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# taz.de -- Kosovo: Querschüsse der Schutzherren
> Eine neue Verhandlungsrunde über die Zukunft des Kosovo hat begonnen.
> Jetzt stehen neben der Unabhängigkeit auch eine Teilung oder ein
> Staatenbund zur Diskussion
Bild: US-Diplomat Frank Wisner auf dem Weg zu den Verhandlungen
Sie rutscht auf ihrem Stuhl unruhig hin und her. Die 60-jährige Larjia
Domi, Bibliothekarin an der Universität in Priðtina, ist unsicher geworden.
Und stellt sich die Fragen, die alle Menschen jetzt im Kosovo bewegt: "Was
wird werden, wie soll es weiter gehen?" Nach dem Veto Russlands im
Weltsicherheitsrat gegen den Ahtisaari-Plan der UN, der eine begrenzte
Unabhängigkeit des Kosovos unter europäischer Aufsicht vorsah, scheint
jetzt die Zukunft wieder wie vernagelt.
Acht lange Jahre sind seit dem Einmarsch der Nato 1999 vergangen. Zwar
wurden viele Häuser mit internationaler Hilfe im ganzen Land wieder
aufgebaut und neue sind entstanden, von den Kriegsschäden ist nur noch
wenig zu sehen. Um die rasch wachsende Hauptstadt Priðtina herum sind sogar
neue Einkaufszentren aus dem Boden gestampft worden.
"Doch niemand will in die Produktion investieren, solange der Status des
Landes nicht geklärt ist", pflichtet ihr Mann Hajdar ihr bei, ein
ehemaliger Bankdirektor und Ökonom. Selbst Auslandsalbaner investierten in
der sicheren Türkei. Mehr als die Hälfte aller Bewohner sei arbeitslos. "Es
ist aber nicht nur die wirtschaftliche Lage, die uns jetzt bewegt." Die
Zeit der serbischen Herrschaft im Kosovo habe überall ihre Zeichen
hinterlassen, auch in den Seelen.
Ferdeze Efendia und ihre beiden Mitstreiterinnen gehören zu den Frauen, die
seit dem Krieg im Kosovo den Spuren der Verbrechen folgen, versuchen, die
Wahrheit herauszufinden, die Dokumente sammeln, Opferfamilien betreuen. Sie
haben selbst Söhne und Männer verloren. An den Wänden des Zentrums "Schrei
der Mutter" in der Stadt Gjakove (serbisch Djakova) im Westkosovo, der
Heimatstadt der Domis, hängen die Bilder von verschwundenen Männern, die
von serbischen Militärs, Polizisten oder Paramilitärs in ihren Häusern
verhaftet, verschleppt und ermordet worden sind.
Schon 1998, ein Jahr vor dem Angriff der Nato, bauten die serbischen
Militärs auf dem an die Stadt grenzenden Hügel Xabrat einen Stützpunkt und
beherrschten mit ihrer Artillerie und den Maschinengewehren die
traditionsreiche, multireligiös ausgerichtete Stadt mit ihrem katholischen
Dom, mit der mehr als 400 Jahre alten Moschee Xamia e Hadumit und der
orthodoxen Kirche. Von dort kündigte der serbische Rechtsextremist und
Milizenführer Vojislav Ðeðelj kurz vor dem Nato-Angriff auf Serbien im März
1999 über einen Lautsprecher an, was dann später geschehen sollte: Die
Stadt würde dem Erdboden gleichgemacht. Am 7. Mai 1999 und den folgenden
Tagen war es so weit. Die serbischen Militärs drangen in die Häuser ein,
verhafteten alle albanischen Männer, derer sie habhaft werden konnten.
Hunderte wurden an Ort und Stelle erschossen, hunderte abgeführt, in das
Gefängnis nach Peje (Pec) gebracht, von dort aus nach Serbien verschleppt.
Am 24. Mai wurde die historische Altstadt abgefackelt, auch die
Bibliotheken der Moschee und jene der hier ansässigen Baktaschi-Sekte mit
ihren jeweils rund 1.500 teilweise 500 Jahre alten Folianten gingen in
Flammen auf. Die Frauen erzählen dies alles mit ruhiger und gefasster
Stimme. Von 2001 an fand man in den Massengräbern Batajnica, Petrovo Selo
und Perucac bei Belgrad 835 Überreste von Leichen, 730 konnten durch
DNA-Analysen der International Commission on Missing Persons identifiziert
werden. Aus Gjakove stammten 677, sagen die Frauen. Nur 145 Männer
überlebten die Haft in Serbien, sie wurden nach 24 Monaten freigelassen.
"Niemand ist bisher wegen dieser Verbrechen angeklagt worden." Die Frauen
sind verbittert. Auch nicht Momcilo Stanojevic, der ehemalige serbische
Bürgermeister, der wie viele einheimische Serben die Untaten der Militärs
aktiv unterstützt haben soll. Das UN-Tribunal in Den Haag habe sich bisher
nicht interessiert gezeigt.
Nach dem Einmarsch der Nato im Juli 1999 und der Errichtung einer
UN-Mission fühlten sich die Albaner zunächst befreit vom Albtraum und vom
Terror. Ein Zusammenleben mit Serben in Städten wie Gjakove, wo so viel
Grauenhaftes passiert ist, gibt es allerdings nicht mehr. Die meisten
Serben der Stadt sind nach dem Krieg geflohen. Die noch im Kosovo
befindlichen ungefähr 100.000 Serben leben in ihren 13 schon vor dem Krieg
mehrheitlich von Serben bewohnten Enklaven, bewacht von Soldaten der
KFOR-Truppen. Oder im Norden, in der Region Mitrovica, die an Serbien
grenzt.
"Der Ahtisaari-Plan bot die Chance für ein geordnetes Nebeneinander." Alex
Ivanko, seit einem Jahr Chef des Informationssektors und früherer Sprecher
der Organisation, ist ein alter Balkanhase. Der ehemalige Journalist und
russische Afghanistanveteran war schon im Kroatienkrieg Sprecher der UN, er
war in Bosnien und seit dem Aufbau der UN-Mission lange Jahre im Kosovo.
Der knapp Fünfzigjährige kennt Land und Leute wie seine Westentasche.
UN schult weiter
Auch Ivanko ist wie viele der Mitarbeiter der UN vor Ort etwas ratlos.
Jahrelang hatte die Unmik nach praktikablen Kompromissen zwischen Serben
und Albanern gesucht, schließlich verhandelte der Finne Ahtisaari für die
UN. "Wir schulen trotz allem die bisherige einheimische Administration und
bereiten den Übergang zur Unabhängigkeit vor. Es müssen ja dann viele
Gesetze auf der Grundlage des Ahtisaari-Plans geändert werden."
Doch ob das noch sinnvoll ist, weiß niemand mehr. Die UN-Mission baut sich
selbst schon ab und verkauft ihre Geländewagen. Dabei war alles so schön
ausgedacht. Die UN sollte in diesem Sommer von einer EU-Administration
abgelöst werden. Und die sollte die Umsetzung des UN-Plans überwachen, die
Minderheitenrechte sichern, dem Land helfen, wirtschaftlich auf die Beine
zu kommen.
Was jetzt kommt, steht in den Sternen. Der neu geformten Troika aus Europa,
den USA und Russland, die an diesem Wochenende ihre Verhandlungen mit
Serben und Albanern aufgenommen hat, werden bei anderen hohen
UN-Funktionären kaum Chancen für eine diplomatische Lösung eingeräumt. Am
besten wäre es nach deren Meinung, nach den jetzt für die Verhandlungen
anberaumten 120 Tagen, die Kosovoregierung zu ermuntern, die Unabhängigkeit
selbst auszurufen und ihr nahe zu legen, den Serben den UN-Plan weiterhin
anzubieten. Doch ob so ein Manöver gelingt, dafür will inzwischen niemand
mehr bürgen.
Schon gar nicht öffentlich. Denn es gibt einige Querschüsse, nicht nur
durch Russland und Serbien, die weitere Unsicherheit erzeugen. Der
Außenbeauftragte der Europäischen Union, Javier Solana, Schwedens
Premierminister Carl Bildt und der französische Außenminister Bernard
Kouchner und noch einige andere Politiker der EU sollen nach hohen
diplomatischen Quellen vor zwei Wochen geheim zusammengesessen sein und
über eine Föderation Serbien-Kosovo nachgedacht haben. Und kaum kam die
Troika nach Priðtina, erklärte der Vertreter der EU, Wolfgang Ischinger,
das Kosovo könnte zwischen Serben und Albanern territorial aufgeteilt
werden, wenn beide Parteien zustimmten.
Trotz des gleich darauf erfolgten Dementis in beiden Fällen zeigt der
Vorgang, welche Fallstricke die diplomatische Welt bereithält. In der
albanischen Öffentlichkeit hat das alles heftige Diskussionen ausgelöst.
Schon bei der Einfahrt in die östlich von Priðtina nahe der serbischen
Grenze gelegene, 80.000 Einwohner zählende Stadt Podujevo spürt man die
steigende Spannung. Hier ist die Arbeitslosigkeit extrem hoch und soll bei
60 Prozent liegen. Aber niemand weiß das so genau. Wer Arbeit hat, schuftet
zwölf Stunden für einen Hungerlohn von weniger als 10 Euro. Einige
Gastarbeiter und ehemalige Flüchtlinge verleben ihre Ferien hier. "Viele
Verwandte und Nachbarn hungern regelrecht", berichtet Fadil Blakcori, der
in Berlin-Neukölln eine Kneipe betreibt. "Ich versuche zu helfen, wo es
geht, doch meine Mittel sind begrenzt." Und ein Nachbar unterstützt ihn:
"Wenn uns die Welt noch weiter hinhält und uns nicht endlich einen Status
verschafft, mit dem die Wirtschaft sich entwickeln kann, gibt es einen
Aufstand."
Der Nachbar meint es ernst. So wie auch die ehemaligen Kämpfer der
Kosova-Befreiungsorganisation UÇK. Sie drucksen zwar herum. Verweisen auf
das Wort der Amerikaner. Präsident Bush habe nach dem G-8-Gipfel in
Deutschland in Tirana die Unabhängigkeit des Kosovos in diesem Jahr
versprochen. Doch sollte es im Dezember keine Unabhängigkeit des Kosovos
geben, fiele ihnen schon etwas ein. Die Albaner könnten dann auch in den
Nachbarländern aktiv werden, drohen sie.
Im südserbischen und mehrheitlich von Albanern bewohnten Bujanovac kam es
schon vor zehn Tagen zu ersten Schießereien zwischen serbischer Polizei und
einer Gruppe von Bewaffneten. Und in Mazedonien ist ein Viertel der
Bevölkerung albanisch. "Sollte weiter über die Teilung des Kosovos
spekuliert werden, sollte die gesamte internationale Gemeinschaft ihre
Koffer packen", erregt sich Enver Hoxhaj, Mitglied des kosovo-albanischen
Verhandlungsteams. "Das bedeutete eine völlige Umkehr der internationalen
Politik." Dann würden neue Grenzen auf dem Balkan entlang ethnischer Linien
gezogen mit unabsehbaren Folgen für Serbien, Mazedonien, Bosnien und andere
Länder.
14 Aug 2007
## AUTOREN
Erich Rathfelder
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