# taz.de -- Abschuss von russischem Kampfjet: Höhepunkt einer Auseinandersetzu… | |
> Die Türkei schießt einen russischen Kampfjet ab – im Grenzgebiet zu | |
> Syrien, wo die russische Luftwaffe syrische Turkmenen bombardiert. | |
Bild: Der brennende Kampfjet vom Typ Su-24 beim Absturz. | |
Istanbul taz | Erstmals seit dem Einsatz der russischen Luftwaffe im | |
syrischen Bürgerkrieg ist am Dienstagmorgen ein russisches Kampfflugzeug | |
abgeschossen worden. Die Verantwortung dafür hat unmittelbar danach die | |
türkische Luftwaffe übernommen. | |
Der russische Kampfbomber, so erklärte der türkische Generalstab, habe | |
mehrmals den türkischen Luftraum verletzt. Er sei per Funk insgesamt | |
zehnmal auf die Luftraumverletzung hingewiesen worden, bevor dann der | |
Befehl zum Abschuss durch zwei F-16-Piloten erfolgt sei. Das russische | |
Verteidigungsministerium bestätigte wenig später den Abschuss, bestritt | |
aber energisch, den türkischen Luftraum verletzt zu haben, und stellte | |
Satellitenfotos ins Netz, die das belegen sollen. | |
Das fragliche Gebiet, in dem das russische Flugzeug in den türkischen | |
Luftraum eingedrungen sein soll, ist ein Zipfel, der südlich der Stadt | |
Yayladağı nach Syrien hineinragt. Über diesem Zipfel sei das Flugzeug | |
getroffen worden, dann aber noch bis in den syrischen Luftraum | |
weitergeflogen und dort abgestürzt, hieß es von türkischer Seite. | |
Auf Videobildern ist zu sehen, wie der Kampfbomber in einem Feuerschweif zu | |
Boden stürzte. Die beiden Piloten konnten sich mit ihrem Schleudersitz aus | |
dem Jet herauskatapultieren. Wenig später wurde auf YouTube ein Video | |
veröffentlicht, auf dem ein Pilot von jubelnden Rebellen umringt tot am | |
Boden liegt. Der Verbleib des zweiten Piloten ist noch unklar. | |
## Krisensitzung der Nato | |
Noch am Vormittag tagten in Moskau wie in Ankara die Krisenstäbe. Am | |
späteren Nachmittag tritt die Nato auf Antrag der Türkei zu einer | |
Sondersitzung in Brüssel zusammen. Die türkischen Vertreter informierten | |
über den Zwischenfall, ein Antrag auf militärischen Beistand wurde nicht | |
gestellt. | |
Die türkische Regierung wies dagegen darauf hin, dass der Zwischenfall | |
nicht die erste Verletzung des türkischen Luftraums gewesen sei. Man habe | |
die russische Regierung mehrfach auf entsprechende Grenzverletzungen | |
hingewiesen und dagegen protestiert. Erst am letzten Freitag war der | |
russische Botschafter in Ankara ins Außenministerium einbestellt worden. | |
Man hatte ihn darauf hingewiesen, dass es bei einer neuerlichen Verletzung | |
des türkischen Luftraumes zu einer militärischen Antwort kommen würde. | |
Dem Abschuss des russischen Jets waren Tage ständig steigender Spannung | |
vorausgegangen. Russlands Luftwaffe im Verein mit der syrischen Luftwaffe | |
und Bodentruppen des Assad-Regimes starteten vor rund zehn Tagen eine | |
Offensive im Nordwesten Syriens. | |
In dieser Region leben Turkmenen vom Stamm der Bayırbucak, die mit der | |
Türkei eng verbündet sind. Mehrfach hatte die türkische Regierung in den | |
letzten Tagen protestiert, dass diese turkmenischen Dörfer von russischen | |
und syrischen Kampfflugzeugen bombardiert worden waren. | |
Türkische Fernsehsender zeigten Bilder von Turkmenen, die aus ihren Dörfern | |
flohen und sich in provisorischen Zeltlagern entlang der türkischen Grenze | |
einrichteten. Der türkische Ministerpräsident Ahmet Davutoğlu hatte bereits | |
angekündigt, die Angriffe auf die Turkmenen vor den UN-Sicherheitsrat zu | |
bringen. | |
## Signal an Putin und Obama | |
Tatsächlich ist der Abschuss des russischen Kampfjets der Höhepunkt einer | |
Auseinandersetzung, die seit rund drei Jahren um ein Gebiet geführt wird. | |
Ganz offen liefert die Türkei Waffen an die Turkmenen, inoffiziell auch an | |
die Islamisten, die dort gegen die Truppen des Assad-Regimes kämpfen. Der | |
Vormarsch der mit al-Qaida verbündeten Nusra-Front im Frühjahr war der | |
Anlass, warum Russland mit eigenen Flugzeugen in Syrien eingegriffen hatte, | |
offenbar in der Sorge, Assads Gegnern könnte es gelingen, die regimetreuen | |
Städte Latakia und Tartus anzugreifen. | |
Die jüngste Offensive russischer und syrischer Truppen gemeinsam mit | |
Milizen der libanesischen Hisbollah entlang der Mittelmeerküste in Richtung | |
türkischer Grenze hängt offenbar damit zusammen, dass Assad mit | |
Unterstützung seiner russischen und iranischen Verbündeten dieses für ihn | |
lebenswichtige Gebiet zurückerobern will, bevor im Januar die in Wien | |
verabredeten Waffenstillstandsverhandlungen beginnen sollen. | |
Genau das aber will die Türkei verhindern. Die jetzt bedrängten Islamisten | |
und Turkmenen sind genau diejenigen Milizen, die aus Ankara seit Jahren | |
auch mit Waffen unterstützt werden. Das umkämpfte Gebiet ist eine der | |
Regionen, in der Präsident Rezep Tayyip Erdoğan seit Langem eine | |
Flugverbotszone eingerichtet sehen will – das aber wäre nur mit massiver | |
amerikanischer Unterstützung möglich, die von US-Präsident Barack Obama | |
abgelehnt wird. | |
Der Abschuss des russischen Kampfflugzeugs ist deshalb auch ein Signal von | |
Ankara an den russischen Präsidenten Wladimir Putin und an US-Präsident | |
Obama, dass die Türkei nicht tatenlos zusehen werde, wie die von ihr | |
unterstützten Anti-Assad-Militanten jetzt vor einem möglichen | |
Waffenstillstand vernichtet werden. | |
24 Nov 2015 | |
## AUTOREN | |
Jürgen Gottschlich | |
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