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# taz.de -- Warten auf den Freispruch: Von Schweinen und Rechten
> Zwischenstand eines Berufungsverfahrens: Anscheinend darf man einen
> „Bürger in Wut“ ungestraft rechts verorten – aber irgendwie auch nicht.
Bild: Selbst Rechtsabbiegen verbieten geht in Deutschland nicht mehr: Das Schil…
BREMEN taz | Alle hatten mit einem zügigen Verfahren gerechnet. Denn das
Urteil des Amtsgerichts, gegen das Jörn Hermening Berufung eingelegt hatte,
war zu absurd. Aber alles kam anders im Berufungsverfahren am gestrigen
Dienstag vorm Landgericht.
Hermening ist Initiator der Facebook-Gruppe „Ein Zuhause in Bremen nicht
nur für ausgewählte Flüchtlinge.“ Die positioniert sich gegen Rassismus im
sozialen Netzwerk – so auch gegen die Gruppe „Rekumer Straße 12 – nicht …
uns.“ Dort wird teils sehr eindeutig gegen eine an der Rekumer Straße in
Bremen-Nord angesiedelte Jugendhilfe-Einrichtung für minderjährige,
unbegleitete Flüchtlinge gehetzt. Im Bürgerschaftswahlkampf schloss sich
die Wählervereinigung „Bürger in Wut“ (BIW) ihnen an: „Vollzug statt
schöner Wohnen“ hieß es auf einem BIW-Wahlplakat direkt vor dem Haus jener
Einrichtung.
Immer wieder seien Leute in seine Facebook-Gruppe eingetreten, die zur
„Rekumer Straße“-Gruppe gehörten, sagt Hermening, „aber genau die wollen
wir bei uns ja eben nicht haben.“ Darunter sei auch der
BIW-Bürgerschaftskandidat Mark Runge gewesen. Hermening machte sich bei
Facebook Luft über seinen Unmut: „Da weiß man nicht, ob es sich um
‚Doppelagenten‘ handelt (...) Rechte Schweine, die sich bei den Pro-Gruppen
erkundigen wollen? Solche Anfragen hatte ich schon mehrere, einige Rechte
sind ja sofort zu identifizieren gewesen, Mark Runge und so. Hab keinen
Bock mehr drauf, hier verkappte rassistische Sprüche zu löschen,“ schrieb
er.
Runge zeigte Hermening an, weil er nicht als „rechts“ betitelt werden will
– obwohl er bei Facebook Mitglied der Pegida-Sympathisanten-Gruppe „SPW
Sammelbecken politischer Wutbürger“ sowie der Gruppe „Konservative
Bürgerbewegung“ ist, in der selbst die AfD schon mal als
„linkspopulistisch“ gilt. Und die BIW, für die er als Abgeordneter im
Beirat Blumenthal sitzt, wird von der Bundeszentrale für politische Bildung
offiziell als rechtspopulistisch eingestuft.
Den zuständigen Richter beim Amtsgericht interessierte das wenig. Er
verurteilte Hermening Ende März zu einer Geldstraße von 1.500 Euro wegen
übler Nachrede. In seiner Urteilsbegründung hieß es, dass Runge „nicht nur
als ‚Rechter‘ bezeichnet wurde, sondern im Gesamtkontext gelesen als
‚rechtes Schwein‘.“
Aber auch ohne das arme Tier hätte er Hermening verurteilt, denn: „Ferner
wäre auch die alleinige Behauptung, der Zeuge Runge sei ein ‚Rechter‘
geeignet, diesen in der öffentlichen Meinung herabzuwürdigen und
verächtlich zu machen.“ Als Grund dafür heißt es weiter, dass „eine
Bezeichnung einer Person als ‚rechts‘ gemeinhin dahin verstanden (werde),
dass es sich dabei um Anhänger des Nationalsozialismus handelt“.
„Der Richter am Amtsgericht scheint in politischer Unkenntnis geurteilt zu
haben“, sagte Reinhard Wacker, Vorsitzender Richter am Landgericht, zu
Beginn des Berufungsverfahrens. Eine politische Eingruppierung nach rechts
sei nicht diffamierend. „Dagegen kann man höchstens argumentieren, aber das
kann nicht Gegenstand einer Verurteilung sein.“
So weit, so eindeutig. Bloß nicht für Staatsanwältin Wiebke Kaiser: Man
müsse, argumentierte sie, die Anzeige Runges im Gesamtkontext betrachten –
und da könne man durchaus unterstellen, Hermening habe ihn als „rechtes
Schwein“ betitelt. Wackers Angebot an alle Seiten: Die Einstellung des
Verfahrens „gegen eine geringe Gebühr.“
Das aber lehnt Hermening kategorisch ab. „Hier muss ein Freispruch her,
denn es gilt ganz eindeutig: Im Zweifel für den Angeklagten“, sagte Anwalt
Jan Sürig, der ihn gemeinsam mit seinem Kollegen Alexander Jung
verteidigte. Selbst Wacker habe ja Zweifel daran geäußert, dass Hermening
Runge in die Riege der „rechten Schweine“ aufgenommen habe – und Runge
selbst habe das trotz einer drei Monate währenden Möglichkeit, den
Strafantrag zu ergänzen, nie unterstellt. „Man kann eine Anzeige doch nicht
nach Belieben im Nachhinein um irgendetwas erweitern.“
Die Staatsanwältin nannte Wackers neues Angebot, das Verfahren ohne Kosten
für den Angeklagten einzustellen, einen „Freispruch durch die Hintertür“,
den sie nicht unterstützen könne und beantragte die Ladung Runges als
Zeugen, der sich, so ihre Begründung „in die Nähe neonazistischen
Gedankenguts gerückt sieht“.
Also geht das Verfahren weiter – der nächste Termin ist am übernächsten
Freitag. Aber das wäre wohl auch ohne die Renitenz der Staatsanwältin
geschehen, denn ein „Freispruch durch die Hintertür“ kommt für Hermening
ebenfalls nicht in Frage: „Dafür, dass ich einen Rechten rechts genannt
habe, möchte ich einen echten Freispruch.“
13 Oct 2015
## AUTOREN
Simone Schnase
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