| # taz.de -- Debatte Syrien: Von Bosnien lernen | |
| > Vor 20 Jahren wurde mit dem Dayton-Abkommen der Bosnienkrieg beendet. Die | |
| > Verhandlungen damals könnten ein Vorbild für Syrien sein. | |
| Bild: Die Stadthalle von Sarajewo erstrahlt in den französischen Farben | |
| Mit dem G-20-Treffen in der Türkei ist ein Anfang für den | |
| Verhandlungsprozess in Syrien gemacht. Das ist gut so. Wenn zukünftig neben | |
| den USA, Russland, der EU auch die Regionalmächte Türkei, Iran und | |
| Saudi-Arabien an einem Tisch sitzen und erkennen, dass es im eigenen | |
| Interesse liegt, diesen Krieg zu beenden, ist es durchaus möglich, dies zu | |
| tun. Doch noch liegt eine erfolgreiche Friedenskonferenz wie jene vor 20 | |
| Jahren in Dayton, die den Bosnienkrieg beendete, in weiter Ferne. | |
| Damals verhandelten die USA, Russland, Deutschland, Frankreich und | |
| Großbritannien mit den im Krieg involvierten Regionalmächten Serbien und | |
| Kroatien sowie der legitimen Regierung Bosnien und Herzegowinas aus dem | |
| belagerten Sarajewo. Wichtig für den Erfolg war, dass die | |
| Verhandlungsdelegationen im Dayton nahe gelegenen | |
| Wright-Patterson-Luftwaffenstützpunkt abgeschirmt wurden. Sie durften den | |
| Stützpunkt nicht verlassen, bis ein Kompromiss gefunden wurde. | |
| Als der Rauch am 21. November 1995 aufstieg, war es geschaftt. Das Abkommen | |
| von Dayton hat den Krieg in Bosnien und Herzegowina beendet. Als ein erster | |
| Schritt wurde ein Waffenstillstand garantiert. In der Folgezeit sollten | |
| internationale Truppen unter Führung der Nato einrücken und die | |
| Kriegsparteien trennen, was um die Jahreswende 1995/96 auch geschah. | |
| Die im bosnischen Krieg involvierten Armeen wurden demobilisiert. Es wurde | |
| eine internationale politische Struktur geschaffen, das Office of High | |
| Representative (OHR), das die Umsetzung des Abkommens überwachen und den | |
| Wiederaufbau des Landes leiten sollte. Die OSZE (Organisation für | |
| Zusammenarbeit und Sicherheit in Europa) wurde beauftragt, die ersten | |
| Nachkriegswahlen schon für 1996 zu organisieren. | |
| ## Garantierter Waffenstillstand | |
| So weit, so gut. Der militärische Teil des Abkommens könnte eine Blaupause | |
| auch für Syrien sein. Wenn die Waffen schweigen, könnten internationale | |
| Friedenstruppen ins Land gehen und die Armeen demobilisieren. Das klingt | |
| angesichts der gegenüber Bosnien noch komplexeren Konstellation in Syrien | |
| jetzt zwar illusorisch, war dies aber im Bosnienkrieg auch. Wer konnte sich | |
| Anfang 1994 schon vorstellen, dass der Krieg im nächsten Jahr beendet sein | |
| würde? Auch die Bildung einer internationalen Organisation, die das | |
| Friedensabkommen überwacht, könnte in Syrien hilfreich sein. | |
| Doch gerade mit der zivilen Umsetzung des Abkommens wurden in Bosnien und | |
| Herzegowina gravierende Fehler gemacht, die keineswegs nachahmenswert sind. | |
| So wurden die Wahlen viel zu früh angesetzt. Warnende Stimmen wie jene des | |
| damaligen UN-Sonderbeauftragten Christian Schwarz-Schilling wurden von den | |
| USA ignoriert, weil Präsident Clinton das militärische Engagement der USA | |
| mit der Etablierung von „Demokratie“ in Bosnien rechtfertigen wollte. | |
| Schwarz-Schilling forderte, man sollte wie in Deutschland nach dem Zweiten | |
| Weltkrieg einige Jahre mit den Wahlen warten, bis sich neue politische | |
| Kräfte und Parteien herausgebildet hätten. Wenn bei dem G-20-Treffen in der | |
| türkischen Stadt Antalya in dem dort erstellten „Fahrplan für Syrien“ sch… | |
| wieder schnelle Wahlen gefordert werden, scheint die Handschrift aus | |
| Washington erkennbar zu sein. | |
| ## Nationalistische Kräfte bedient | |
| Weiterhin wurde in Bosnien und Herzegowina mit dem Abkommen von Dayton eine | |
| statische Verfassung geschaffen, die wie eine Zwangsjacke wirkt. Das Land | |
| wurde in zwei ethnisch definierte Entitäten territorial aufgeteilt, die | |
| politische Macht wurde in diesen Entitäten, der Republika Srpska und der | |
| bosniakisch-kroatischen Föderation konzentriert, der darüber schwebende | |
| Gesamtstaat wurde bewusst schwach gehalten. | |
| Das Abkommen von Dayton zementierte die territorialen Machtbereiche für die | |
| kriegsführenden nationalistischen Kräfte, die bis heute gültig sind. Mehr | |
| noch, die Resultate der Verbrechen der ethnischen Säuberungen, die eine | |
| jahrhundertelang gewachsene multinationale und multireligiöse Gesellschaft | |
| auseinanderrissen, wurden in der neuen Struktur anerkannt. | |
| Bis heute ist jede(r) Bürger(in) gezwungen, sich einer der Volksgruppen, | |
| Bosniaken, Kroaten oder Serben, zuzuordnen. Den als Minderheiten | |
| definierten Gruppen wie den Juden oder Roma werden zudem wichtige Rechte in | |
| Bezug auf ihre Teilhabe an der politischen Macht vorenthalten. | |
| ## Es braucht Zeit | |
| Am schwersten wiegt, dass die Verfassung des Landes über keinen Mechanismus | |
| für ihre eigene Reform verfügt. Aus sich selbst heraus kann Bosnien und | |
| Herzegowina die Verfassung gar nicht verändern. Die herrschenden Cliquen | |
| aus den angeblich die Interessen ihrer Volksgruppen vertretenen Parteien | |
| wollen das auch gar nicht. Der Status quo ist gut für sie. | |
| Auch 20 Jahre nach Dayton wollen die internationalen Mächte an dieser | |
| Verfassung nichts verändern. Die sogenannte Stabilität (der Kompromiss mit | |
| den regierenden Cliquen) wird höher geschätzt als die demokratische | |
| Weiterentwicklung des Landes. Die internationale Gemeinschaft hat mit ihren | |
| bis heute existierenden Institutionen wie dem Office of High | |
| Representative, der OSZE-Vertretung und dem Büro der EU sogar mitgeholfen, | |
| die Volksgruppen auf ethnisch-religiöser Basis zu trennen, so in der von | |
| der OSZE betriebenen Wiedereinführung des Religionsunterrichtes an den | |
| Schulen und der Zulassung nationalistisch gefärbter Curricula. | |
| Die voriges Jahr formulierte deutsch-britische Initiative für eine Reform | |
| des Landes, die Bosnien und Herzegowina fit machen soll für die Integration | |
| in die EU, stellt sich nicht gegen die herrschenden Cliquen, sondern | |
| hofiert sie. Die EU ignorierte bei dem kürzlich unterzeichneten | |
| Assoziations- und Stabilisierungsabkommen sogar das Urteil des | |
| Menschengerichtshofes in Straßburg 2009, das Verfassungsänderungen fordert. | |
| Die Lehre aus Bosnien ist: Eine neue Verfassung für Syrien muss aus sich | |
| selbst heraus reformierbar sein. Der Aufbau freier Medien und neuer | |
| Parteien braucht Zeit. Eine Übergangsregierung mit internationaler | |
| Beteiligung, die Voraussetzungen für den Verwaltungsaufbau und die | |
| Demokratisierung des Landes herstellt, wäre zumindest in Bosnien das | |
| bessere Modell gewesen. | |
| 20 Nov 2015 | |
| ## AUTOREN | |
| Erich Rathfelder | |
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