# taz.de -- Frankreich verlängert den Notstand: Tausche Freiheit gegen Sicherh… | |
> Verdächtige sollen leichter unter Hausarrest gestellt werden können. | |
> Zudem soll es möglich sein, als gefährlich eingestufte Gruppen | |
> aufzulösen. | |
Bild: Eine Stadt verändert sich: Touristen und Soldaten vor Notre-Dame in Pari… | |
Paris taz | Muss die Freiheit eingeschränkt werden, um die Freiheit zu | |
verteidigen? Die französische Regierung dürfte diese Frage wohl mit Ja | |
beantworten. Die französische Nationalversammlung hat am Donnerstag der | |
Verlängerung des Notstands um drei Monate zugestimmt. Die Abgeordneten | |
sprachen sich zudem für einen Gesetzentwurf aus, mit dem Sicherheitsgesetze | |
verschärft werden sollen und das von 1955 stammende Notstandsgesetz | |
modernisiert werden soll. 551 Abgeordnete stimmten dafür, 6 dagegen. Es gab | |
eine Enthaltung. Am Freitag befasst sich der Senat mit der Vorlage. | |
Im Wesentlichen plant die französische Regierung, das Notstandsrecht in | |
drei Punkten zu verschärfen. So besagt ein Artikel, dass eine Person | |
vorsorglich einem strikten Hausarrest unterstellt werden kann, „wenn | |
ernsthafte Gründe zur Annahme vorliegen, dass sie aufgrund ihres Verhaltens | |
eine Gefahr für die öffentliche Sicherheit und Ordnung darstellt“. | |
Die Definition der Gefährlichkeit wird ausgedehnt: Es reichen | |
beispielsweise Hinweise auf Kontakte mit terroristischen Kreisen via | |
Internet dafür aus. Menschen, für die ein Hausarrest angeordnet wird, | |
müssen sich bis zu dreimal pro Tag bei der Polizei melden oder eine | |
elektronische Fußfessel tragen. | |
Außerdem soll es künftig möglich sein, ohne richterliche Anordnung | |
Wohnungen, Büros oder Fahrzeuge zu durchsuchen und dabei auf | |
Speicherträgern oder auf Clouds gespeicherte Daten zu kopieren. Die | |
Staatsanwaltschaft muss darüber nur informiert werden. Ausgenommen davon | |
sind Büros von Parlamentariern, Anwälten und Journalisten. Gestrichen soll | |
immerhin die vorher bestehende Möglichkeit werden, in Krisen eine | |
Medienzensur einzuführen. Unverändert bleibt eine Passage, die dem | |
Präsidenten eine umfassende Machtfülle einräumt. | |
Drittens soll es möglich werden, Gruppen aufzulösen, die den Terrorismus | |
unterstützen oder für ihn werben. Eine geeignete Kontrolle soll dafür | |
sorgen, dass sie sich nicht in anderer Form neu bilden. | |
## Nach drei Monaten ist noch nicht Schluss | |
Diese neu eingeführte Überwachung der Vereinigungen kann nach den drei | |
Monaten Ausnahmezustand sogar weitergehen. Dafür sorgt eine explizite | |
Verschränkung mit einem kürzlich verabschiedeten Gesetz, das den | |
Nachrichtendiensten weitgehende Freiheiten einräumt. | |
Schon dieses Gesetz hatten Internetaktivisten stark kritisiert. In wenigen | |
Ländern wird die Kommunikation über das Netz bereits so intensiv erfasst | |
und überwacht wie in Frankreich. Auch die Verlängerung des Notstands ruft | |
Kritik hervor: „Ausnahmemaßnahmen müssen die Öffentlichkeit schützen, ohne | |
auf Menschenrechten herumzutrampeln“, erklärte etwa die | |
Menschenrechtsorganisation Amnesty International (AI). Die Sondergesetze | |
dürften nicht zum Dauerzustand werden, hieß es. | |
Frankreichs Präsident François Hollande möchte außerdem eine Art | |
Visumspflicht für heimkehrende Dschihadisten einführen. Auch droht er | |
Bürgern mit doppelter Staatsbürgerschaft, die wegen Terrorismus verurteilt | |
wurden, mit der Aberkennung der französischen Nationalität und Ausweisung – | |
was auch dann möglich werden soll, wenn sie in Frankreich geboren wurden. | |
Beides ist nur mit einer Verfassungsänderung möglich, zu der auch die | |
Opposition zustimmen müsste. | |
## Manuel Valls warnt vor Chemiewaffen | |
Um die Notstandsgesetze anzupassen, wird ein unheimliches Tempo an den Tag | |
gelegt. Was sonst monatelange Debatten erfordert hätte, wird nun unter dem | |
Schock der Attentate in wenigen Tagen verabschiedet. Frankreichs | |
Premierminister Manuel Valls warnte in der Nationalversammlung vor | |
Anschlägen mit chemischen und biologischen Waffen. „Wir dürften heute | |
nichts ausschließen“, sagte er. „Es kann auch das Risiko chemischer und | |
bakteriologischer Waffen geben.“ Angaben über mögliche Anschlagspläne mit | |
solchen Waffen machte er nicht. | |
Aber auch unabhängig von Notstandsgesetzen ändert sich einiges. So wird den | |
Polizeibeamten Frankreichs erlaubt, ihre Waffe auch in ihrer Freizeit zu | |
tragen. Präsident Hollande hat zudem angekündigt, dass nun auch die | |
unbewaffneten kommunalen Polizeieinheiten Pistolen aus dem Arsenal der | |
nationalen Polizei erhalten sollen. Die Logik und Devise der französischen | |
Staatsführung ist klar: Aus Notwehr wird ab sofort zurückgeschossen. | |
19 Nov 2015 | |
## AUTOREN | |
Rudolf Balmer | |
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