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# taz.de -- Nachrichten nach den Attentaten: Säbelrasseln auf Papier
> Unaufhörlich rattern die Liveticker. Journalisten rufen zum Krieg auf.
> Berichterstattung ist längst Teil des Terrors geworden.
Bild: Zeitungen, die Krieg spielen.
Jedes Attentat hat seine Bilder, die bleiben. Beim 11. September sind es
die Feuerwolken, die aus den Türmen schlagen. Beim Anschlag in Madrid,
2003, sind es Zugabteile, die wie Spielzeugeisenbahnen herumliegen. Bei
Charlie Hebdo ist es das Video, das die Attentäter zeigt, wie sie
triumphierend und mit ihren Kalaschnikows wedelnd die Redaktion verlassen.
Und welche Bilder werden es diesmal sein?
Egal welche bleiben, jedenfalls werden sie wieder nicht bei allen
Betrachtern Betroffenheit und Angst hervorrufen. Denn für die Attentäter
selbst sind sie Ikonografien ihres Terrors. Triumphe, Werbebotschaften,
verbreitet von den Medien.
Ein Handyvideo, das zeigt, wie Menschen aus dem Konzertsaal Bataclan
fliehen, wie einige an Fenstersimsen hängen, andere zusammenbrechen, andere
reglose Menschen hinter sich herziehen, geisterte erst durch die sozialen
Netzwerke und stand später auf den Nachrichtenseiten.
Abgesehen davon, dass man sich fragen kann, ob es die Aufgabe einer
Nachrichtenseite ist, solche Videos zu verbreiten, zeigt das Beispiel auch,
wie sich in Extremsituationen medienethische Standards aufweichen: Bilder
und Namen von Opfern werden veröffentlicht, Videos und Fotos direkt von den
Attentaten.
Aber auch handwerkliche Standards leiden. Im hyperventilierenden
Onlinegeschäft geht es um Minuten. Da verwischt schon mal die Genauigkeit,
da muss schon mal das Zweiquellenprinzip leiden, da werden Kleinigkeiten zu
Nachrichten aufgeblasen, und da nimmt man es nicht so genau mit der
journalistischen Aufgabe der Reduktion von Komplexität.
Am Sonntagabend verschickten Spiegel Online, Zeit Online und ZDF „heute“
Eilmeldungen: Neue Schüsse in Paris, Massenpanik. Kurz darauf: falscher
Alarm. Die Richtigstellung erfolgte in den Livetickern, die seit Freitag
unaufhörlich rattern.
## Nicht vergessen: Schweigeminute
Eine willkürliche Auswahl des [1][Livetickers von Spiegel Online] gestern:
„10.07 Uhr: Eine kleine Erinnerung: Um 12 Uhr heute Mittag soll es eine
Schweigeminute geben [...].“, 11.33 Uhr: „Vor dem Bataclan in Paris
bereiten sich die Trauernden auf die Schweigeminute um 12 Uhr vor“. 11.47
Uhr: „Zeichen gegen den Terror: Für 12 Uhr haben die Staats- und
Regierungschefs der EU zu einer Schweigeminute aufgerufen“. 12 Uhr: „In
ebendiesem Moment gedenken Menschen in Frankreich und ganz Europa der Opfer
von Paris mit einer Schweigeminute.“ 12.08 Uhr: Ein Foto von stillen
Menschen mit der Unterzeile: „Menschen gedenken in Paris der Opfer der
Anschläge mit einer Schweigeminute“.
Es ist ein altes Dilemma: Das Interesse an Informationen ist riesig, die
Erkenntnisse sind (noch) gering. Die Liveticker peitschen dieses Problem,
auch gezwungen durch die sozialen Netzwerke, weiter voran. Beim Leser
entstehen dadurch Gehetztheit, Nervosität und Verwirrung: Welche
Information ist wichtig, welche nicht? Nach der Lektüre ist man kaum
schlauer als vorher.
## Wir rüsten auf
Aber nicht berichten ist auch keine Option. Leser, ZuschauerInnen und
Zuhörer haben ein Recht auf Informationen. Wie also wird man dem gerecht?
Wie so oft liegt die Antwort im Wie – und auch da verlieren einige Medien
in diesen Tagen jegliches Maß. Das Handelsblatt titelte am Montag
[2][“Weltkrieg III“], die [3][Frankfurter Allgemeine Sonntagszeitung
„Weltkrieg“], die Bild am Sonntag „Krieg“.
Und es sind nicht irgendwelche Autoren. Springer-Chef Mathias Döpfner
[4][schrieb in der Welt]: „Die westlichen Demokratien stehen vor einer
schicksalshaften Frage: Wie wollen wir unsere viel beschworene Freiheit
verteidigen? Oder noch archaischer: Unterwerfung oder Kampf?“ Berthold
Kohler, FAZ-Herausgeber, schrieb: „In der muslimischen Welt ist ein
Ungeheuer herangewachsen, das seine Tentakeln um die ganze Welt schlingen
möchte [...] Das Ungeheuer hat viele Köpfe und Arme, die immerfort
nachzuwachsen scheinen, wenn man sie abschlägt.“
Das, was nach dem 11. September George W. Bush mit seiner „Achse des Bösen“
und dem „War on Terror“ geliefert hat, liefern jetzt einige Chefredakteure
und Herausgeber. Säbelrasseln auf Papier. Den IS, der für seine
[5][wirksame Propaganda in den sozialen Medien] bekannt ist, dürfte solche
Rhetorik freuen. Sie ist das Gegenteil des mantraartigen „Wir lassen uns
keine Angst machen“. Sie transportiert eher: Wir lassen uns nicht nur Angst
machen, wir rüsten sogar schon mal auf.
17 Nov 2015
## LINKS
[1] http://www.spiegel.de/politik/ausland/paris-newsticker-grossbritannien-will…
[2] http://www.handelsblatt.com/my/politik/international/terror-von-paris-weltk…
[3] http://www.faz.net/aktuell/politik/terror-in-paris/der-kampf-gegen-den-terr…
[4] http://www.welt.de/debatte/kommentare/article148853786/Nicht-unterwerfen-so…
[5] /!5035248/
## AUTOREN
Anne Fromm
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