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# taz.de -- Die Wahrheit: Fürze auf dem Prüfstand
> VW macht mobil: Binnen weniger Tage krempelt der Konzern seine
> Erlebniswelt Autostadt in Wolfsburg komplett um.
Bild: Zur Begrenzung des Imageschadens durch EA 189 bei Volkswagen werden im Fr…
Uff! Gerade nochmal gutgegangen. Der ICE 567 aus Berlin hat uns aussteigen
lassen am Wolfsburger Hbf. Selbstverständlich ist das nicht – immer wieder
brausen Lokführer ohne vorgesehenen Halt durch die regenarme Großstadt am
Mittellandkanal. Wolfsburg, die Kommune mit dem deutschlandweit höchsten
Bruttoinlandsprodukt und fast genauso vielen Arbeitsplätzen wie 123.000
Einwohnern, Wolfsburg wird derzeit erschüttert von den Spätfolgen der
Umtriebe böser Manager.
Entwicklungsauftrag 189, kurz EA 189, lautet das Einlasswort zur Hölle. Die
Folgekosten der dreckig manipulierten Motorensoftware für
Diesel-Deutschland, Diesel-Europa, Diesel-Welt und Diesel-Galaxie, sind
nicht bezifferbar. In den Volkswagen-Büros versagen sämtliche
Rechenschieber ob der Textaufgabe, die weit über einen simplen Dreisatz
hinaus geht. Bis jetzt steht nur eins fest: Es wird hart – für Flüchtlinge
wie Daheimgebliebene.
Dass es nicht ganz so hart kommt, dass auch aus den Spielerduschen des
firmeneigenen VFL Wolfsburg zumindest jeden dritten Tag Wasser spritzt und
VW weiterhin Sportdirektor Klaus Allofs die Monatskarte für den
öffentlichen Personennahverkehr zahlen kann, dafür ist seit dem 30.
September ein Mann zuständig, der zuvor abgefahrene PR bei Porsche
durchgezogen hat: Hans-Gerd Bode, neuer Leiter Konzernkommunikation und
Außenbeziehungen. Er hat Stephan Grühsem abgelöst, vor dem schon Marcel
Reich-Ranicki bei einer Signierstunde mit den Worten „Grausam, grausam!“
floh.
Bodes Händedruck ist fest, als er uns auf dem Bahnsteig einen großen
Bahnhof bereitet, denn der 54-jährige Öffentlichkeitsarbeiter hält als
Anschlusstransportmittel ein kleeblattgrünes, schadstofffreies Bobbycar
bereit. Er selbst sitzt bereits auf einem aquamarinblauen.
„Willkommen“, ruft Bode schmissig, „in diesen schweren Tagen kümmere ich
mich um die Vertreter der großen deutschen Meinungsmedien gerne
persönlich!“ Und schon geht es los, per Zugbrücke über den brackigen
Mittellandkanal, hinein in die Autostadt direkt neben den VW-Werkshallen.
## Piëch als Statist
„Von der Schiene aufs Auto“, schmunzelt Bode und schaltet auf dem Bobbycar
einen Gang hoch. Sein Konzept, den 28 Hektar großen Freizeitpark, auf
deutsch auch Mixed-Use-Center genannt, radikal umzuwandeln, kam sogar beim
abservierten, jetzt arbeitslosen Ferdinand Piëch an, der sich flugs dafür
als Statist meldete. „Von 0 auf 100 habe ich den lahmen Laden hochfrisiert.
Am Montag öffnen wir für die breite Öffentlichkeit“, lächelt Bode und
trötet Dr. Martin Winterkorn beiseite. Der Exvorstandsvorsitzende zieht
eine Sackkarre hinter sich, darauf befinden sich wohl letzte
Schreibtischhinterlassenschaften. „Krass authentisch, sehen Sie, da baumelt
noch die eine oder andere Software-CD“, klärt Bode auf.
Dann skizziert der alerte PRler seinen revolutionären Ansatz: „Am jetzigen
Ereignis orientierte Erlebnisangebote für den in seinen
Vertrauensgrundfesten erschütterten Besucher der Autostadt – das ist die
einzige Chance bei VW, den Imageschaden zu begrenzen. Dieselgate is fully
open! lautet unser neues Motto.“ Munter fährt der Firmenkommunikator auf
seinem Bobbycar fort: „Denn ich frage Sie, wer will denn in diesen zum
Himmel stinkenden Zeiten noch Neuwagen abholen und danach fettige Calzone
einwerfen oder Oldtimer gaffen, wie es bis dato Usus war?“
Wir wissen es auch nicht und sind im übrigen damit beschäftigt auf unserem
Gefährt Kurs zu halten. „Ich sage ihnen, wir müssen den Leutchen, die zu
uns kommen, jetzt zeigen, dass wir von VW über uns selbst lachen können.
Dass wir Menschen sind. Fehler machen. Oder sogar Schweinereien.“
## Kraft durch Freude
Ein lustiger Ansatz und schon haben wir rumpelnd das große Alu-Einfahrtstor
passiert, über dem in poppigen Neonlettern die Worte „Kraft durch Freude“
angeschraubt werden. Bode deutet auf das Motto hin: „Im Zuge von Dieselgate
lassen wir natürlich unsere Vergangenheit nicht außen vor – auch nicht die
Gründungszeit von Wolfsburg ab 1938, als sie noch ‚Stadt des KdF-Wagens bei
Fallersleben‘ hieß. Komisch nicht?“ Bode kichert.
Da uns der PR-Chef auf die Führung einlädt, passieren wir unbehelligt von
der BMW-Großaktionärin Susanne Klatten das Kassenhäuschen. Der Eintritt ist
allerdings ohnehin gratis. „Frau Klatten hat sich auf eigenen Wunsch und
uneigennützig dazu bereiterklärt, den ersten 100.000 Besuchern jeweils
einen 5-Euro-Begrüßungsgutschein des bei VW neu angesiedelten
Klamotten-Outlets von Diesel zu überreichen. Renzo Rossi, der
Diesel-Familienpatriarch fand das total provokant ironisch, kurz eine super
Idee. Und wir von VW sind sehr glücklich über diese Erweiterung unseres
Angebotssortiments.“
Beim Boxenstopp unserer Bobbycars blicken wir auf die von Hans-Gerd Bode
handgeletterte Pressemitteilung. Was uns erst jetzt auffällt: Das neue Logo
der Auto- stadt ist das Anarchisten-A im Rund, der Zusatz „Autostadt“ unter
dem A entfällt. „Ganz schön gewagt, was?“, giggelt Bode. Aber hatte nicht
schon Prou- dhon postuliert: „Anarchie ist Ordnung“?
## Sackkarre für Winterkorn
Und ordentlich geht es zu in der neuen Autostadt, ordentlich lustig. Im
Leerlauf rollen wir Richtung Bossy Ghosttown, werden hineinbugsiert in ein
V-förmiges Wägelchen und los geht die Fahrt ins Dunkle der VW-Geschichte.
Unweit vom Eingang tappt erneut schemenhaft Dr. Martin Winterkorn mit
Sackkarre herum. Dann erscheint aus dem Nichts der Porsche-Wiedergänger
Wendelin Wiedeking in einem knappen Elefantenkostüm. Und zum Abschied aus
Bossy Ghosttown serviert Ferdinand Piëch samt eingefrorener Fratze einen
sprittigen Bleifreien.
„Bleibt denn hier nichts beim Alten, gibt es gar keine angenehmen
Gewissheiten mehr?“, krächzen wir, als uns das Horror-Wägelchen endlich
freigegeben hat. „Aber ja doch“, beruhigt uns der stets serviceorientierte
Bode. „Lassen Sie uns Gas geben, ums Eck liegt ein 15 Meter langer
Dufttunnel mit 2.160 Blumentöpfen von Olafur Eliasson.“
## Duft für lau
Puh, wenigstens ein Projektobjekt, das VW jetzt nicht über den Haufen
wirft! Und wie er duftet, der Tunnel! Ein manipulierter EA 189 ist nichts
dagegen! Gefühlte Stunden verweilen wir in der sich bewegenden Röhre, perdu
unser journalistischer Auftrag, wahrheitsgemäß zu berichten. Als wir
euphorisch aus dem Dufttunnel taumeln, ist unser Begleiter keineswegs
verduftet – im Gegenteil, Hans-Gerd Bode hat bei den Bobbycars die nicht
vorhandenen Schrauben nachgezogen.
Der VWler freut sich riesig: „Knorke, dass es ihnen in der neuen Autostadt
gefällt. Kommunizieren sie das hinein und heraus. Doch lassen Sie mich vor
dem Lunch noch etwas Lustiges präsentieren, Stichwort: ‚Wir sind alle
Menschen‘.“ Gespannt biegen wir um die Ecke. Und halten uns sofort die Nase
zu, abgewürgt der Bobbycarmotor. Ein penetranter Geruch von faulen Eiern
steht in der Luft.
„Das hier“, japst Hans-Gerd Bode selig und geht in die Knie, „das hier ist
die neue VW-Flatulenzmaschine. Wird ein Publikumsmagnet! Fürze von
Topmanagern bei Marathonsitzungen – jetzt in Laborsituation auf dem
Prüfstand. TÜV geprüft!“
10 Oct 2015
## AUTOREN
Harriet Wolff
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