| # taz.de -- Die vorletzte Zeche im Ruhrpott schließt: Schicht im Schacht | |
| > Am Freitag geht auch in Marl die Ära des Steinkohle-Abbaus zu Ende. Die | |
| > Region leidet. Und hat noch lange an den Folgen zu knabbern. | |
| Bild: Ein letztes Glück auf: Der Steiger Peter Dithmer unter Tage in der Zeche… | |
| Marl taz | „Glück auf“, ruft Steiger Peter Dithmer dem Kollegen am Fahrkorb | |
| zu. Sein Kumpel, „Anschläger“ genannt, zieht mit Schutzhandschuhen | |
| tonnenschwere Container aus Schacht 3. Kohlrabenschwarze Gerätschaften – | |
| Trafos, Schienen, Werkzeug – aus über tausend Meter Tiefe stapeln sich | |
| darin. | |
| „Rauben“ heißt das im Fachjargon, will heißen: Die Grube wird leer geräu… | |
| Alles muss raus, bevor die Förderschächte mit Beton verfüllt und die | |
| Strecken geflutet werden. Ende 2016 soll der Rückbau abgeschlossen sein, | |
| dann ist endgültig Schicht im Schacht. Eine Ära geht zu Ende: Über hundert | |
| Jahre lang wurde in Marl das Schwarze Gold gefördert. | |
| Peter Dithmer erfüllt die Schließung der Zeche „Auguste Victoria“ mit | |
| Wehmut. Als 15-Jähriger hat er angefangen, unter Tage zu arbeiten, schon | |
| sein Vater war Bergmann. Die Arbeit sei zwar mühsam, aber die | |
| eingeschworene Gemeinschaft unter Tage einzigartig. Einwanderer aus der | |
| Türkei, Griechenland, Polen wurden durch den Ruhrbergbau integriert, | |
| erzählt der 47-Jährige stolz: „Unter Tage sind wir alle schwarz.“ Dithmer | |
| ist einer der wenigen hundert verbliebenen Mitarbeiter, die noch über den | |
| Jahreswechsel hinaus mit dem Rückbau der Zeche beschäftigt sind. Seine | |
| Kollegen im Abbau sind am vergangenen Montag das letzte Mal eingefahren: | |
| „Da floss so manche Träne“. | |
| Insgesamt sind dann bis zum Jahreswechsel rund 1.000 Bergleute in den | |
| Vorruhestand gegangen. Weitere 150 wurden nach Prosper Haniel bei Bottrop | |
| versetzt, die letzte Zeche an der Ruhr. Aber auch dort ist 2018 Schluss. | |
| Das hat der Bundestag vor acht Jahren beschlossen und einen Fahrplan | |
| festgelegt für den Ausstieg aus der hoch subventionierten Steinkohle. Das | |
| mühsame Fördern in mehr als tausend Metern Tiefe lohnt sich in Deutschland | |
| nicht mehr, Importkohle ist deutlich billiger. | |
| Wer ins Bergfreie fällt – so heißt der Vorruhestand im Bergmannsdeutsch – | |
| profitiert vom „Tarifvertrag zur Gestaltung sozialverträglicher | |
| Personalmaßnahmen“. Der stellt sicher, dass der Bergmann den überwiegenden | |
| Teil seines Gehalts weiterhin bezieht – bis zum Eintritt ins Rentenalter. | |
| Es klingt nach Luxus, aber viele Kumpel sind nach jahrzehntelanger Arbeit | |
| unter Tage körperlich angeschlagen, haben Rücken- und Knieprobleme, vor | |
| allem, wenn sie im Abbau malocht haben. | |
| ## „Stirbt die Zeche, stirbt die Stadt“ | |
| Das aber ist nun Geschichte in Marl. Seit Dienstag stehen die | |
| tonnenschweren Fördermaschinen – Hobel und Walzenschrämlader – still. Kurz | |
| vor Schluss wurden noch 3.000 Tonnen Kohle am Tag gefördert, zu | |
| Spitzenzeiten war es die zehnfache Menge. „Stirbt die Zeche, stirbt die | |
| Stadt“, heißt es nun. Die Gemeinde der St.-Barbara-Kirche mitten in der | |
| Zechenkolonie im Norden Marls schrumpft seit Jahren. Der schmucklose | |
| Kirchenbau aus den 1930er Jahren wird wohl in den nächsten Jahren zum | |
| Urnenfriedhof umgewidmet. | |
| Die Schließung von „Auguste Victoria“ trifft die regionale Wirtschaft ins | |
| Mark. An jedem Bergmann hängen schätzungsweise drei Arbeitsplätze. Daher | |
| werben RAG und Lokalpolitiker nun für einen neuen Logistikstandort auf dem | |
| 19 Hektar großen Zechengelände. „Mittelfristig sollen hier 1.000 | |
| Arbeitsplätze geschaffen werden“, verkündet Marls Bürgermeister Werner | |
| Arndt optimistisch. Zwar ist das Gelände logistisch gut angebunden, doch | |
| „Die neue Victoria“, so der vollmundige Name des Projekts, dürfte eine | |
| Herausforderung für die nächsten Jahrzehnte werden. | |
| Eines aber steht fest: Bis zum Sankt-Nimmerleins-Tag muss gepumpt werden, | |
| damit das salzhaltige und mit Nickelsulfat, Eisenoxiden und Mangan | |
| kontaminierte Grubenwasser nicht das Grundwasser vergiftet. 100 Millionen | |
| Euro kostet das Abpumpen jährlich, eine Ewigkeitslast des | |
| Steinkohlebergbaus. | |
| Ohne die Wasserhaltung würde das Ruhrgebiet versumpfen, einige Gebiete | |
| haben sich schon um mehr als 30 Meter gesenkt. Und so steigt Peter Dithmer | |
| wieder in den Fahrkorb, runter zur sechsten Sohle, 1.200 Meter unter der | |
| Erde. Er muss heute den Förderhobel auseinanderbauen. Bevor der Steiger in | |
| die Tiefe saust, knipst er seine Stirnlampe an. Denn noch gilt: „Einem | |
| Kumpel ohne Licht bezahlt man nicht die Schicht“. | |
| 18 Dec 2015 | |
| ## AUTOREN | |
| Claudia Hennen | |
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