# taz.de -- Nach den Terroranschlägen in Paris: Bürgerrechte auf halbmast | |
> Ausgehverbot, Durchsuchungen ohne Gerichtsbeschluss, Personenverkehr | |
> eingeschränkt – Frankreich lebt im Notstand und in Trauer. | |
Bild: Die Rechte der französischen Polizei sind massiv ausgedehnt worden. | |
PARIS taz | Mit einer Schweigeminute gedachte ganz Frankreich am | |
Montagmittag um 12 Uhr der Opfer der Attentate vom Freitag. Staatspräsident | |
François Hollande ging dazu mit Premierminister Manuel Valls zu den | |
Studierenden der Sorbonne-Universität. Er hat diesen symbolischen Ort für | |
die Schweigeminute gewählt, weil es die Pariser Jugend war, die von | |
Terroristen attackiert worden ist. | |
Noch bis Tagesende am Dienstag dauert die angeordnete Nationaltrauer. Die | |
Fahnen stehen auf halbmast, seit Samstag sieht man Kerzen in Gläsern, die | |
vor vielen Fenstern zum Zeichen der Einheit gegen den Terrorismus flackern. | |
Trotz eines Kundgebungsverbots versammeln sich in allen Städten des Landes | |
immer wieder die Menschen auf Plätzen. Sie haben das Bedürfnis, wenigstens | |
mit solchen Gesten etwas tun zu können, um mit der Trauer und Angst nicht | |
alleine zu sein. | |
„Même pas peur“ (Kein bisschen Angst) steht auf einem an der Statue auf der | |
Place de la République befestigten Transparent. Daneben die lateinische | |
Devise der Stadt „Fluctuat nec mergitur“ (Sie schwankt, aber sinkt nicht), | |
die eine schreckliche Aktualität erhalten hat. Auch im Internet wollen sich | |
die Leute gegenseitig Mut machen: „Ich sitze auf einer Terrasse“, schreiben | |
viele auf Facebook oder Twitter, andere proklamieren, sie gingen nun erst | |
recht ins „Bistro“. | |
Enorm sind auch die Erwartungen gegenüber der Staatsführung. Die Priorität | |
des französischen Staates ist es, die Bürger und Bürgerinnen, so gut wie | |
dies nur möglich ist, vor weiteren Attacken zu schützen und beabsichtigten | |
Terroranschlägen mit Überwachungs- und Präventivmaßnahmen zuvorzukommen. | |
Präsident Hollande hat deshalb den Notstand über Frankreich verhängt. | |
## Der „schwarze Freitag“ | |
Dieser ermächtigt die Sicherheitskräfte unter anderem, ein Ausgehverbot zu | |
beschließen, den Personenverkehr einzuschränken, außerhalb der rechtlichen | |
Bestimmungen Kontrollen durchzuführen und auch ohne richterlichen Befehl | |
Häuser zu durchsuchen. Die Polizei kann Personen, die ein Sicherheitsrisiko | |
darstellen könnten, unter Hausarrest stellen und die Sicherheitskräfte | |
können die Grenzen (im Einklang mit dem Schengen-Abkommen) schließen. | |
Diese in einem Gesetz von 1955 vorgesehenen Maßnahmen sind sofort in Kraft | |
getreten und dienen auch der Fahndung nach Komplizen und der Verhinderung | |
von terroristischen Plänen. Die Dauer ist nach dem Regierungsdekret auf | |
zwölf Tage beschränkt. | |
In so kurzer Zeit werden weder die Ermittlungen zum „schwarzen Freitag“ | |
abgeschlossen sein, noch wird die Gefahr neuerlicher Attentate gebannt | |
sein. Staatspräsident Hollande hat deshalb am Nachmittag in einer Ansprache | |
vor den beiden zum Kongress vereinten Parlamentskammern eine Verlängerung | |
des Notrechts für drei Monate verlangt. Für ihn geht es darum zu zeigen, | |
dass die Staatsspitze völlig entschlossen ist, diesen „Krieg“ zu gewinnen. | |
## Selbst Le Pen eingeladen | |
Hollande braucht dazu das Vertrauen und die Mithilfe aller. Zu diesem Zweck | |
hatte Hollande am Sonntag versöhnlich die Vorsitzenden aller Parteien | |
eingeladen, auch der Opposition, unter ihnen Exstaatspräsident Nicolas | |
Sarkozy und die Chefin des rechtsextremen Front National, Marine Le Pen. | |
Beim Kongress im Schloss von Versailles war die nationale Einheit nur noch | |
schöne Fassade. Die Opposition verhehlt nicht, dass sie schwere Zweifel an | |
der Kompetenz und Entschlossenheit der Staatsführung hegt. Noch beim | |
Verlassen des Élysée-Palasts am Sonntag hatte Sarkozy die bisherige | |
Sicherheitspolitik kritisiert. | |
Viele Experten wie der frühere Antiterror-Untersuchungsrichter Marc | |
Trévidic haben die Behörden und die Öffentlichkeit seit Monaten vor | |
Schlägen in bisher ungeahntem Ausmaß gewarnt. „Wir sind nunmehr im Zentrum | |
des Zyklons, das Schlimmste steht uns noch bevor“, hatte Trévidic vor einem | |
Monat in Paris-Match erklärt.Wurde die Warnung von der Staatsführung nicht | |
genügend ernst genommen? Die Opposition wirft Hollande vor, aus den | |
Attentaten vom Januar gegen Charlie Hebdo und den jüdischen Supermarkt | |
„HyperCasher“ nicht die richtigen Lehren gezogen zu haben. | |
## Hardliner-Regierung | |
Hollande und die Regierung stehen unter extrem starkem Druck, sie werden | |
nun zu Hardlinern, und sie werden zu Mitteln greifen, die sie vorher aus | |
Rücksicht auf die Bürgerrechte und die Privatsphäre vermeiden wollten. Der | |
Notstand kann sich so unversehens in den Normalzustand entwickeln. | |
Schon die kürzliche Verschärfung der massiven Überwachung der Telefon- und | |
Internetkommunikation im Namen der Terrorismusbekämpfung wurde von Gegnern | |
mit dem „Patriot act“ in den USA nach dem 11. September 2001 verglichen. | |
Be-sonders ist ihnen die weitreichende und unkontrollierbare Speicherung | |
von Kommunikationsdaten bei den Providern mit einer Art Blackbox (dem | |
sogenannten IMSI-Catcher) ein Dorn im Auge. | |
Nicht nur aus der Opposition, sondern auch aus dem Regierungslager kommen | |
Vorschläge, um für eine wirksamere Prävention des Terrorismus „härtere | |
Saiten“ aufzuziehen. Der konservative Bürgermeister von Nizza, Christian | |
Estrosi, sagt im Klartext, was die anderen in diesem freiheitsliebenden | |
Land so nicht ausdrücken wollen: „Wir müssen akzeptieren, dass gewisse | |
Freiheiten eingeschränkt werden.“ Sein Parteikollege Laurent Wauquiez | |
fordert die Internierung von radikalisierten Islamisten, Sarkozy möchte | |
sich auf eine Überwachung mit elektronischen Fußfesseln beschränken. | |
Aber auch Premierminister Valls geht in diese Richtung, er will vermehrt | |
verurteilten Terroristen die französische Nationalität entziehen und droht | |
mit der Schließung von Moscheen, in denen Hassprediger auftreten. In | |
Frankreich herrscht ein zeitlich befristeter Notstand, doch diese | |
Ausnahmesituation droht zum Normalzustand zu werden. Wenn aber ausgerechnet | |
die Freiheit, um die es beim Kampf gegen den Terrorismus geht, aus | |
vermeintlichen Effizienzgründen geschwächt und vermindert wird, dann hätten | |
die Attentäter gewonnen. | |
16 Nov 2015 | |
## AUTOREN | |
Rudolf Balmer | |
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