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# taz.de -- Separatisten in Europa: Selbstverwirklichung, wie süß
> Wir verfolgen katalanische Abspaltungswünsche mit diffusem Wohlwollen.
> Bayerns Ausscheren aber ist befremdlich und unsolidarisch?
Bild: Patriotisches Gebimmel haben wir gern, wenn es ohne das Gerassel von Panz…
Man stelle sich vor, bei Heimspielen des FC Bayern würden die Fans jeweils
in der 18. und der 66. Minute „Unabhängigkeit!“ brüllen. Da würde man si…
womöglich sogar als Bayer fragen, welche Schraube in den alkoholisierten
Oberstübchen zumeist männlicher Fans locker ist – weil doch 1866 die
Unabhängigkeit des weiß-blauen Königreichs durch die Unterschrift von
Ludwig II. unter dem Schutzvertrag mit Preußen auf alle Zeiten erloschen
ist. Oder nicht?
Im Stadion des FC Barcelona erklingt das gedonnerte „Independència!“
regelmäßig in der 14. Sekunde der 17. Spielminute. Im Spanischen
Erbfolgekrieg hatte Katalonien aufs falsche Pferd gesetzt, der in Madrid
regierende Philip V. ließ Barcelona belagern. Mit dem Fall der Stadt hörte
Katalonien, eine der bis dahin führenden Handelsmächte im Mittelmeerraum,
auf zu existieren. Das war 1714.
Geht es nach dem Willen des breiten Bündnisses (“Gemeinsam für das Ja“) a…
den regierenden Konservativen unter dem katalanischen Regierungschef Artur
Mas, den oppositionellen Linksrepublikanern und weiteren Gruppierungen,
sind bei der Wahl für das Regionalparlament die Weichen für eine
Unabhängigkeit Kataloniens von Spanien gestellt worden.
Seltsamerweise wird diese Entwicklung hierzulande gerade von linker Seite
mit diffusem Wohlwollen verfolgt. Sieh an, ein aufrechtes kleines Völkchen
schickt sich an, den autoritären Zugriff einer Zentralregierung
abzuschütteln, um auf eigenen Beinen in eine freundlichere Zukunft zu
tapsen. Selbstverwirklichung, wie süß. Nieder mit dem Nationalstaat! Und
wie freundlich die dort unten im Urlaub immer sind!
## Gegen Länderfinanzausgleich
Gehört nicht auch Mallorca zu Katalonien, so historisch gesehen? Und das
Roussillon drüben in Frankreich, mal streng genommen? Und unterstützt nicht
auch der stets lächelnde Bayern-Trainer Pep Guardiola die Sache der
Separatisten? Waren die nicht schon gegen den faschistischen Diktator
Franco? Dann wird’s damit schon seine Richtigkeit haben, nicht wahr? Wer
wollte etwas gegen mehr Vielfalt einwenden?
Tatsächlich haben die Katalanen einige Probleme, an denen Madrid nicht
unschuldig ist. Sie stellen 16 Prozent der Bevölkerung von Spanien und
erwirtschaften ein Fünftel der Wirtschaftsleistung, bei den Exporten ist es
noch mehr. Vor allem behagt vielen Katalanen der Finanzausgleich nicht, mit
dem sie ärmere Regionen wie Andalusien subventionieren.
Allerdings war die Finanzkrise von 2008 ein globales Problem und die
Immobilienblase – nebst Zwangsräumungen – ein durchaus lokales. Korruption
gibt es nicht nur in Madrid, auch in Barcelona. Ihr eigenes Versagen kann
die dortige Regionalregierung immer auf den Zentralstaat schieben, ihre
Erfolge für sich selbst verbuchen. Die Aufkündigung einer
Solidargemeinschaft durch die herrschenden Eliten einer prosperierenden
Teilregion, wie sie auch die „Lega Nord“ für Oberitalien anstrebt – ist …
das, was Europa braucht?
Patriotisches Gebimmel haben wir gern, wenn es ohne das Gerassel von
Panzerketten auskommt, und Folklore, wenn sie sich in der Ferne abspielt.
Beides wird greller, wo Mehrheiten aufgefordert sind, sich an einer
imaginierten Vergangenheit und einer konsolidierten Identität zu
berauschen. Schon in Bayern mischt sich ins harmlos Heimische immer dann
ein tümelnder Unterton, wenn es instrumentalisiert wird – und zwar nicht
vom „Volk“, was immer das sein mag. Es stimmt schon, was Noam Chomsky sagt:
„Die Mehrheit der gewöhnlichen Bevölkerung versteht nicht, was wirklich
geschieht. Sie versteht nicht einmal, dass sie es nicht versteht.“ Dann
stellt sie sich ins Stadion und brüllt „Unabhängigkeit!“.
29 Sep 2015
## AUTOREN
Arno Frank
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