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# taz.de -- Debatte: Lehren aus Dayton
> Die Kosovo-Troika droht mit ihrer Mission zu scheitern, denn sie geht -
> wie auch ihre Vorgänger - nicht konsequent gegen den ungebrochenen
> serbischen Nationalismus vor
Die verzweifelte Such der Troika aus EU, Russland und den USA nach einer
Lösung für die Kosovofrage ist verständlich. Doch haben die
wiederaufgenommenen Verhandlungen über den Status des umstrittenen Gebiets
keine große Aussicht auf Erfolg. Eher droht ein fauler Kompromiss, weil die
Gruppe mit dem Dayton-erfahrenen Botschafter Wolfgang Ischinger nicht
gelernt hat, wohin Zugeständnisse an den serbischen Nationalismus führen.
Bestenfalls ergeben sie Stagnation wie in Bosnien-Herzegowina,
schlimmstenfalls Krieg wie im Kosovo. Die EU kann sich jedoch ein solches
Risiko auf Dauer nicht leisten.
Die Erwartung an die serbische Regierungskoalition, sowohl die
Unabhängigkeit des Kosovos hinzunehmen als auch die Kooperation mit Den
Haag ernsthaft zu betreiben, ist naiv, zumindest aber zu optimistisch.
Diese Koalition stellt allenfalls eine Balance zwischen Nationalisten und
Nichtnationalisten dar, deren Existenz an den Status quo in beiden Fragen
gebunden ist. Die jüngste Auslieferung zweier Kriegsverbrecher war deshalb
nicht mehr als ein Bauernopfer zur Vermeidung der Auslieferung von Mladic
und Karadþic. Auch ein erkennbares Einlenken in der Kosovofrage wäre
angesichts der Kräfteverhältnisse ziemlich sicher das Ende der Regierung
zugunsten einer Machtübernahme der Radikalen, mit oder ohne Wahlen.
Freundliche Angebote wie die Partnerschaft mit der Nato und die
Wiederaufnahme der Verhandlungen über ein Assoziierungsabkommen mit der EU
machen unter diesen Umständen wenig Eindruck.
Die EU-orientierten Kräfte sind zu schwach, als dass sie deren Angebote in
eine entsprechende Politik umsetzen könnten. Im Gegenteil, diese Angebote
stärken die Nationalisten, denn sie wirken als deren Sieg. Aus der
Perspektive eines Koðtunica heißt dies: Seht, der Westen akzeptiert unser
Selbstbewusstsein, er bietet uns Verhandlungen an. Wahre Nationalisten
jedoch sind - im Unterschied übrigens zu Miloðevic - Überzeugungstäter und
nicht käuflich.
Das wiederholte Scheitern von internationalen Vermittlergruppen in der
Kosovofrage liegt auch in der holzschnittartigen Wahrnehmung der
parteipolitischen Landschaft Serbiens. In der deutschen Öffentlichkeit ist
es beispielsweise üblich, die serbischen Parteien in demokratisch und
nichtdemokratisch zu unterteilen. Nicht nur die Medien tun dies, auch
professionelle Außenpolitiker bis hin zum Auswärtigen Amt freuten sich über
die neue vermeintlich demokratische Koalition in Belgrad. Diese grobe
Zuordnung verleitet zu falschen Prognosen. Nur weil Parteien demokratische
Wahlen respektieren, besitzen sie nicht automatisch ein positives
Verhältnis zum Westen und seinen Erwartungen.
Natürlich sind ungefälschte Wahlen zu begrüßen. Aber sie genügen nicht als
Ausweis demokratischer Kultur und schon gar nicht der Fähigkeit, sich in
supranationale Strukturen wie die EU zu integrieren. Entscheidend für das
politische Handeln in Serbien - wie in seinen Nachbarstaaten - ist die
nationalistische Grundhaltung der gesellschaftlichen Mehrheit. Es sollte
also unterschieden werden zwischen westlich orientierten und
nationalistischen Strömungen und Parteien. Dies ist das angemessene
Koordinatensystem zur Bewertung politischer Ziele und Strategien.
Die nationalistischen Parteien haben keinerlei Anlass für Wahlbetrug, denn
sie repräsentieren die Mehrheit. Sie alle entstammen der Opposition zur
Sozialistischen Partei, die vor sieben Jahren Miloðevic an der Macht halten
wollte. Nicht dessen aggressiver Nationalismus brachte die Gesellschaft
gegen ihn auf, sondern die dramatischen wirtschaftlichen Folgen der
verlorenen Kriege.
Das Spektrum der Nationalisten reicht von der Radikalen Partei über die
Monarchisten des bisherigen Außenministers Draðkovic bis zur DSS von
Koðtunica. Dennoch haben sie alle bereits mit Miloðevic koaliert oder sich
tolerieren lassen. Das Bindeglied dafür war und ist die Ablehnung des
Westens und seiner Forderungen. Wer heute in Serbien die Auslieferung von
Ratko Mladic an das Tribunal in Den Haag fordert, beißt auf Granit.
Auch die im Westen gerühmte Demokratische Partei schwankt traditionell
zwischen westlicher und nationalistischer Orientierung. Personen wie
Djindjic und jetzt Tadic sind nicht einfach repräsentativ für sie.
Ähnliches gilt für eine Reihe kleinerer, darunter sozialdemokratischer
Parteien. Indifferent in dieser Frage ist die wirtschaftsliberale Partei G
17, die aber für ihr Reformprogramm auf den Westen angewiesen ist. Den
einzigen klaren Kontrapunkt bieten die mutige Liberaldemokratische Partei
und ihre Verbündeten. Zwar sind sie immerhin ins Parlament gekommen. Aber
fünf Prozent sind wahrlich keine Mehrheit.
In der serbischen Gesellschaft gibt es einen beständigen Zielkonflikt: das
Bedürfnis nach Wohlstand mithilfe der EU einerseits, die Pflege des
Opferstatus des unverstandenen Serbentums andererseits. Eine positive
Entwicklungsdynamik mit der Wirtschaft als Triebkraft wäre natürlich
wünschenswert. Sie bedeutet allerdings nicht, dass das nationalistische
Selbstverständnis automatisch aufgelöst wird. Der Nationalismus muss sicht-
und fühlbar scheitern, damit eine echte demokratische Entwicklung möglich
wird. Dazu gehört auch, den Verlust des Kosovos hinzunehmen. Zwar kann die
EU dort auch ohne Statusregelung agieren, solange dies auf der Basis der
UN-Resolution 1244 oder einer modifizierten Nachfolgeresolution geschieht.
Auch die internationale Schutztruppe KFOR kann ohne Statusregelung in die
europäische Eufor umgewidmet werden. Aber eine gesellschaftliche und
wirtschaftliche Dynamik wird so nicht entstehen. Allenfalls könnte eine
neuerliche Gewalteskalation verhindert werden. Um nicht den Eindruck
einseitig antiserbischer Rhetorik entstehen zu lassen: Der albanische
Nationalismus ist nicht weniger entwickelt als der serbische. Historisch
jedoch ist nun mal das Kosovo zum Opfer Serbiens geworden und nicht
umgekehrt. Deshalb, aber auch mit Blick auf die Zukunft der nächsten Jahre
und Jahrzehnte führt an der Anerkennung des Kosovos als unabhängiger Staat
kein Weg vorbei. Und so wie nur über den Umweg der Selbstständigkeit das
Kosovo den Weg nach Europa finden kann, kann Serbien dasselbe nur über das
Eingeständnis seiner Niederlage gelingen.
Dazu beizutragen ist Aufgabe auch der EU, will sie Serbien helfen und das
Land schließlich integrieren. Wohlwollende Angebote mit zugedrückten Augen
sind dafür das falsche Mittel. Die serbische Gesellschaft darf nicht darum
herumkommen, sich selbstkritisch mit ihrer Vergangenheit
auseinanderzusetzen. Sie braucht die Erkenntnis der selbst verschuldeten
Niederlage, zu der sie bisher infolge der Politik des Westens nicht
gezwungen war. Natürlich muss das prinzipielle Angebot der
EU-Mitgliedschaft aufrechterhalten bleiben. Aber es darf zu keinen
Zugeständnissen hinsichtlich der Bedingungen dafür verleiten.
16 Aug 2007
## AUTOREN
Marieluise Beck
## TAGS
Schwerpunkt Syrien
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