# taz.de -- Gastkommentar des Grünen-Landeschefs: Kiffen ist eine gesellschaft… | |
> Berlins SPD-Basis stimmt über 12 Themen für das Programm zur | |
> Abgeordnetenhauswahl ab. Sie sollte für die legale Abgabe von Cannabis | |
> votieren, fordert Daniel Wesener. | |
Bild: Greifen Sie zu! | |
Welche Stadt, wenn nicht Berlin könnte im Umgang mit Cannabis neue Wege | |
gehen? Nirgendwo sonst in der Republik ist die Chance auf eine politische | |
Mehrheit für die Legalisierung so gut wie in der linken Hauptstadt. Eine | |
wichtige Rolle spielt dabei die Berliner SPD-Basis, die bei einem | |
Mitgliederentscheid über eine kontrollierte Abgabe abstimmt. Liebe | |
Genossinnen und Genossen: Es ist an der Zeit, das Richtige zu tun. | |
Wenn es um verpasste Chancen geht, ist Berlin Spitze. Weltweit dürfte es | |
zum Beispiel wenige Metropolen geben, die so gute bauliche Voraussetzungen | |
mitbringen, eine echte Fahrradstadt zu werden. Aber in Berlin radelt man | |
schon seit Jahren Mittelstädten wie Münster oder Oldenburg hinterher, ganz | |
zu schweigen vom Vorbild Kopenhagen. In Berlin hat es einen Volksentscheid, | |
jede Menge Koalitionskrach und eine Enquetekommission gebraucht, um zu | |
erkennen, dass eine klimafreundliche Energieversorgung zur modernen | |
Daseinsvorsorge gehört. In Hamburg und vielen anderen deutschen Städten | |
sind öffentliche Stadtwerke bereits seit Jahren am Netz. Und selbst bei | |
Berlins größtem Problem – mehr Wohnraum zu bezahlbaren Mieten – machen | |
andere vor, wie man für Menschen mit kleinem Einkommen bauen kann oder | |
Immobilienspekulation einen Riegel vorschiebt. | |
Aber jetzt könnte Berlin selbst Avantgarde werden. Wenn es sich als erstes | |
Bundesland für „die Abgabe von Cannabis an Erwachsene bei gleichzeitiger | |
Stärkung des Jugendschutzes und der Prävention“ einsetzt. Über diese (und | |
elf weiteren Fragen) können die Mitglieder der SPD noch bis Freitag | |
abstimmen und damit Weichen stellen. Für das Wahlprogramm der Partei, die | |
seit 1989 ununterbrochen in der Stadt regiert. | |
Die Sachargumente sind schon seit Langem ausgetauscht. Darunter ist so gut | |
wie keines für eine weitere Cannabis-Prohibition, das nicht durch | |
wissenschaftliche Studien oder die Wirklichkeit widerlegt wurde. In den | |
letzten Jahren ist deshalb nicht nur die Zahl der Befürworter einer | |
Legalisierung stetig gewachsen, sondern auch ihre Bandbreite. In ihren | |
Reihen finden sich längst Strafrechtlerinnen und Strafrechtler oder | |
Polizeibeamte, unlängst hat sich sogar ein CDU-Bundestagsabgeordneter | |
dazugesellt. Die Motive sind unterschiedlich, einen naiven Glauben an ein | |
„Recht auf Rausch“ kann man keinem von ihnen unterstellen. | |
Die Hanf-Bewegung hat längst erkannt, dass sie Falschinformationen und | |
Kifferklischees am besten begegnet, indem sie die bestehenden Ängste ernst | |
nimmt und Punkt für Punkt widerlegt. Der Einstiegsdrogen-Mär halten die | |
Befürworter einer Legalisierung die offensichtlichen Vorteile für den | |
Gesundheits- und Jugendschutz entgegen. Und in der Tat: Ohne staatliche | |
Kontrolle über den Anbau und Vertrieb kann Verbraucherschutz nicht | |
funktionieren. Nur wenn Cannabis als ein Suchtmittel wie die weitaus | |
gefährlicheren Drogen Alkohol und Nikotin eingestuft wird, können auch | |
wirkungsvolle Prävention und eine Aufklärung über die Folge des Konsums | |
stattfinden. | |
Diese und weitere gute Argumente setzen allerdings eine Erkenntnis voraus. | |
Nämlich dass Kiffen eine gesellschaftliche Realität ist – egal, ob wir das | |
als Einzelne gut finden oder nicht. Und dass daran eine Kriminalisierung in | |
den vergangenen Jahrzehnten rein gar nichts geändert hat. Selten ist das | |
Scheitern einer Verbotspolitik so offensichtlich wie im Fall der Volksdroge | |
Cannabis und ihren etwa 265.000 Konsumentinnen und Konsumenten allein in | |
Berlin. Wenn dann auch noch rund 80 Prozent der Strafverfahren wegen des | |
Besitzes von Cannabis in Berlin eingestellt werden, hat sich der | |
Rechtsstaat selbst ad absurdum geführt. | |
Die Folgen dieser Politik kann man nirgendwo besser besichtigen als in | |
Berlin. Polizeikräfte haben 2014 und 2015 innerhalb von nur neun Monaten in | |
60.000 Einsatzstunden lang versucht, den Drogenhandel im Görlitzer Park zu | |
unterbinden. Das ernüchternde Ergebnis: ganze 15 Kilogramm Gras. | |
Währenddessen hat sich das Dealen in die Hauseingänge und Hinterhöfe der | |
Nachbarschaft, nach Friedrichshain und Neukölln verlagert. Und im Görli | |
kommt man heute einfacher denn je an Cannabis. Wenn sich dann der | |
verantwortliche Innensenator laut darüber freut, dass der | |
Modellversuch-Antrag des Bezirks Friedrichshain-Kreuzberg abgelehnt wurde, | |
teilt er diese Freude vor allem mit den Berliner Dealern. Denn ihr | |
Geschäftsmodell bleibt aufs Erste erhalten. | |
Auftrieb hat die Cannabis-Debatte hierzulande aber auch durch die | |
internationale Entwicklung bekommen. Der US-Bundesstaat Colorado erlaubt | |
seit 2013 eine kontrollierte Abgabe von Cannabis an Erwachsene, inklusive | |
Besteuerung versteht sich. In der Bundesrepublik würde eine solche | |
Cannabis-Steuer vermutlich rund 2 Milliarden Euro jährlich in die | |
öffentlichen Kassen spülen, etwa so viel wie das heutige | |
Branntweinsteueraufkommen. In Colorado wurde übrigens festgelegt, dass die | |
ersten 40 Millionen Dollar Einnahmen für den Bau und die Instandsetzung von | |
Schulgebäuden verwendet werden müssen. Das wäre auch in Berlin gut | |
investiertes Geld. | |
Liebe Genossinnen und Genossen: höchste Zeit, dass auch in der Berliner | |
Drogenpolitik endlich Vernunft und Verantwortung an die Stelle sinnloser | |
Verbote und altbackener Ideologie treten. Nutzen Sie die Chance! | |
3 Nov 2015 | |
## AUTOREN | |
Daniel Wesener | |
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