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# taz.de -- Medienkritik nach Paris-Terror: ARD World Service
> Auf die Anschläge in Paris haben ARD und ZDF langsam reagiert. Brauchen
> wir einen öffentlich-rechtlichen 24-Stunden-Nachrichtensender?
Bild: Für ein modernes Tagesschau-Studio war durchaus Geld vorhanden.
Als am Dienstagabend die Furcht herrschte, der Terror könnte auch in
Deutschland angekommen sein, sendete die ARD erst einmal „Wissen vor acht“
über die Paläo-Diät, das ZDF „Die Rosenheim-Cops“. Um 19.14 Uhr war die
erste Meldung rausgegangen, dass das Länderspiel zwischen Deutschland und
den Niederlanden in Hannover abgesagt sei. Die Nachricht verbreitete sich
schnell im Netz. Ab 20 Uhr bemühte sich Judith Rakers in der regulären
„Tagesschau“ um Aufklärung. Claus Kleber folgte eine Viertelstunde später
im ZDF. Sind 46 Minuten zu lang? Ist eine Stunde zu lang?
Am Freitag zuvor ließen sich die vielen Informationen noch langsamer zu
einem halbwegs erkennbaren Bild zusammenpuzzlen. Es hatte zunächst nahe des
Stadions, wo die französische Nationalmannschaft gegen die deutsche
spielte, geknallt. Französische Fernsehsender melden kurz vor 22 Uhr, dass
es in der Pariser Innenstadt mehrere Schießereien gegeben habe. „Bei den
Nachrichten, die jetzt bekannt werden, fällt’s schwer über Fußball zu
sprechen”, sagte Kommentator Tom Bartels um 22.15 Uhr.
Er musste noch lange durchhalten. Das Erste blieb bis 23.01 Uhr beim
Fußball, sendete dann ein kurzes „Tagesschau Extra” aus Hamburg und
schaltete wieder zurück nach Paris ins Stadion. Das ZDF blieb ab 23.07 Uhr
bei seiner Nachrichtensendung „heute journal”. Sind knapp 70 Minuten zu
lang?
Bei Twitter empfanden das viele so. Als die ARD um Mitternacht endlich in
den Nachrichtenmodus schaltete, waren CNN, BBC und andere internationale
Sender längst live drauf. Sind die deutschen Öffentlich-Rechtlichen zu
behäbig?
Das ZDF gibt sich zufrieden mit seiner Berichterstattung: „Die Kollegen
haben bis in die Nacht über den aktuellen Stand der Dinge berichtete”,
teilt ein Sprecher mit. „Die Kritik, das ZDF hätte zu langsam berichtet,
können wir nicht nachvollziehen.”
## ARD verteidigt sich
Kai Gniffke, Chefredakteur von „ARD Aktuell” weist schon allein die Frage
zurück: „Ein Terroranschlag und die Berichterstattung darüber sind kein
Rattenrennen, und sie sind kein Schönheitswettbewerb“, sagte er am Montag
in Berlin. Die ARD habe deswegen so lange live aus dem Stadion berichtet,
weil seiner Meinung nach der „schockierte Zustand dieser Stadt” nirgendwo
authentischer zu transportieren gewesen sei. Diese Wahrnehmung dürfte
Gniffke recht exklusiv gehabt haben. Andere berichteten spätestens ab 23
Uhr aus der Pariser Innenstadt.
Keine Frage: In einer so unübersichtlichen Nachrichtenlage wie am
Freitagabend kann Schnelligkeit nicht das einzige Gebot in Redaktionen
sein. Wer an diesem Abend CNN sah, erlebte, wie zu viel Sendestrecke mit zu
wenigen Informationen und umso mehr Spekulationen gefüllt wurde.
Andererseits führte die zögerliche und häppchenweise Berichterstattung der
ARD eben auch dazu, dass Zuschauerinnen und Zuschauer im Ersten nicht ihren
Anker in der Nachrichtenbrandung fanden. Wer Halt suchte, musste selbst
suchen.
Hätte in dieser Situation nicht ein öffentlich-rechtlicher Nachrichtenkanal
geholfen? Ein Sender, der auf das weltweite Korrespondentennetz zugreifen
kann, dessen Moderatoren geschult sind, schnell und souverän zu reagieren,
und der live gehen kann, sobald in der Welt etwas passiert. Die BBC hat so
einen Sender: BBC World Service. In den USA gibt es CNN. In der arabischen
Welt Al-Dschasira. In Frankreich France24, in Israel I24. Warum leisten
sich die Öffentlich-Rechtlichen so einen Kanal nicht?
Die ARD wollte sich gegenüber der taz.am wochenende nicht zu dieser Frage
äußern. Man wolle der Intendantentagung, die zu Beginn kommender Woche
stattfindet, nicht vorgreifen, hieß es. Im RBB-“Medienmagazin” am Samstag
sagte der stellvertretende ZDF-Chefredakteur Elmar Theveßen, dass man sich
manchmal einen solchen Sender wünsche. Er sei aber der Meinung, dass man
gut informiert habe, immer dann wenn es passiert sei. „Das ist, glaube ich,
der richtige Weg, weil alles andere auch manchmal zu schnell zu
Spekulationen einlädt.”
## Jeder kocht eigenes Süppchen
ARD und ZDF haben jeweils einen Infokanal in ihrem Spartenprogramm:
Tagesschau24 sendet permanent kurze Nachrichten und zweitverwertet Berichte
aus den Informationssendungen des Ersten und der Dritten Programme,
allerdings nicht rund um die Uhr moderiert. ZDF info zeigt vor allem
Dokumentationen und Wiederholungen von Servicesendungen.
Gemeinsam betreiben ARD und ZDF außerdem Phoenix, den offiziellen Ereignis-
und Dokumentationskanal. Dessen Jahresbudget haben ARD und ZDF erst in
diesem Jahr um zwei Millionen Euro erhöht, auf 38,5 (im Jahr 2015) bzw. 39
Millionen (2016). Das Geld soll für „unvorhersehbare Ereignisse“ und
„Sondersendungen“ ausgegeben werden – also für solche Ereignisse wie in …
vergangenen Woche.
Trotzdem: In nachrichtlichen Großlagen kocht jeder Sender sein eigenes
Süppchen.
Ändern könnte das nur die Politik, gemeinsam mit den Sendern. Dafür
bräuchte es einen offiziellen Auftrag und eine Novellierung der
Rundfunkstaatsverträge. Von den Medienpolitikern von Union, SPD und Grünen,
plädiert aber niemand für einen neuen Nachrichtensender. „ARD und ZDF
müssen jederzeit ‚Brennpunkt‘-fähig oder ‚ZDF-spezial‘-fähig sein. D…
besitzen sie gut ausgestattete Redaktionen”, sagt Marco Wanderwitz von der
CDU. Auch Tabea Rößner, Medienbeauftragte der Grünen, findet das aktuelle
Angebot ausreichend: „Selbst ein neuer Nachrichtensender hat nicht
augenblicklich eigene Kamerateams vor Ort.”
## Politik will nicht
In einem Punkt sieht Marc Jan Eumann, Staatssekretär für Medien in
Nordrhein-Westfalen und Vorsitzender der SPD-Medienkommission, allerdings
Reformbedarf: „Die Frage, die sich stellt, ist: Ist es sinnvoll, dass die
ARD mit Tagesschau24, das ZDF mit ZDFinfo und beide zusammen mit Phoenix,
drei verschiedene Nachrichten-, Informations- und Ereigniskanäle
unterhalten?“
Neu ist diese Frage nicht. Die Rundfunkkommission der Länder hatte ARD und
ZDF im Herbst 2012 schon einmal aufgefordert, die Zahl der Spartenkanäle
(sechs Stück: Eins Festival, Eins Plus, Tagesschau 24, ZDFinfo, ZDFkultur,
ZDFneo) zu reduzieren – auch, um Mitarbeiter, Know-how und Technik zu
bündeln. Im Sommer 2013 legte die rheinland-pfälzische Ministerpräsidentin
Malu Dreyer als Leiterin der Rundfunkkommission der Länder einen
entsprechenden Plan vor.
Ihre Idee war es, nur Tagesschau24 und ZDFneo zu erhalten – und dazu einen
Jugendkanal zu starten. Der Jugendkanal soll nach langen Diskussionen im
nächsten Jahr tatsächlich kommen – dafür weichen EinsPlus und ZDFKultur.
Die Infokanäle bleiben allerdings, wo sie sind. Und der Zuschauer kann bei
der nächsten Nachrichtengroßlage wieder selber auf die Suche nach einem
Anker gehen.
In einer früheren Version des Artikels stand irrtümlich, dass das
EinsFestival im nächsten Jahr dem Jugendkanal weichen müsse.
22 Nov 2015
## AUTOREN
Anne Fromm
Jürn Kruse
## TAGS
ARD
ZDF
Nachrichten
Öffentlich-Rechtliche
Kolumne Unter Druck
Öffentlich-Rechtliche
Radio Bremen
Matthias Matussek
Schwerpunkt Islamistischer Terror
Paris
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