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# taz.de -- Gemeinsamer Bundesausschuss: „Gesundheits-Zentralkomitee“ wankt
> Das Bundesverfassungsgericht stellt Maßstäbe zur Rechtmäßigkeit des
> Gemeinsamen​ Bundesausschusses im Gesundheitswesen auf.
Bild: Musste sich mit Blasenproblem befassen: Senat in Karlsruhe
KARLSRUHE taz | Auf den ersten Blick ist die Entscheidung unspektakulär.
Das Bundesverfassungsgericht hat die Klage einer Frau mit Blasenbeschwerde
als unzulässig abgelehnt. Allerdings hat der Erste Senat des Gerichts in
dem elfseitigen Beschluss Maßstäbe aufgestellt, die den Gemeinsamen
Bundesausschuss (G-BA) im Gesundheitswesen ins Wanken bringen.
Der G-BA entscheidet, welche Arzneimittel und Medizinprodukte von den
Krankenkassen finanziert werden müssen. Er soll sich dabei am nachgewiesen
Nutzen orientieren, aber auch die Wirtschaftlichkeit des Gesundheitssystems
berücksichtigen. Dem 13-köpfigen Ausschuss gehören fünf Vertreter der
Kassen, fünf Vertreter von Ärzteschaft und Krankenhäusern sowie drei
unabhängige Experten an. Er gilt als „kleiner Gesetzgeber“ und wird auch
als „Zentralkomitee des Gesundheitswesens“ verspottet.
Im konkreten Fall ging es um eine Frau, die an einer chronischen Erkrankung
der Harnblasenwand leidet. Die Krankheit führt zu einer erheblichen
Verringerung der Blasenkapazität, die Patientin muss also ständig dringend
aufs Klo und hat dann starke Schmerzen. Als Therapie wollte sie von ihrer
Krankenkasse eine Spülung finanziert bekommen, die die Schutzschicht der
Harnblasenwand vorübergehend ersetzt. Die Kasse wollte das Medizinprodukt
aber nicht bezahlen, da es der G-BA nicht in den Leistungskatalog der
gesetzlichen Kassen einbezogen hat. Die Sozialgerichte bestätigten die
Verweigerung.
Dagegen erhob die Frau Verfassungsbeschwerde. Sie argumentierte unter
anderem, der G-BA habe keine ausreichende demokratische Legitimation. Sie
griff damit eine schon lange bestehende Kritik am Gemeinsamen
Bundesausschuss auf.
## Bezahlte Blasenspülung abgelehnt
Das Bundesverfassungsgericht hat die Beschwerde nun als „unzulässig“
abgelehnt. Die Frau habe nicht genug vorgetragen, welche Indizien für eine
Wirksamkeit der Blasenspülung sprechen. Auch mit der konkreten Norm im
Sozialrecht habe sich die Frau zu wenig auseinander gesetzt. Allgemeine
Angriffe auf die Legitimation des G-BA genügten nicht, auch wenn diese
„gewichtig“ seien.
Also nichts passiert? Nein, der Karlsruher Senat stellte durchaus Maßstäbe
auf, die bei der nächsten entsprechenden Klage angewandt werden. „Würde
eine zur Behandlung einer Krankheit benötigte Leistung in einem
Entscheidungsprozess verweigert, der verfassungsrechtlichen Anforderungen
nicht genügt, wären Versicherte in ihren Grundrechten verletzt“, heißt es
in dem Beschluss. An der demokratischen Legitimation des Bundesausschusses
könnte es demnach fehlen, wenn er „mit hoher Intensität“ Angelegenheiten
von Gruppen regelt, die an der Entstehung der Normen gar nicht mitwirken
konnten.
Welche Gruppen das Gericht meint, wird nicht ausgeführt. Aber es liegt
nahe, dass damit Entscheidungen gemeint sind, die für die Patienten
besonders relevant sind. Deren Verbände haben im Bundesausschuss nur Rede-,
aber kein Stimmrecht. Arzneimittelhersteller sind im G-BA gar nicht
vertreten.
Dass der Vorstoß des Bundesverfassungsgerichts ernst zu nehmen ist, ergibt
sich auch aus einem Vortrag, den Ferdinand Kirchhof, der Vizepräsident des
Gerichts jüngst in Kassel hielt und über den die FAZ berichtete. Bei dieser
Gelegenheit habe Kirchhof ein Demokratiedefizit des Bundesausschusses
benannt, das im Widerspruch zu dessen großer Machtfülle stehe. Die Vorgaben
des Gesetzgebers für den Ausschuss seien bisher „eher vage“.
Schon bei der nächsten geeigneten Klage könnte das Bundesverfassungsgericht
konkrete Anforderungen für Verfahren und Zusammensetzung des
Bundesausschusses aufstellen. (Az.: 1 BvR 2056/12)
20 Nov 2015
## AUTOREN
Christian Rath
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