| # taz.de -- Die Wahrheit: Stasiland am Ostseestrand | |
| > Über Himmelfahrt mit Neffe und Nichte einen Kurzurlaub am Meer zu | |
| > verbringen, könnte doppelt schön sein. Wäre da nicht das Leben der | |
| > Anderen. | |
| Bild: Der weltgrößte Daten-Junkie ist in sich versunken, nach Jahren im ecuad… | |
| „Auf dem Darß ist es am schönsten, wo gibt“, tut der Patensohn kund, als | |
| man nach erfolgreichem Zusammenurlauben im Zug sitzt und an ihn und die | |
| Patentochter Salamisticks und Müsliriegel verteilt. „Die Racker“, zehn- und | |
| zwölfjährig, „wachsen ja noch“, denkt man sentimental und dann noch | |
| sentimentaler: „So jung kommen wir nicht mehr zusammen.“ | |
| Vorausgegangen waren vier „Brückentage“ über Himmelfahrt im zertifizierten | |
| Luftkurort Prerow, oder Präro, wie – orthografisch verschlankt – der | |
| Patensohn an die Großeltern depeschte. Ist der Darß das Schönste, wo gibt, | |
| dann ist Prerow noch schöner, weil direkt am Darßer Urwald, und der ist | |
| wahrhaftig urig, eine bis ans Meer ausgedehnte, archaische Grünanlage mit | |
| himmelhohen Buchen, Brutalomücken und Füchsen, die Schuhwerk stibitzen. | |
| Alles in allem: ein Eins-a-Areal für Ferien vom alten Schlag. | |
| Downtown Prerow gehört man in „Voss guter Stube“ zum temporären Inventar; | |
| das samtene Sofa dort ist hervorragend durchgesessen und der Dorsch wie | |
| immer bissfest. Das Publikum in jenem holzgetäfelten Relikt gestaltet sich | |
| als krude, ist aber stets eine erträgliche Mischung aus ältlichen | |
| Anthroposophen, dicken Muttis aus Westdeutschland und durchtätowierten | |
| Ostfamilienfeiern. | |
| Am Premierenabend, die eigene Wahlfamilie hat sich gerade niedergelassen, | |
| dann doch eine kurze verbale Entgleisung. Vis-à-vis einer alleinreisenden | |
| Stammgästin platziert sich ein Neuzugang aus Sachsen, der sich ihr | |
| raumfüllend mundartlich vorstellt: „Hau rein, Mutti !“ Stille in der Stube. | |
| „Für Sie immer noch: Hau rein, Frau Müller.“ Der Patensohn patscht in die | |
| Hände. | |
| Am nächsten Morgen wird die DDR erneut vorstellig, nun in Form von mit | |
| Hammer, Sichel und Flieder beflaggten Traktoren, die zu den Klängen von | |
| Frank Schöbel Richtung Prerower Seebrücke tuckern. Es ist Herrentag, und | |
| die lallenden Männer sehen nicht wie Herren aus. Die Patentochter dagegen | |
| hält sich damenhaft artig auf einem Rad mit vorgebautem Kasten, in dem der | |
| Patensohn lümmelt und sich ob eines wehen Fußes durch die Gegend | |
| kutschieren lässt. Irgendwann wird es unartig, die Patenkinder finden | |
| nichts schöner, als mit dem Gefährt auf ungeteerten Sträßchen sämtliche | |
| Schlaglöcher volle Kanne anzusteuern. Es ist ein Gejohle und Gegluckse, | |
| dann kippt das Kastenrad um und die ersten Passanten gucken schon scheel, | |
| dass es eine Freude ist. | |
| Die Freude, sie hält an in diesem unschuldigen Kurzurlaub, mit Schrippen, | |
| die es dort als „Doppelte“ gibt, und man isst jeden Morgen mindestens zwei | |
| Doppelte und die Kinderchen auch, und alles ist gut. Nur bei der Abfahrt, | |
| da würgt einem der Prerower derart einen rein, dass die Patenkinder | |
| erbleichen und man selbst grinst ob der ollen Petze-Leier. Gibt man doch | |
| die Kastenkutsche beim Händler seines Vertrauens zurück, und dann sagt der: | |
| „Mir wurde von Dritten berichtet, dass Sie mit dem Kastenrad umgekippt | |
| sind.“ Punkt. Von Dritten! Berichtet! Kastenrad! Umgekippt! Stasi, my love! | |
| Prerow, my love! Bis zum nächsten Jahr! | |
| 22 May 2015 | |
| ## AUTOREN | |
| Harriet Wolff | |
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