| # taz.de -- Flüchtlinge in Slowenien: Die nächste Etappe | |
| > In dem kleinen Alpen-Adria-Staat halten sich Flüchtlinge meistens nicht | |
| > länger als 24 Stunden auf. Selbst das aber überspannt die Ressourcen des | |
| > Landes. | |
| Bild: Auf dem Weg nach Österreich: Flüchtlinge im slowenischen Šentil. | |
| Maribor taz | Der Tag endet in Šentilj. Unterhalb der Autobahn zwischen | |
| Maribor und Graz, wo der slowenische Ort auf das österreichische Spielfeld | |
| trifft, wärmen sich Menschen an kleinen Feuern. Wo das eine Land endet, das | |
| andere beginnt, ist von oben kaum auszumachen. Auf der einen wie der | |
| anderen Seite warten Tausende darauf, ihre Reise fortsetzen zu können. Hier | |
| wie dort riegelt übermüdetes Sicherheitspersonal das Doppelcamp ab. | |
| Auf der slowenischen Seite gehen Flüchtlinge die hohe Böschung hinauf, bis | |
| zu dem kleinen Supermarkt. Soldaten halten sie dort davon ab, alle auf | |
| einmal hineinzugehen. „Two! Just two!“, sagt der eine Uniformierte immer | |
| wieder, nicht einmal unfreundlich. Wie lange er heute schon hier ist? 15 | |
| Stunden, sagt er. | |
| Nahebei rollt spärlich, aber ungehindert, der Verkehr zwischen den beiden | |
| Schengenländern, keine 200 Meter weiter steht alles still. Auf die Einreise | |
| nach Österreich warten hier in dieser Nacht mehr als 3.000 Menschen. Das | |
| ist wenig im Vergleich zu den vergangenen Tagen. | |
| Fast alle kommen hierher mit Bussen aus der Gegend um Brežice und Dobova. | |
| Dort haben sie die Grenze zwischen Kroatien und Slowenien überquert. In den | |
| zwei Aufnahmezentren der Gegend befanden sich allein am Dienstag 7.500 | |
| Flüchtlinge. Immerhin kamen die nicht mehr unangekündigt. In seiner | |
| inzwischen zur täglichen Routine gewordenen Pressekonferenz lobte Boštjan | |
| Šefic, Staatsekretär im slowenischen Innenministerium am selben Tag die | |
| kroatische Seite ausdrücklich für die Kooperation. | |
| Die Lage ist dennoch desolat. Zwischen verschlafenen Dörfern, an denen | |
| vorbei dieser Tage der Morgennebel kaum die untersteirische Hügellandschaft | |
| hinaufziehen will, übernachten Menschen zum Teil in einfachen | |
| Campingzelten, hocken dicht an dicht auf dem nassen, bald völlig dem Matsch | |
| weichenden Gras. Die Temperaturen steigen tagsüber noch auf über zehn Grad, | |
| nachts kündigt sich der nahe Winter mit empfindlichen fünf Grad an. | |
| Stundenlang zieht sich das Warten auf den nächsten Bus hin. In langen | |
| Schlangen stehen die in Dobova, rangieren durch enge Gassen. Gereizte | |
| Polizisten versuchen, der Lage Herr zu werden. Vereinzelt sieht man | |
| Soldaten herumstehen, anders als am Supermarkt in Šentilj tragen sie ihr | |
| Sturmgewehr bei sich. | |
| Wer Glück hat, wird nicht nach Šentilj gefahren, sondern nach Gornja | |
| Radgona. Eine Brücke über die Mura trennt das Städtchen vom | |
| österreichischen Bad Radkersburg. Ein innerstädtisch gelegenes und | |
| beheiztes Messegelände wird zur Unterbringung der Flüchtlinge genutzt. Zu | |
| Fuß sind es von hier etwa 15 Minuten bis zur Brücke. | |
| In kleinen Gruppen erfolgt die Übergabe an die österreichische Polizei. Auf | |
| der Brücke fordern Schilder in mehreren Sprachen dazu auf, Ruhe zu bewahren | |
| und nicht zu drängeln. Tatsächlich geht alles sehr gesittet ab. Auf dem | |
| Fußgängerweg überqueren die Flüchtlinge den Fluss. Zur Sicherheit ist noch | |
| eine Fahrspur gesperrt, ansonsten läuft der Verkehr ganz normal weiter. | |
| Die Zusammenarbeit zwischen der Polizei beider Seiten wird auf lokaler | |
| Ebene organisiert und funktioniere sehr gut, erläutert Domen Torkar, der | |
| Leiter des Unterbringungszentrums. Für 800 Menschen ist die mehrfach | |
| geteilte Halle ausgelegt, bis zu 1.000 könne sie aber mit einiger Mühe | |
| aufnehmen sagt Tokar. In der Nacht auf Mittwoch sind es 1.150. | |
| Tokar ist seit zwölf Jahren beim Zivilschutz, davor war er in der Armee. Am | |
| Mittag deckt er die Verpflegungskisten in seinem improvisierten Büro mit | |
| Planen ab, die Hallen werden gleich desinfiziert. In den ersten beiden | |
| Segmenten ist bereits niemand mehr, im letzten liegen noch Menschen auf den | |
| eng gestellten Feldbetten und warten darauf, über die Brücke geführt zu | |
| werden. Einer fragt, ob dort bereits Deutschland sei. | |
| Drei Container mit Duschen stehen hinter der Halle. Eine weitere | |
| Wasserstelle mit sechs Hähnen wird als Waschstelle benutzt. T-Shirts und | |
| Socken hängen zum Trocknen über dem Zaun. Es sind immerhin 12 Grad. | |
| In zwei Stunden kommen die nächsten, bis dahin müssen Reinigung und | |
| Desinfektion der ersten Segmente abgeschlossen sein. Eine kurze | |
| Verschnaufpause für die Helfer vom Roten Kreuz und der Caritas. An einigen | |
| Stellen ist das blaue Logo des UNHCR zu sehen – Decken und Dolmetscher hat | |
| die Organisation herangeschafft. Vor der Halle sitzen Soldaten, wieder | |
| bewaffnet, in der Sonne „Und, kommen Sie zurecht?“ „Wir müssen ja.“, s… | |
| Torkar, sichtlich stolz auf den vergleichsweise reibungslosen Ablauf in | |
| Gornja Radgona. | |
| Währenddessen sammeln sich 130 Kilometer entfernt in Dobova wieder Hunderte | |
| für den Weitertransport in Bussen. Familien mit Kindern werden vorgezogen. | |
| Ob es nach Šentilj oder Gornja Radgona geht, erfahren sie erst im Bus. | |
| Leichter Brandgeruch von wärmenden Feuern liegt über dem Dorf. Kamerateams | |
| aus Kroatien, Österreich und Deutschland filmen die Busschlange ab, werden | |
| von Polizisten hinter die Absperrlinien verwiesen. Ihre Kollegen in Šentilj | |
| treffen bald die selben Menschen auf der nächsten Etappe. | |
| ## Die Hoffnung sinkt | |
| Wie lange das jedoch so weitergehen wird, ist völlig offen. Öffentlich wird | |
| die Drohung, die Grenze zu Kroatien gänzlich zu schließen, immer lauter. | |
| Bisher wurde stets nur von „baulichen Maßnahmen“ gesprochen, am Mittwoch | |
| nahm Österreichs Innenministerin Johanna Mikl-Leitner dann erstmals das | |
| Wort „Zaun“ in den Mund. Kein Versuch der besseren Steuerung des | |
| Grenzübertritts also, sondern perspektivisch eher dessen Verhinderung. | |
| Auch sinkt die Hoffnung auf nachhaltige Hilfe aus Brüssel und Berlin. Der | |
| einhellige Tenor der Presseberichterstattung ist eine große Sorge vor dem | |
| Auseinanderbrechen der Europäischen Union über dem Rücken der sogenannten | |
| Transitstaaten. | |
| Delo, die größte Tageszeitung Sloweniens, unterstellt, dass der Brüsseler | |
| Gipfel lediglich ein Show für Angela Merkel war, um die eigene Partei zu | |
| beruhigen. Eine Antwort auf die Situation, die eben keine Flüchtlingskrise, | |
| sondern eine des Humanismus sei, stehe noch immer aus. | |
| Am Mittwochmorgen gibt es keine Grenze zwischen Herbstnebel und Wolken über | |
| der Zeltstadt in Šentil. Kein Sonnenstrahl erreicht den Parkplatz, der | |
| sonst von LKW-Fahrern auf ihren transkontinentalen Touren als Rastplatz | |
| genutzt wird. Auf der Autobahn darüber eilen die Berufspendler aus Maribor | |
| nach Graz. | |
| 28 Oct 2015 | |
| ## AUTOREN | |
| Daniél Kretschmar | |
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