# taz.de -- Kommentar Perspektiven der Eurozone: Front gegen Merkel | |
> Ökonomisch scheint die Eurozone stabilisiert, politisch ist sie labil wie | |
> nie zuvor. Die Südallianz gegen Deutschland könnte sich 2016 bilden. | |
Bild: Harmonisch ist anders: Matteo Renzi ist nicht mehr so gut auf Angela Merk… | |
Eigentlich waren das schöne Zeiten für Angel Merkel, vor akkurat vier | |
Jahren, Anfang 2012. Gewiss, die Eurokrise war auf dem Höhepunkt, der in | |
Europas Süden sprichwörtliche „Spread“ zwischen den deutschen | |
Staatsanleihen einerseits, den italienischen oder spanischen andererseits | |
lag über 5 Prozent, die Gemeinschaftswährung stand kurz vor dem Zerfall. | |
Aber die Rettung war ja schon unterwegs, Berlin und Brüssel hatten die | |
Troika erfunden, die die Daumenschrauben anzog bei all jenen Ländern – | |
vornehmlich aus dem Süden Europas –, die „über die Verhältnisse gelebt“ | |
hatten. | |
Besonders schön für die Kanzlerin: Die betroffenen Völker spielten | |
scheinbar anstandslos mit. Durchweg alle Südländer gaben sich Regierungen, | |
die als willige Vollstrecker des Austeritätskurses auftraten. | |
In Spanien wurde – im Dezember 2011 – der konservative Mariano Rajoy | |
Ministerpräsident, in Portugal hatte schon im Juni zuvor Pedro Passos | |
Coelho von der Rechten die Macht übernommen. Griechenland sah im November | |
2011 den Sturz der Pasok-Regierung unter Andreas Papandreou, der durch den | |
Technokraten Lukas Papadimos abgelöst wurde, und nur wenige Tage später | |
musste in Italien der Rechtspopulist Silvio Berlusconi die Koffer packen; | |
an seine Stelle trat der frühere EU-Kommissar Mario Monti, auch er ein | |
„Techniker“. | |
## Renten kürzen, Gewerkschaftsrechte stutzen | |
Alle miteinander exekutierten die ihnen verordneten Sparprogramme, kürzten | |
Renten, flexibilisierten die Arbeitsmärkte, stutzten Gewerkschaftsrechte. | |
Ein Rezept, das scheinbar funktionierte: Die Eurokrise ist im Griff, der | |
Spread beträgt nur noch 1 Prozent, die Defizite der Südländer in | |
Leistungsbilanzen und Staatshaushalten wurden deutlich zurückgefahren. Doch | |
im Gegenzug explodierte ein anderes Defizit – das Legitimitätsdefizit der | |
EU und der Eurorettungspolitik. | |
Ökonomisch ist die Eurozone wenigstens kurzfristig stabilisiert, politisch | |
jedoch ist sie destabilisiert wie nie zuvor. Keine jener Regierungen, auf | |
die aus Berliner Sicht „Verlass“ war, ist noch im Amt. Den Anfang machten | |
die Griechen, als sie Syriza den Wahlsieg bescherten. Die Bundesregierung | |
hielt mit ihrer „Regeln sind Regeln“-Rhetorik dagegen und zwang | |
Griechenland ein Diktat auf, das das demokratische Votum seiner Bürger | |
schlicht als unerheblich beiseiteschob – auch um unschönen Entwicklungen | |
etwa in Spanien vorzubeugen. | |
## Renzi erklärt Stabilitätskurs für gescheitert | |
Doch der Süden will einfach nicht mehr. In Portugal wurde im Jahr 2015 die | |
Rechte abgewählt, kam eine Links-links-Regierung an die Macht, in Spanien | |
schnellte Podemos auf 20 Prozent hoch, und in Italien liegen die Eurogegner | |
des Movimento 5 Stelle in den Meinungsumfragen mittlerweile bei knapp 30 | |
Prozent. Ministerpräsident Matteo Renzi zog seine eigenen Schlüsse. Von Tag | |
zu Tag wird er lauter gegenüber Deutschland und der Kanzlerin, erklärt den | |
bisherigen Stabilitätskurs für gescheitert – ebenso wie ein Europa, das nur | |
aus Zahlen und bürokratischen Beschlüssen bestehe. | |
Die Bundesregierung aber macht vorerst weiter, als sei nichts gewesen. Das | |
ist eine leichte Übung, wenn man ein Land regiert, in dem Wohlstand und | |
Einkommen wachsen, in dem zwei Drittel der Bevölkerung optimistisch in die | |
Zukunft blicken, eine leichte Übung auch in einer Republik, in der Wolfgang | |
Schäuble nicht zuletzt dank seiner Härte gen Süden zum mittlerweile | |
beliebtesten Politiker aufgestiegen ist. | |
Eben diese Frontstellung – ein Norden, der den Süden weiter Mores lehren | |
will, ein Süden, der sich das nicht mehr gefallen lässt – birgt das | |
Potential, den Euro zum Einsturz zu bringen. 2016 könnte zum Schlüsseljahr | |
werden, in dem sich die seit Langem beschworene Südallianz gegen | |
Deutschland zusammenfindet, die bisher nicht zu realisieren war. Dann wäre | |
Angela Merkel gefordert, und sie müsste mehr bieten als seinerzeit ihre | |
Auskunft auf die Frage, was ihr zu Deutschland einfalle: „Die dichten | |
Fenster!“ Sie müsste endlich die Vision von einer Eurozone liefern, die | |
auch Südeuropa Perspektiven verheißt. | |
2 Jan 2016 | |
## AUTOREN | |
Michael Braun | |
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