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# taz.de -- Deutschland nach dem Klimagipfel: Hendricks sucht den Kohlekonsens
> Vom Jubel in Paris zurück in die Mühen der deutschen Ebene: Die
> Umweltministerin will nun den Ausstieg aus fossilen Energieträgern
> angehen.
Bild: Weg mit der Kohle? Eine relativ große Herausforderung.
Berlin taz | Auch zwei Tage danach ist Barbara Hendricks noch in
euphorischer Stimmung. Als die Bundesumweltministerin am Montagmorgen in
Berlin vor die Presse tritt, um die Ergebnisse der Pariser Klimakonferenz
vorzustellen, trägt sie eine geflochtene Brosche von den Marshall-Inseln am
Revers. Sie schwärmt davon, wie berührend es war, zusammen mit dem
Außenminister des vom Untergang bedrohten Inselstaats zur Abschlusssitzung
in den Verhandlungssaal einzuziehen. Und sie freut sich über das viele Lob
für die Rolle Deutschlands beim Erfolg der Konferenz. „Ich bin auch ein
bisschen stolz“, sagt Hendricks.
Dass dieses Hochstimmung lange anhält, ist aber zweifelhaft. Denn in
Deutschland steht der Ministerin jetzt ein harter Kampf um die Konsequenzen
aus dem Pariser Klimaabkommen bevor. Die Erwartungen an Deutschland, das
bis 2050 einen Rückgang seiner Treibhausgasemissionen um 80 bis 95 Prozent
angekündigt hat, sind gestiegen, betonte Hendricks: „Wir haben jetzt mehr
denn je die Verantwortung, unsere Ziele in die Tat umzusetzen.“ Und
folgert: „Natürlich müssen wir ehrgeiziger werden.“
Doch bei einem zentralen Klimaschutzaspekt – dem Ausstieg aus der
Kohleverstromung – klingt Hendricks nach Paris weniger ehrgeizig als
vorher. Ende November hatte sie sich für einen Ausstieg innerhalb von 20
bis 25 Jahren ausgesprochen. Nun sagt sie, dass sie das zwar weiter für
möglich halte. Doch als Ziel formuliert sie einen anderen Zeitraum: „Es ist
völlig klar, dass wir bis zur Mitte des Jahrhunderts aus der Nutzung von
fossilen Energieträgern aussteigen müssen.“
Das soll dafür schnell angegangen werden. Noch vor der Sommerpause – also
in den nächsten sechs Monaten – werde das Bundeskabinett einen
Klimaschutzplan für das Jahr 2050 mit Zwischenzielen für 2030 und 2040
verabschieden, kündigte Hendricks an. Dieser werde einen Fahrplan für den
Kohleausstieg enthalten, machte die Ministerin klar: „Wir werden einen
Klimaschutzplan 2050 nicht ohne klare Aussagen zur Verstromung von fossilen
Energieträgern verabschieden können.“
## Mit Verweis auf Sigmar Gabriel
Diese Entwicklung solle aber nicht gegen die betroffenen Unternehmen
umgesetzt werden, sondern „in einem konsensualen Prozess“, erklärte
Hendricks. Sie setze auf Zusammenarbeit „mit den Arbeitnehmerinnen und
Arbeitnehmern, den Gewerkschaften und den Unternehmen“.
Das scheint zu gelingen: Man sei bereits im Gespräch mit der Politik,
bestätigte Stephanie Schunck, Sprecherin des Kohle-Konzerns RWE, der taz.
Und durchaus einig: „Ein Ende der Kohlenutzung bis 2050 entspricht unserer
Planung. Bis dahin sind unsere Tagebaue ohnehin ausgekohlt.“
In der Vergangenheit war die Forderung nach einem Kohleausstieg bei Teilen
der Union, aber auch in den SPD-regierten Kohleländern Nordrhein-Westfalen
und Brandenburg auf heftige Kritik gestoßen; eine zunächst von
Wirtschaftsminister und SPD-Chef Sigmar Gabriel geplante Abgabe zur
Reduzierung der Braunkohlenutzung war nach Protesten zurückgezogen worden.
Dennoch sieht sich Hendricks mit ihrer Forderung nicht isoliert. „Ich
möchte dem Eindruck entgegentreten, dass da die verrückte Umweltministerin
ist und alle anderen sind anderer Meinung“, sagte sie. „Das ist die
Verantwortung der ganzen Bundesregierung.“ Hendricks betonte, sie arbeite
auf der Basis von Beschlüssen aus dem Jahr 2007. Damals war Sigmar Gabriel
Umweltminister.
Opposition und Umweltverbände, die in Paris noch zusammen mit Hendricks das
Klimaabkommen bejubelt hatten, zeigten sich enttäuscht vom neuen Zeitplan
der Ministerin. „Wer sich Ziele steckt, muss diese auch umsetzen und
verantworten“, sagte Greenpeace-Energieexperte Karsten Smid. „In Paris saß
Frau Hendricks in der ersten Reihe und präsentierte sich als Vorkämpferin
für den Klimaschutz. Kaum wieder zu Hause, rudert sie zurück.“ Als
Konsequenz aus Paris müsse die Umweltministerin ein Kohleausstiegsgesetz
auf den Weg bringen, um bis 2030 aus der Braunkohle und bis 2040 aus der
Steinkohle auszusteigen.
Auch die klimapolitische Sprecherin der Grünen, Annalena Baerbock,
verlangte einen schnelleren Kohleausstieg. „Es ist fatal, dass Barbara
Hendricks wenige Stunden nach Paris den deutschen Kohleausstieg
relativiert“, sagte sie. Für die Linkspartei fordert Eva Bulling-Schröter,
die Kohleverstromung in Deutschland bis 2035 zu beenden: „Ein Herumeiern um
Deutschlands Ausstieg aus der Kohle ist nicht mehr möglich.“
## Ehrgeiziger werden
Das sieht der Bundesverband der Deutschen Industrie völlig anders.
„Deutschland darf in der Klimapolitik nicht vom Vorreiter zum Einsiedler
werden“, erklärte BDI-Präsident Ulrich Grillo am Montag. Völlig
unbeeindruckt vom weltweiten Klimaschutzabkommen, in dem sich über 180
Staaten zum Klimaschutz verpflichtet haben, warnte er vor weiteren
„Alleingängen“ Deutschland oder Europas: „Es ist jetzt nicht die Zeit,
überstürzt über neue EU-, geschweige denn nationale Ziele nachzudenken.“
Handlungsbedarf sieht Umweltministerin Hendricks derweil nicht nur bei der
viel diskutierten Energieversorgung. „Wir müssen auch auf den anderen
Feldern ehrgeiziger werden, namentlich im Bereich des Verkehrs und der
Landwirtschaft.“ Notwendig seien ein neues Mobilitätskonzept und eine
Neuausrichtung der Agrarwirtschaft, sagte Hendricks, die es offenbar als
unfair empfindet, dass ihre Partei oft allein für Versäumnisse in der
Klimapolitik verantwortlich gemacht wird. Den Journalisten empfahl sie, die
unionsregierten Ministerien für Landwirtschaft und Verkehr nicht zu
ignorieren: „Fragen Sie doch auch mal meine Kollegen Dobrindt und Schmidt.“
14 Dec 2015
## AUTOREN
Malte Kreutzfeldt
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