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# taz.de -- Jubiläum bei Radio Bremen: Wie das Radio an die Weser kam
> Die Geschichte des Senders ist eng verknüpft mit Hans Günther
> Oesterreich, vormals Macher beim einflussreichen Soldatensender Radio
> Belgrad.
Bild: Hat die Anfänge von Radio Bremen geprägt: Günther Oesterreich.
Bremen taz | Über den richtigen Zeitpunkt, den Beginn des Bremer
Rundfunkwesens zu feiern, kann man streiten. 1922 gründete Ludwig Roselius,
reich geworden durch die Erfindung des koffeinlosen Kaffees, eine
Gesellschaft namens „Deutsche Stunde für drahtlose Belehrung und
Unterhaltung“.
Am 2. Mai 1924 wiederum nahm die „Nordische Rundfunk AG“ ihren Betrieb auf,
aber für die war Bremen nur ein „Zwischensender“. Dann gab es einen
bescheidenen Mittelwellensender im Dienstgebäude der Post, dessen Antenne
an den Ostturm des Doms geklemmt wurde. Und 1933 gönnten sich die Bremer
tatsächlich einen 90 Meter hohen regulären hölzernen Sendeturm. Nur schlug
in den schon alsbald der Blitz ein.
Man liegt also nicht ganz falsch, wenn man lediglich „70 Jahre Radio
Bremen“ feiert – und damit nicht zuletzt auch an die Geschichte des Mannes
erinnert, der am 23. Dezember 1945 auf dem Balkon des Bremer Rathauses
stand und am Mikrofon kratzte: Das war das Zeichen für den Mann in der
Technik, zum Kinderchor in die Rathaushalle umzuschalten.
Zuvor hatte der Mann, Hans Günther Oesterreich, die epochalen Worte ins
jenes Mikro gesprochen: „Hier ist Radio Bremen“. Und dann: „This is Rädio
Bremen“ – schließlich stand neben ihm auf dem Balkon Edward E. Harriman,
US-Besatzungsoffizier und Schirmherr des Unternehmens.
Erst drei Monate zuvor hatte Oesterreich eine Sende-Lizenz beantragt – und
zwar bei der US Army in Thüringen, wohin es den Journalisten,
Trickfilmzeichner, Theaterregisseur, Maler und Filmemacher bei Kriegsende
verschlagen hatte. Im Herbst 1945 ging Oesterreich zurück in seine
Geburtsstadt Bremen, dort kam dann auch die Sendebewilligung an – quasi die
Geburtsurkunde von Radio Bremen.
Das erste Funkhaus war eine beschlagnahmte Villa an der Schwachhauser
Heerstraße, in deren Herrenzimmer das erste „Studio“ entstand. Neben der
Tanzband des Senders, in der der junge James Last den Bass zupfte, prägten
die von Oesterreich geschriebenen und produzierten Sendungen wie „Wolken,
Wind und Wellen“, „Traumboot“ und natürlich die legendäre „Familie
Meierdirks“ das Programm: In den 50er-Jahren war die Ausstrahlung dieser
Familienserie ein allwöchentlicher Straßenfeger. Die sozialkritischen
Klatsch- und Zankgeschichten, mittendrin deren Erfinder als giftige „Tante
Gesine“, hatten eine Einschaltquote von heute fast unvorstellbaren 66
Prozent.
Oesterreich war ein ebenso spottlustiger wie umtriebiger Geist, der sich
auch im „Dritten Reich“ seine Freiräume suchte. Nach einer ungehörigen
Antwort auf den Hitler-Gruß (“Heil du ihn doch“) emigrierte er nach
Frankreich, von 1937 bis 1939 begleitete er als Kameramann die
Weltumseglung des Telefonbuch-zerreißenden Felix Graf Luckner, während
derer er mit dem „Seeteufel“ allerdings in handfesten Streit geriet. Im
Anschluss entstand unter anderem der Film „Die einsamen Inseln“ – mit Mus…
„nach original Eingeborenen-Melodien“.
Zusammen mit dem späteren „Nick Knatterton“-Erfinder Manfred Schmidt wagte
Österrereich dann die Illustration und Herausgabe einer Anthologie
verbotener Dichter und ließ das Ganze obendrein in einer Druckerei der
Wehrmacht produzieren. 1943 kam es zu einem Prozess wegen „politischer
Psychopathie“, verbunden mit einer – durch die Kanzlei des „Führers“
angestrengten – „Ehenichtigkeitsklage“.
Die andere Adressatin dieser Klage, Oesterreichs Ehefrau Inge, konnte noch
Jahrzehnte später in ihrer Bremer Souterrain-Küche so anschaulich wie
lakonisch von diesen Widrigkeiten berichten.
Oesterreichs „Bewährung an der Front“ endete bei Radio Belgrad, und hier
treffen wieder persönliche Biografie und die Genese von Radio Bremen
aufeinander: denn Radio Belgrad prägte den späteren Radio-Bremen-Gründer.
Der Soldatensender, seit Hitlers Geburtstag 1941 auf Sendung, machte
nämlich keineswegs nur Soldatenfunk. Er erreichte mit seinem
mehrsprachigen, in ganz Europa empfangbaren Programm mehr HörerInnen als
der eigentlich Reichsrundfunk.
Die Zugehörigkeit zur Wehrmacht brachte eine partielle Unabhängigkeit vom
Propagandaministerium, sodass Oesterreich auch verbotenen Hot Jazz auflegen
konnte, angekündigt etwa als Kompositionen eines Herrn „Georg Gerwin“.
Offenbar konnten es sich die Radio-Belgrad-Leute, die mit „Lili Marleen“
einen epochalen Hit in die Welt setzten, sogar leisten, ein von der
Reichskulturkammer erlassenes Mikrofonverbot zu ignorieren. Beanstandet
worden waren „die Klavierfolgen des Unteroffiziers Meyer beim Improvisieren
vor dem Mikrophon“ – dabei seien nämlich Melodien „aus
jüdisch-amerikanischen Filmen“ erkennbar gewesen. Berlin protestierte
vergebens, auch Emissäre des Propagandaministers, darunter der spätere
Bundeskanzler Kurt-Georg Kiesinger, tricksten sie in Belgrad erfolgreich
aus.
Nun wäre es natürlich falsch, die Arbeit von Radio Belgrad als reinen Quell
der Humanität und Widerständigkeit zu interpretieren. So sagt auch
Christian Oesterreich, Sohn des Radio-Pioniers, sehr deutlich:
„Selbstverständlich war der Sender trotz allem auch ein Propaganda-Medium,
das seine Mitarbeiter und deren Kreativität funktionalisierte.“ Aber nicht
umsonst diskutierten Oesterreich und seine Freunde schon in den letzten
Kriegsjahren über den Aufbau eines unabhängigen Radiosenders.
Bei dessen Start war jede Menge Improvisation erforderlich. So kreierte
Oesterreich die Erkennungsmelodie des neuen Senders mit drei gestimmten
Weingläsern: Mit der Tonfolge b-d-e war der lange Zeit prägende
Radio-Bremen-Jingle geboren. Damit ersparte er den Hörern einiges, denn
eigentlich war als Erkennungsmelodie „Wo die Nordseewellen rauschen“
vorgesehen gewesen, auch bekannt als „Friesenlied“.
Als Oesterreich 1990 starb, war sein Baby schon 45 Jahre alt. Ob er es an
dessen 70. Geburtstag noch wiedererkannt hätte?
3 Jan 2016
## AUTOREN
Henning Bleyl
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