# taz.de -- Krise durch fallenden Ölpreis: Wenn Gold nicht mehr schwarz ist | |
> Öl ist billig, der Dollar teuer: Viele Schwellenländer rutschen derzeit | |
> in eine tiefe Wirtschaftskrise. Jetzt ziehen Investoren ihr Geld ab. | |
Bild: Die Pumpe pumpt, der Ölpreis kümmert sie nicht. | |
Chiang Mai taz | Derzeit fallen die Rohstoffpreise und die Währungskurse | |
vieler Schwellenländern im Tandem. Bis vor Kurzem galten sie als | |
Wachstumsmotoren der Weltwirtschaft: Seit dem Ende der Finanzkrise Mitte | |
2009 flossen zunächst 2 Billionen Dollar in die größten 19 Schwellenländer, | |
wie die Investmentbank NN Capital Partners ausgerechnet hat. | |
Momentan dreht sich das Spiel. Die USA wollen ihre Zinsen erhöhen, der | |
Dollar steigt, was Rohstoff billiger macht, solange man in Dollar zahlt. | |
Hinzu kommt eine schwache Konjunktur in den meisten Schwellenländern, auch | |
in denen, die keine Rohstoffe exportieren. | |
Die Folgen: In den letzten 13 Monaten sind 940 Milliarden aus den 19 | |
untersuchten Schwellenländer abgeflossen, zitiert die Financial Times NN | |
Capital Partners. Die Staaten importieren immer weniger, was die | |
Rohstoffpreise drückt. Das stimuliert die Wirtschaft in Industriestaaten | |
wie Deutschland und anderen Importländern von Rohstoffen: Diese sparen | |
wegen des niedrigen Ölpreises von ca. 50 Dollar pro Barrel knapp 900 | |
Milliarden Dollar gegenüber einem Ölpreis von über 100 Dollar/Barrel, | |
schätzt der Wirtschaftsdienst Bloomberg. Dieses Geld fehlt in anderen | |
Ländern. | |
Besonders betroffen sind etwa Kuwait, die Arabischen Emirate und Norwegen. | |
Die haben allerdings gigantische Finanzreserven und können auch eine | |
längere Phase niedriger Ölpreise verkraften. Andere sind in weniger | |
komfortabler Lage. | |
## Drastischer Wertverlust des Rubels | |
In Russland haben der Ölpreisverfall und die westlichen Sanktionen eine | |
tiefe Rezession verursacht. Das russische Bruttoinlandsprodukt (BIP) war im | |
zweiten Quartal dieses Jahres um 4,6 Prozent geringer als ein Jahr zuvor. | |
Da der Rubel in den letzten zwölf Monaten 40 Prozent seines Werts eingebüßt | |
hat, liegt die Inflationsrate bei über 10 Prozent. Das russische | |
Finanzministerium erwartet für dieses Jahr ein Budgetdefizit von 3,7 | |
Prozent des BIPs. | |
Angesichts der sehr niedrigen Staatsschulden wäre das kein Problem, doch | |
wegen der Sanktionen hat Russland derzeit kaum Zugang zu den | |
internationalen Finanzmärkten. Also wird es seine beiden Reservefonds | |
angreifen müssen, deren Wert weniger als zwei Jahre hält. Der russische | |
Ökonom Sergei Gurijew warnt zudem vor dem Ausufern der Militärausgaben: Im | |
ersten Quartal dieses Jahres betrugen sie 9 Prozent des BIPs, doppelt so | |
viel wie budgetiert. | |
Irene Shvakman von McKinsey in Moskau sagt: „Dies ist bei die bei Weitem | |
schwerste Krise in Russland, sogar wenn man sie mit den Krisen der Jahre | |
1998 und 2008 vergleicht. Dabei haben wir das Schlimmste noch gar nicht | |
gesehen.“ Besonders gefährdet sei der Bankensektor. Die Sberbank, die | |
größte russische Bank, hat dieses Jahr bereits 3.600 Mitarbeiter entlassen. | |
## Saudi-Arabien macht Schulden | |
Hohe Militärausgaben sind auch ein Faktor des gewaltigen Budgetdefizits in | |
SaudiArabien von 20 Prozent des BIP – auch wenn die Wirtschaft | |
wahrscheinlich um 3,5 Prozent wächst. Die Finanzreserven des | |
Wüstenkönigreichs sind in den letzten zwölf Monaten um 8 Prozent auf noch | |
670 Milliarden Dollar gefallen. Monat für Monat werden es 12 Milliarden | |
weniger. Dazu kommt Kapitalflucht: Seit dem Arabischen Frühling fließt | |
jährlich Geld im Gegenwert von 8 Prozent des BIPs aus Saudi-Arabien ab. | |
Um die Reserven zu schonen, hat Saudi-Arabien nun beschlossen, Schulden | |
aufzunehmen. Damit wird nicht zuletzt die Armee finanziert. Die | |
Militärausgaben machen über 10 Prozent des BIPs aus und werden wegen des | |
Kriegs gegen die Huthi-Rebellen im Jemen auch nicht kurzfristig sinken. | |
Kurz vor dem Staatsbankrott steht Venezuela. Die Märkte haben eine | |
Wahrscheinlichkeit von über 60 Prozent eingepreist, dass das Land binnen | |
zwölf Monaten pleitegeht. Dieses Jahr werden Kredite von 5, nächstes Jahr | |
von 10 Milliarden Dollar fällig, dann sind die Reserven des Landes weg. Wie | |
gut oder schlecht es der Wirtschaft geht, ist in Venezuela Staatsgeheimnis. | |
Die letzten Inflationszahlen sind viele Monate alt. | |
## Bankrott in Sicht | |
Damals lag die Rate der Geldentwertung bei 68 Prozent, heute schätzen sie | |
Analysten auf über 120 Prozent. Seit 2013 publiziert Venezuela keine Zahlen | |
zum BIP mehr. Der IWF schätzt, dass die Wirtschaft dieses Jahr um 7 Prozent | |
schrumpfen wird. Um seine Devisenreserven zu schonen importiert Venezuela | |
weniger. Selbst Klopapier und Medikamente werden knapp. Für den | |
Harvard-Professor Ricardo Hausmann ist ein Bankrott kaum mehr abzuwenden: | |
„Es ist nicht so, dass die Regierung einen Staatsbankrott plant. Ich denke, | |
sie werden einfach hineinstolpern.“ | |
Auch Brasilien, derzeit Reiseziel von Bundeskanzlerin Angela Merkel, steckt | |
tief in der Krise: Nun wird der staatliche Ölkonzern Petrobras von einem | |
Korruptionsfall erschüttert, ihm droht in den USA eine Rekordstrafe von 1,6 | |
Milliarden Dollar. | |
19 Aug 2015 | |
## AUTOREN | |
Christian Mihatsch | |
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