Introduction
Introduction Statistics Contact Development Disclaimer Help
# taz.de -- Jugendliche Flüchtlinge: Zwischen allen Stühlen
> Mit etwas Glück auch zum Abitur: Leistungsstarke Flüchtlingskinder
> verlieren Zeit, bis sie richtig gefördert werden.
Bild: Lernen, hoffentlich fürs Leben: jugendlicher Flüchtling in einer Willko…
Für Nuura kam die Flucht aus Syrien zugleich um ein Jahr zu früh und um
zwei Jahre zu spät. Zu früh, weil der 17-Jährigen noch ein Jahr fehlte, bis
sie daheim, nach zwölf Schuljahren, mit der Schule fertig gewesen wäre.
Dann hätte sie einen vergleichbaren Abschluss zum deutschen Abitur gehabt
und hätte sich um einen Studienplatz in ihrem Wunschfach Medizin bewerben
können – irgendwo, wo gerade nicht Krieg ist, vielleicht in Deutschland.
Die Flucht in die neue Heimat Berlin kam zu spät, weil die junge Syrerin
bereits mehr als zehn Schuljahre hinter sich hatte, als sie mit ihrer
Familie vor einem Jahr in Berlin ankam. Laut Schulgesetz haben Jugendliche
wie Nuura damit die allgemeine Schulpflicht erfüllt – und werden nicht mehr
automatisch in das System Oberschule integriert.
Wer trotzdem weiter zur Schule gehen will, sollte zwar kein Problem haben,
genau das auch zu tun: Laut der Senatsverwaltung für Bildung sollen die
Schulaufsichten der Bezirke in „Einzelfallprüfungen“ darüber entscheiden,
ob die Jugendlichen fit genug sind für die Oberstufe.
Wer tatsächlich ein Zeugnis im Fluchtgepäck hat, könnte sich alternativ
auch das anerkennen lassen: „Aber das haben die wenigsten dabei oder können
es schnell aus ihren Herkunftsländern beschaffen“, sagt Daniel Jasch vom
der Beratungs- und Betreuungszentrum für junge MigrantInnen in Moabit.
Bei Nuura lief das mit der „Einzelfallprüfung“ so ab: Ein Mitarbeiter der
regionalen Schulaufsicht in Charlottenburg-Wilmersdorf habe ein paar Worte
mit ihr gewechselt, erzählt die junge Frau. „Das war alles.“ Nuura fand
sich dann an einem beruflichen Oberstufenzentrum wieder. Dort sollte sie in
einer Lerngruppe für Neuzugänge ohne Deutschkenntnisse – vulgo:
Willkommensklasse – erst mal die Sprache lernen.
## Unterfordert am Oberstufenzentrum
Doch die junge Frau fühlte sich unterfordert: Deutsch habe sie kaum
gelernt, im begleitenden fachlichen Unterricht habe sie sich gelangweilt.
Das Niveau an den Oberstufenzentren, die in drei Jahren zum Abitur führen,
gilt gemeinhin als niedriger als an „normalen“ Gymnasien.
Bei Nuura hat das Prinzip der individuellen Prüfung nicht funktioniert.
Sicher gebe es Einzelfälle, sagt die Senatsverwaltung für Bildung auf
Anfrage. Sicherlich nicht, sagt Berater Jasch. Ein Problem sei, dass es für
die Einzelfallprüfungen keine festgelegten Standards gebe. „Wir erleben es
zunehmend, dass Jugendliche, die älter sind als 16 und ihren Bildungsstand
nicht formal nachweisen können, pauschal in die berufliche Bildung gelenkt
werden.“ Das sei für viele aber keine sinnvolle Fortsetzung ihrer
bisherigen Schullaufbahn.
Stimmt nicht, sagt eine Sprecherin der zuständigen Senatsverwaltung. Die
Entscheidung, in welcher Lerngruppe jemand Deutsch lernt, verbaue niemandem
den Weg zum Abitur. Dafür soll die nächste „Einzelfallprüfung“ sorgen:
Sobald die SchülerInnen in den Lerngruppen ein gewisses Sprachniveau
erreicht haben, sei es Sache der LehrerIn und der Schulaufsicht über die
geeignete Schule zu entscheiden: das könne ein Gymnasium sein oder eine
berufliche Schule.
Schülerinnen wie Nuura profitierten freilich davon, schaute man gleich
genau hin und integriere sie dort, wo sie auch nach der Willkommensklasse
sinnvoll zur Schule gehen können – auch wenn sie formal schon die
Schulpflicht erfüllt haben. Nuuras Familie musste umziehen, weil sie in
Mitte eine Wohnung zugewiesen bekam. Nun geht sie auf eine Lerngruppe auf
einem Gymnasium, dort fühle sie sich „richtig“, sagt sie. Sie hofft, dass
sie bleiben kann.
13 Oct 2015
## AUTOREN
Anna Klöpper
## TAGS
Willkommensklasse
Flüchtlinge
Einzelfallprüfung
Gymnasium
Willkommensklasse
Minderjährige Geflüchtete
Bildung
Familie
Schwerpunkt Flucht
Flüchtlinge
Minderjährige Geflüchtete
Schwerpunkt Angela Merkel
## ARTIKEL ZUM THEMA
Mitte stockt Willkommensklassen auf: Zwei gehen noch rein
Eigentlich sollen nicht mehr als zwölf Flüchtlingskinder in einer
Deutschlerngruppe unterrichtet werden. Diese Vorgabe ist in einigen
Bezirken nicht mehr zu halten.
Deutschklassen für Flüchtlingskinder: Jeder Lehrer hilft
Es gibt zu wenige Lehrkräfte für Vorbereitungsklassen. Manche Ministerien
werben nun um Pensionäre, die geflüchtete Kinder unterrichten könnten.
Musikschulen in Berlin: Zugaben gefordert
Lange Wartelisten, wenig fest angestelltes Personal: Der Musikschulbeirat
und ein Bündnis wollen den Bezirken die Verantwortung für die Musikschulen
entziehen.
Shell-Studie mit Jugendlichen: Beruf geht vor Familie
Kinder sind okay, aber nicht um jeden Preis. Jugendliche sind pragmatisch,
der Beruf geht vor. Sie sind politisch, aber parteiungebunden.
Viertklässler über Flüchtlinge: „Ich würde mein Zimmer teilen“
Täglich kommen Tausende Geflüchtete in Passau an: Wie sich mediale Debatten
in den Augen von weißen deutschen Schulkindern spiegeln.
Flüchtlingskinder in Berlin: Willkommen im Chaos
Deutsch lernen mit „deutschen“ MitschülerInnen? Die Realität für neu
angekommene Flüchtlingskinder in Berliner Schulen sieht anders aus.
Lehrerin über Willkommensklassen: „Die Schule ist ein geschützter Raum“
Bei Jugendlichen mit Kriegstraumata stoßen Lehrer_innen an ihre Grenzen,
sagt die stellvertretende Schulleiterin und Lehrerin Silke Donath.
Kanzlerinnenbesuch in Kreuzberg: Deutsch mit Frau Merkel
Kanzlerin Merkel besucht eine Deutschklasse für Flüchtlinge in Kreuzberg
und lobt die schnelle Integration. Experten warnen: Ämter überfordert.
You are viewing proxied material from taz.de. The copyright of proxied material belongs to its original authors. Any comments or complaints in relation to proxied material should be directed to the original authors of the content concerned. Please see the disclaimer for more details.