nur wenige hundert in andere | |
| EU-Staaten transferiert werden konnten. | |
| Und Ihr Konzept würde besser funktionieren? | |
| Vermutlich ja, weil es auf einem solidarischen Ausgleich zwischen den | |
| EU-Staaten beruht und die Interessen der Flüchtlinge besser berücksichtigt. | |
| Aber natürlich wird es immer Reibungen geben. | |
| 3 Jan 2016 | |
| ## AUTOREN | |
| Christian Rath | |
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