| # taz.de -- Debatte Umgang mit Flüchtlingen: Colour matters | |
| > Die Lampedusa-Flüchtlinge vom Oranienplatz mussten viel ertragen. Kaum | |
| > jemand sah hin. Sind uns schwarze Flüchtlinge so willkommen wie weiße? | |
| Bild: Das ist jetzt weg: Protest-Camp auf dem Oranienplatz in Berlin-Kreuzberg … | |
| Mir ist der Eisregen in Erinnerung geblieben, damals auf dem Platz vor dem | |
| Brandenburger Tor. Die Hungerstreikenden durften kein Zelt aufbauen, | |
| allenfalls eine Decke mitbringen und einen Regenschirm, so saßen sie im | |
| eisigen Regen, hungernd für ein Bleiberecht. Kaum jemand sah hin. Die | |
| Flüchtlinge waren, in ihrer Mehrheit, schwarz. | |
| Ich verwende dieses Wort ungern; es gibt gewöhnlich Besseres, um Menschen | |
| zu beschreiben. Doch um Farbe geht es in diesem Kontext – nicht nur, aber | |
| auch. | |
| Vom Eisregen zum Bonbonregen. Hat sich Deutschland so schnell geändert und | |
| so sehr? [1][Die Lampedusa-Flüchtlinge vom besetzten Oranienplatz in Berlin | |
| waren], nach heutigen Maßstäben betrachtet, ein winziges Häuflein; und doch | |
| wurden sie mit großem bürokratischen Aufwand hingehalten und schikaniert. | |
| So lang ist das nicht her. Was also ist heute anders? Und was nicht? | |
| Eine „Rechtslage“, die eben noch in aller Härte exekutiert wurde, kann | |
| erstaunlich flexibel werden, sobald der politische Wille sich ändert. Das | |
| müssen wir uns merken. Denn bald schon könnten die Rechtslagen wieder wie | |
| in Stein gemeißelt daher kommen. Und die Medien: Wie flugs sie sich ändern | |
| können! Wenn Opportunismus nässen würde, stünden manche Zeitungsständer | |
| jetzt kniehoch in Wasser. | |
| ## Einwanderungsland zu linear gedacht | |
| Heikler ist es, dies zu benennen: colour matters. Ich bediene mich hier mit | |
| Absicht bei der US-Bürgerbewegung (“Black Lives matter“). In den USA hat | |
| ausgerechnet die Amtszeit von Barack Obama gezeigt, wie tief Rassismus | |
| verwurzelt ist, gegenüber den einheimischen Afro-Amerikanern wohlgemerkt. | |
| Einwanderungsland zu sein, selbst mit einer so langen Tradition wie im Fall | |
| der USA, ist also keineswegs eine Medizin gegen Rassismus. | |
| Auch dies müssen wir in den Wirren des gegenwärtigen Moments neu lernen. | |
| Die Linke hat lange zu linear gedacht: Als erfülle sich bereits eine | |
| Utopie, wenn sich Deutschland nur endlich zum Status eines | |
| Einwanderungslandes bekenne. | |
| Was sich gegenwärtig abzeichnet ist in Abwandlung eines Gauck’schen Bonmots | |
| das Nebeneinander einer hellen und einer dunklen Flüchtlingspolitik. | |
| Der Beginn einer Zwei-Klassen-Migrations-Steuerung. Gute Migranten, | |
| schlechte Migranten. Gute weiße Syrer, schlechte schwarze Afrikaner. | |
| Während sich Deutschland zu Recht entrüstet über die ungarische | |
| Zäune-Politik, baut Deutschland selbst mit an den Zäunen in Afrika. Und in | |
| der Abschottung nach Süden ist sich die Europäische Union einig. Wer aus | |
| dem subsaharischen Afrika Richtung Europa will, soll künftig den Kontinent | |
| möglichst gar nicht mehr verlassen können. Im neuen Aktionsplan für den | |
| Sahel wird die Bekämpfung von Terrorismus, organisierter Kriminalität und | |
| Migration verquickt; deutsche Entwicklungshilfe fließt heutzutage auch in | |
| Grenzsicherung. | |
| Viele Migranten durchqueren Niger, also steht dieser Staat nun im Fokus der | |
| Abwehrpolitik. Die Idee, dort ein Asylprüfzentrum hinzustellen (mit Lagern | |
| für Tausende Wartende?) stammt nicht aus Budapest. | |
| ## Großbetriebe auf Aquise in Flüchtlingscamps | |
| Soweit zum Dunklen. Nun das Helle: Mit den syrischen Flüchtlingen strömt | |
| Deutschland eine junge, gebildete Mittelschicht zu – der Traum jedes | |
| Migrationsmanagers. Schon gehen Großbetriebe zum Anwerben direkt in die | |
| Camps. Und auch dies gefällt: Die vom Krieg Gezeichneten kommen nicht mit | |
| Vorwürfen an die europäische Syrienpolitik, obwohl sie dazu allen Grund | |
| hätten; sie kommen aus der Hölle mit Dankbarkeit und Merkel-Bildern. Was | |
| spricht also dagegen, dass sie sich politisch so unauffällig integrieren | |
| wie jene 100.000 Deutsch-Syrer, die bereits vor Beginn des Konflikts hier | |
| lebten? | |
| Um nicht missverstanden zu werden: Die Willkommenskultur ist wunderbar, und | |
| jeder, der sie unterstützt, handelt großartig. Aber was in diesen Tagen | |
| geschieht, ist auch eine unbezahlbare Imagewerbung für den Standort | |
| Deutschland. Ich erinnere mich noch, wie Inder den deutschen | |
| IT-Kräfte-Mangel lindern sollten (die CDU rief „Kinder statt Inder!“). In | |
| Bangalore hielt mir der begehrte Nachwuchs der IT-Elite kühl entgegen, ins | |
| fremdenfeindliche Deutschland werde ohnehin niemand kommen, da ließe sich | |
| keine Karriere machen. | |
| Politiker fabulieren gern von einer maßgeschneiderten Einwanderung, doch | |
| tatsächlich folgt Migration eigenen, zeitgeschichtlichen Dynamiken. Über | |
| den Sommer 2015 werden die Historiker der Zukunft sagen: Merkel hat beherzt | |
| zugegriffen, als sich dem alternden Deutschland eine neue Generation | |
| qualifizierter Einwanderer bot. Und sie hätte, jeder weiß es, die Grenzen | |
| nicht für eine halbe Million Afrikaner geöffnet? | |
| ## Die Lebenslügen des Westens | |
| Den starken Staaten der reichen Welt gerät Migration zum Vorteil, zur | |
| Erneuerung. Armen Ländern hingegen wird eine massenhafte Ankunft anderer | |
| Armer aufgezwungen, sie können sie weder steuern noch zum eigenen Vorteil | |
| wenden. Wenn Deutschland sich nun verspätet bis in seine Behörden hinein | |
| als Einwanderungsland begreift, ist das erfreulich, vor allem für unser | |
| eigenes Lebensgefühl, doch es bringt uns globaler Gerechtigkeit nicht | |
| näher. | |
| Platt und brutal gesagt: Die Schokoriegel, die wir den syrischen | |
| Geflüchteten zustecken, sind so günstig, weil dafür Kinder auf den | |
| Plantagen der Elfenbeinküste schuften. Und in den Smartphones, die auf | |
| Flüchtlingsrouten lebensrettend sind, stecken Afrikas unfair gehandelte | |
| Rohstoffe. So human die Aufnahme der Syrer jetzt ist: Ob Deutschland eine | |
| Migrationspolitik auf Höhe des 21. Jahrhunderts macht, wird sich an seinem | |
| Umgang mit den afrikanischen Arbeitsmigranten zeigen. | |
| Die Abwehr gegen diese Menschen ist so stark, weil sie den reichen Norden | |
| mit seiner Lebenslüge konfrontieren: dass unser Wohlstand ausschließlich | |
| eine Frucht unserer eigenen Hände Arbeit sei. Dass wir keine Klimakiller | |
| sind und nicht vom ungerechten Welthandel profitieren. Dass wir niemanden | |
| ausbeuten, und alles im Großen und Ganzen so bleiben kann, wie es ist. Die | |
| EU ist eine Festung geblieben, auch wenn es in Deutschland nun Bonbons | |
| regnet. | |
| 21 Sep 2015 | |
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| ## AUTOREN | |
| Charlotte Wiedemann | |
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