| # taz.de -- Russland und der Terror in Frankreich: „Selber schuld“ | |
| > Nach den Anschlägen in Paris rechnen die Kreml-nahen Medien mit dem | |
| > Westen ab. Die Opfer werden für Moskaus Politik missbraucht. | |
| Bild: Ein Mann legt vor der französischen Botschaft in Moskau Blumen zum Geden… | |
| Moskau taz | Die ersten Besucher legten noch in der Nacht nach den Pariser | |
| Anschlägen Blumen vor der französischen Botschaft in Moskau nieder. Eine | |
| lange Schlange von Trauernden zog sich schon am Morgen zwischen der | |
| U-Bahnstation „Oktober“ bis zur Botschaft hin. Das Blumenmeer war zu einem | |
| Blumenberg angewachsen. „Frankreich und Russland sind eins“ stand auf | |
| selbstgemalten Zetteln. „Hört auf mit dem Krieg“, verlangte ein anderer auf | |
| Französisch. „Wir sind bei Euch“ versicherten viele. | |
| Die Menschen zeigten spontane Anteilnahme auch in einer Zeit, in der der | |
| Westen wieder als Feind herhalten muss. Die Moskauer haben Erfahrungen mit | |
| Terroranschlägen, auch mit ähnlich blutigen. 2002 nahmen Terroristen die | |
| Besucher des Musicaltheaters „Nord-Ost“ als Geiseln. Nach der Befreiung | |
| waren 170 Todesopfer zu beklagen. | |
| Samstag Früh kondolierte auch Präsident Wladimir Putin. Er sicherte den | |
| Franzosen Solidarität zu und rief zum „Kampf gegen das Böse“ auf. Die | |
| internationale Gemeinschaft müsse sich zu einem effektiven Kampf gegen den | |
| Teufel vereinen, meinte Putin. „Diese Tragödie ist ein erneuter Beweis für | |
| die Barbarei des Terrors, der für die Zivilisation eine Herausforderung | |
| ist.“ | |
| Zweimal nach längerer Pause wandte sich der Kremlchef mit Worten des | |
| Beileids an die Franzosen. Doch nicht nur an sie. Der Refrain war ein | |
| Signal an die russischen Medien, die sich nach dem Bekanntwerden der | |
| Tragödie in eine schonungslos Ressentiment geladene Analyse gestürzt | |
| hatten. Das Kondolieren und den Anstand hatten sie darüber fast vergessen. | |
| Sie sollten sich zurücknehmen, signalisierte der Kremlchef, statt einen | |
| Kreuzzug zu führen. Zumindest in diesem Moment. | |
| ## Den Westen vorführen | |
| In der Nacht hatten die Medien mit Europa, dessen Werten und Lebensweise | |
| abgerechnet. Manche sogenannten Experten nahmen kein Blatt vor den Mund: | |
| Schuld seien die Franzosen, meinten viele. Die Analytiker wirkten nicht | |
| ruhig, sie waren aufgewühlt, wie besessen. Nicht vom fremden Leid, sondern | |
| von der ungeahnten Möglichkeit, den Westen im Angesicht seines Schreckens | |
| vorzuführen. Ihm vorzuhalten, was er aus russischer Sicht falsch macht. Die | |
| Nacht der Tragödie wurde zu einer Lektion in russisch reaktionärer | |
| Heilsphilosophie. Nur Moskau hält Lösungen parat, die die Welt retten | |
| können, wurde suggeriert. | |
| Kübelweise wurde Frankreich mit Dreck übergossen, von Verbrechen aus der | |
| Kolonialzeit bis zur Respektlosigkeit der gottlosen Karrikaturisten von | |
| Charlie hebdo. Nichts wurde ausgelassen. Sind die Franzosen nicht selbst | |
| schuld? Waren nicht wir es, die es Euch schon immer gesagt haben! Doch ihr | |
| wollt nicht auf uns hören, erregte sich ein Experte. Manches klang, als | |
| würde Tschetscheniens Autokrat Ramsan Kadyrow seine fundamentalistische | |
| Lebenssicht verbreiten. Als Sprachrohr der Reaktion ist er in Russland gut | |
| gelitten, als Tschetschene weniger. | |
| Schamlos wurden die Terroropfer noch einmal für Moskaus Politik | |
| missbraucht. Francois Hollandes Ankündigung die Grenzen wieder zu | |
| kontrollieren, ließ den Politologen Absalow aufatmen. Hollande hätte jetzt | |
| freie Hand, den Machtausbau nach innen zu stärken. Gemeint war, die | |
| Demokratie abzubauen. Der Star-Moderator vom TV-Kanal „Rossija 1“, Wladimir | |
| Solowjew, schien sichtlich erleichtert:“ Wenn ein Land Krieg führt, kann es | |
| unmöglich weiter eine Politik der offenen Türen betreiben.“Solowjow erträgt | |
| die Flüchtlinge nicht, die nach Europa kommen. Sie sind für ihn Ausdruck | |
| von Toleranz und Multikulti, einem gescheiterten Konzept, meint er. | |
| ## Auf Freiheiten verzichten | |
| Andere waren sich einig, dass in Frankreich umgehend der Polizeistaat | |
| eingeführt werde. Die Zeit sei reif, auf Freiheiten zu verzichten. Der | |
| Westen „muss das endlich einsehen“. | |
| Seltsamerweise erwähnte niemand den Terroranschlag auf den russischen | |
| Airbus A321 vor zwei Wochen. Als hätte es diesen nie gegeben. Mit 224 Toten | |
| forderte er noch mehr Opfer als der Anschlag in Paris. Sie sind längst | |
| vergessen, weil der Kreml es so will. Er fürchtet sich vor dem | |
| Eingeständnis, den Terror unterschätzt zu haben. Russland wittert im | |
| europäischen Leid indes eine Chance, durch die Rückkehr zu vormodernen | |
| Werten, sich des Makels entledigen zu können, ein Unrechtsstaat zu sein. | |
| Alexej Puschkow, Vorsitzender und Falke des Außenpolitischen Ausschusses | |
| der Duma, hält den Zeitpunkt der Zusammenarbeit jetzt für gekommen. Die | |
| Nato solle dem IS den Krieg erklären, statt sich in „Russophobie zu | |
| ergehen“ und das „Hirngespinst einer Bedrohung durch Russland“ an die Wand | |
| zu malen. Schließlich jage der IS Europa gerade in die Luft. | |
| 16 Nov 2015 | |
| ## AUTOREN | |
| Klaus-Helge Donath | |
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