# taz.de -- „Open Access“ in der Wissenschaft: Zugang für alle! | |
> Kommerzielle Verlage verdienen horrende Summen, indem sie staatlich | |
> finanzierte Forschungsergebnisse publizieren. Das ist undemokratisch. | |
Bild: Alles frei verfügbar: „Bücherboxx“ am Mierendorffplatz in Berlin | |
Als die Welt noch analog war, haben Wissenschaftler*innen Artikel | |
geschrieben, Verlage Zeitschriften herausgegeben und Bibliotheken sie | |
ausgelegt. Der Weg vom Manuskript in den Lesesaal war teuer und lang – | |
manchmal dauerte er Jahre. | |
Eine digitale Kommunikation sieht anders aus. Das dachte schon der Physiker | |
Paul Ginsparg, als er 1991 in Los Alamos seinen Computer in einen | |
Preprint-Server verwandelte und eine Tauschbörse für Fachartikel aus der | |
Physik einrichtete. Damit war der Dienst [1][arXiv.org] erfunden. Einen | |
euphorischen Moment lang schien es, als bräuchte die Wissenschaft keine | |
Verlage mehr. | |
Paul Ginsparg gehört zu den Gründungsvätern der internationalen | |
Open-Access-Bewegung. Sie wird zum einen getragen von | |
Wissenschaftler*innen, denen es um neue Formen des akademischen Austausches | |
geht, sowie von Bibliotheken, deren Budget unter steigenden | |
Zeitschriftenpreisen leidet. Darüber hinaus sind Universitäten und | |
Forschungsförderer beteiligt, die sich fragen: Wieso sollen öffentlich | |
bezahlte Forschungsergebnisse nur einer privilegierten Minderheit zur | |
Verfügung stehen? | |
Die Open-Access-Bewegung will den wissenschaftlichen Fortschritt | |
beschleunigen und demokratisieren. Akademische Veröffentlichungen sollen | |
„kostenfrei und öffentlich im Internet zugänglich sein … ohne finanzielle, | |
gesetzliche oder technische Barrieren“, heißt es in der Budapester | |
Open-Access-Erklärung, die von knapp 6.000 Einzelpersonen und 800 | |
Institutionen aus der ganzen Welt unterzeichnet wurde. | |
## Gewinnmargen bei 20 und 30 Prozent | |
Es geht um viel Geld: 2011 erwirtschafteten die Wissenschaftsverlage | |
weltweit 9,4 Milliarden US-Dollar, 70 Prozent durch Subskriptionsgebühren | |
von Bibliotheken. Den Markt teilen sich international agierende Konzerne | |
wie Elsevier, Wiley-Blackwell, Thomson Science, Springer und Taylor & | |
Francis. Ihre Gewinnmargen liegen schätzungsweise bei 20 und 30 Prozent. | |
Warum publizieren Wissenschaftler*innen ihre Ergebnisse nicht einfach im | |
Selbstverlag? Der Gründe rühren an den Eigengesetzlichkeiten des | |
Wissenschaftsbetriebes: Publikationen sind eine der wichtigsten Währungen. | |
Eine Veröffentlichung zählt mehr, wenn sie eine Begutachtung – ein | |
Peer-Review – durchlaufen hat. Wird die Zeitschrift dann häufig zitiert und | |
ist im Web of Science von Thomson Reuter gelistet, steigt ihr Wert weiter. | |
Die Anzahl solcher Veröffentlichungen wird als Maß für die Produktivität | |
und den Einfluss der Autor*innen angesehen. | |
Sich gegen dieses System stellen zu wollen ist besonders für junge | |
Wissenschaftler*innen am Beginn ihrer Karriere schwer. So nimmt es nicht | |
Wunder, dass eher arrivierte Professor*innen für Open Access kämpfen. Die | |
Bewegung hat durchaus Erfolge zu verbuchen. Die Zahl der Artikel in einer | |
der Open-Access-Spielarten – es wird unterschieden zwischen Gold, der | |
reinen Lehre, und Grün, einer barrierefreien Zweitpublikation – steigt. | |
2013 war fast die Hälfte der wissenschaftlichen Artikel, zumindest einige | |
Jahre nach Erstveröffentlichung, frei verfügbar. | |
Auch der politische Druck nimmt zu. Bis 2016 sollen 60 Prozent der | |
Ergebnisse, die bei EU-geförderter Forschung erzielt wurden, frei | |
zugänglich sein. Die EU-Kommission hat den Mitgliedstaaten empfohlen, bei | |
nationalen Forschungsprogrammen ähnlich vorzugehen. Dieser Ruf ist in | |
Deutschland nicht ganz ungehört geblieben: Vergangenes Jahr haben die | |
Wissenschaftsministerien in Baden-Württemberg und Schleswig Holstein | |
„Open-Access-Strategien“ veröffentlicht. Förderorganisationen wie die | |
Deutsche Forschungsgemeinschaft scheuen sich hingegen, Open Access zur | |
Bedingung zu machen, und verweisen auf die Wissenschaftsfreiheit. | |
Auch Verlage haben Open Access als neues Geschäftsmodell entdeckt. Das | |
sieht dann so aus: Die Autorin zahlt für eine Online-Veröffentlichung in | |
einer renommierten Zeitschrift, die den Artikel anschließend Open Access | |
zur Verfügung stellt. Allerdings sind diese Hybrid-Modelle umstritten, weil | |
die Bibliotheken weiter für den Zugang zur ganzen Zeitschrift zahlen. | |
In Berlin setzte Staatssekretär Steffen Krach eine Arbeitsgruppe zum Thema | |
ein. Deren Leiter Martin Grötschel, designierter Präsident der | |
Berlin-Brandenburgischen Akademie der Wissenschaften, ist exponierter | |
Aktivist der Bewegung. Sollte sich Berlin trauen, Open Access in seinen | |
Hochschulverträgen festzuschreiben, wäre eine wissenschaftliche | |
Graswurzelbewegung in der Universität angekommen. | |
5 Sep 2015 | |
## LINKS | |
[1] http://arxiv.org/ | |
## AUTOREN | |
Beate Rusch | |
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