| # taz.de -- Berufungsverfahren in Bremen: Rechts ist rechtens | |
| > Korrektur eines Fehlurteils: Das Landgericht Bremen hat entschieden, dass | |
| > ein „Bürger in Wut“ politisch rechts eingeordnet werden darf. | |
| Bild: Zynisch und populistisch: So haben die BIW unmittelbar vor einer Jugendhi… | |
| BREMEN taz | Ja, man darf ein Mitglied der Wählervereinigung „Bürger in | |
| Wut“ (BIW) politisch rechts verorten, und nein, der Blumenthaler | |
| BIW-Abgeordnete Mark Runge wurde von Jörn Hermening nicht als „rechtes | |
| Schwein“ betitelt – weswegen Hermening am gestrigen Freitag vorm | |
| Landgericht Bremen vom Vorwurf der üblen Nachrede freigesprochen wurde. | |
| Der Vorsitzende Richter Reinhard Wacker betonte in seiner | |
| Urteilsbegründung, dass „dies kein politischer Prozess war.“ Das hatte | |
| zuvor Jan Sürig, einer der beiden Verteidiger Hermenings behauptet – und in | |
| der Tat ging es in dieser Revisionsverhandlung nicht um eine vermeintliche | |
| Beleidigung, sondern um die Frage: Darf man jemanden, der Mitglied einer | |
| rechtspopulistischen Wählervereinigung ist, „rechts“ nennen? | |
| ## Anzeige wegen politischer Verortung | |
| Nein, fand Mark Runge, der stellvertretender Fraktionssprecher der BIW im | |
| Beirat Blumenthal ist. Er fühlte sich beleidigt, weil Hermening ihn bei | |
| Facebook so bezeichnet hatte. Dort ist er Initiator der Gruppe „Ein Zuhause | |
| in Bremen nicht nur für ausgewählte Flüchtlinge“. Die positioniert sich | |
| gegen Rassismus im sozialen Netzwerk – auch gegen entsprechende Äußerungen | |
| und Aktivitäten der BIW und ihrer Mitglieder. | |
| Immer wieder seien solche Menschen in seine Facebook-Gruppe eingetreten, | |
| sagt Hermening, „aber genau die wollen wir bei uns ja eben nicht haben“. | |
| Darunter sei auch Runge gewesen. Hermening machte sich bei Facebook Luft | |
| über seinen Unmut: „Da weiß man nicht, ob es sich um ‚Doppelagenten‘ | |
| handelt (...) Rechte Schweine, die sich bei den Pro-Gruppen erkundigen | |
| wollen? Solche Anfragen hatte ich schon mehrere, einige Rechte sind ja | |
| sofort zu identifizieren gewesen, Mark Runge und so“, schrieb er. | |
| Runge zeigte ihn an. „Im Internet, bei Facebook, hatte er eingestellt, dass | |
| ich sofort als ein ‚Rechter‘ zu erkennen wäre. Das empfinde ich als üble | |
| Nachrede und darum erstatte ich Strafanzeige gegen Herrn Hermening und | |
| stelle Strafantrag“, heißt es wörtlich in seiner Anzeige. | |
| Weder dort noch in seiner mündlichen Aussage bei der Polizei störte er sich | |
| jedoch an den „Schweinen“ – beleidigt fühlte er sich lediglich durch die | |
| politische Zuweisung. | |
| ## Keine notwendige Differenzierung | |
| Das Amtsgericht Bremen verurteilte Hermening Ende März zu einer Geldstraße | |
| von 1.500 Euro wegen übler Nachrede. „Im Gesamtkontext“, heißt es in der | |
| entsprechenden Urteilsbegründung, habe er Runge als „rechtes Schwein“ | |
| betitelt, aber: Auch ohne das Tier „wäre auch die alleinige Behauptung, der | |
| Zeuge Runge sei ein ‚Rechter‘, geeignet, diesen in der öffentlichen Meinung | |
| herabzuwürdigen und verächtlich zu machen.“ | |
| Denn, so heißt es weiter, „eine Bezeichnung einer Person als ‚rechts‘ | |
| (werde) gemeinhin dahin verstanden , dass es sich dabei um Anhänger des | |
| Nationalsozialismus handelt“. | |
| Ist ein Prozess, in dem über ein solches Urteil entschieden werden muss, | |
| tatsächlich unpolitisch? Ja, fand Richter Wacker, denn von Beginn des | |
| Berufungsverfahrens an sei für das Landgericht das Recht auf die politische | |
| Einordnung anderer genauso unstrittig gewesen wie die Tatsache, dass | |
| „rechts“ und „Anhänger des Nationalsozialismus“ nicht gleichzusetzen s… | |
| „Der Richter am Amtsgericht scheint in politischer Unkenntnis geurteilt zu | |
| haben“ und „vielleicht fehlte es da an der notwendigen Differenzierung“. | |
| ## „Politisch höchst brisant“ | |
| Dabei vergaß er freilich, dass eine gewisse politische Unkenntnis auch in | |
| seinem Verhandlungssaal vorhanden war: Staatsanwältin Wiebke Kaiser sah | |
| Runge nämlich durch Hermenings Äußerung „in die Nähe neonazistischen | |
| Gedankenguts gerückt“. Und um zu klären, ob Runge sich überdies nicht doch | |
| auch als Schwein tituliert sieht, beantragte sie dessen Ladung als Zeuge. | |
| Vor dem Hintergrund, dass Runges Anzeige unmissverständlich war und er sich | |
| auch während der dreimonatigen Frist, in der er seinen Strafantrag hätte | |
| erweitern dürfen, offenbar nicht durch den Tiervergleich beleidigt fühlte, | |
| nannte Sürig den Antrag „juristisch unhaltbar und politisch höchst brisant: | |
| Die Staatsanwältin will Herrn Runge als Zeuge im Nachhinein darüber | |
| entscheiden lassen, was hier plötzlich Gegenstand des Verfahrens sein | |
| soll.“ | |
| Kaiser schien Runge überdies auch nicht als Politiker einer | |
| Wählervereinigung wahrnehmen zu wollen, dessen Fraktionsvorsitzender im | |
| Beirat Blumenthal die taz – ebenfalls via Facebook – erst vor wenigen | |
| Wochen als „völkischen Beobachter der linken Szene“ bezeichnet hatte: Runge | |
| sei von Hermening namentlich genannt worden, argumentierte Kaiser, Tausende | |
| könnten das bei Facebook lesen: „Man muss auch die Menschenwürde wahren.“ | |
| ## Unbeeindruckter Richter | |
| Wacker lehnte ihren Antrag ebenso ab wie den der Verteidigung, ein | |
| sprachwissenschaftliches Gutachten darüber einzuholen, ob Runge in | |
| Hermenings Aussage als „rechtes Schwein“ tituliert worden sei. | |
| Unbeeindruckt zeigte er sich auch von Kaisers Forderung, die Berufung zu | |
| verwerfen und das Urteil des Amtsgerichts aufrecht zu erhalten. Ihre | |
| Begründung: Hermening hätte das Angebot einer Verfahrenseinstellung | |
| abgelehnt und stattdessen einen Freispruch verlangt: „Das heißt, bei ihm | |
| ist keinerlei Einsehen vorhanden.“ | |
| „Natürlich nicht“, sagte Hermening dazu vor der Urteilsbegründung. „Ich | |
| habe ja auch nichts Gesetzeswidriges getan!“ Und das sah dann auch das | |
| Gericht so. „Dieses Urteil ist mit relativ leichter Hand gefällt worden“, | |
| erklärte der Vorsitzende Richter. | |
| ## Es bleibt ein Nachgeschmack | |
| Trotzdem bleibt für Sürig ein Nachgeschmack: Er sei erfreut darüber, dass | |
| die Kammer anderer Meinung sei als das Amtsgericht, erklärte er, „aber das | |
| ganze Verfahren hat doch gezeigt, wie dünn die demokratische Tünche in | |
| Deutschland ist“. | |
| Er habe sich als zweiter Verteidiger neben Hermenings Rechtsanwalt | |
| Alexander Jung in das Berufungsverfahren eingeklinkt, „weil das erste | |
| Verfahren von einer erschreckenden politischen Unkenntnis und einem | |
| erschreckenden Mangel an politischer Kultur gezeugt hat.“ | |
| 23 Oct 2015 | |
| ## AUTOREN | |
| Simone Schnase | |
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