# taz.de -- Wegbrechende Einnahmen in Norwegen: Oslos Sparschwein verhungert | |
> Der Ölpreis ist auf einem Zehnjahres-Tiefststand. Norwegens | |
> 800-Milliarden-Staatsfonds kann bald nicht mehr aufgefüllt werden. | |
Bild: Die norwegische Rentier-Wirtschaft wird die hohen Einnahmeausfälle nicht… | |
STOCKHOLM taz | Er war als Geschenk an künftige Generationen gedacht: | |
Norwegens 783 Milliarden Euro schwerer Ölfonds, Stand Ende 2014. Doch | |
womöglich wird das nationale Sparschwein wegen des niedrigen Ölpreises bald | |
geschlachtet: Am Donnerstag notierte das Nordseeöl Brent bei 46,31 Dollar | |
pro Barrel, so tief wie seit zehn Jahren nicht mehr. Norwegen brechen | |
Einnahmen weg, das BIP schrumpfte von April bis Juni um 0,1 Prozent. Zudem | |
sinkt die Produktion der heimischen Ölfelder. | |
Noch kann Norwegen weiter in den Fonds einzahlen, was bald vorbei sein | |
könnte. „Das Fest ist vorbei“, verkündete vergangene Woche Torbjørn Kjus | |
vom Finanzdienstleister DNB. Die Entwicklung könne „dramatisch“ werden, | |
urteilte Stein Lier-Hansen, Vorsitzender des norwegischen | |
Industrieverbands. Elisabeth Holvik vom Sparbankenverband sieht die Gefahr | |
einer „Gewaltbremsung“ der gesamten norwegischen Wirtschaft, Bloomberg News | |
prophezeite, dem Land drohe schlimmeres als während der globalen | |
Finanzkrise. | |
Tatsächlich liegt die Arbeitslosenquote mit 4,3 Prozent schon jetzt über | |
der von 2008. Der staatliche Ölkonzern Statoil wird bis zum kommenden Jahr | |
fast ein Viertel seines norwegischen Personals abgebaut haben. Insgesamt | |
sind binnen eines Jahres acht Prozent der rund 180.000 Ölarbeitsplätze des | |
Landes verschwunden. | |
Norwegens Wirtschaft ist in hohem Maße von der Entwicklung auf dem Ölsektor | |
abhängig. Im 2. Quartal sank die Industrieproduktion des Landes um 2,1 | |
Prozent. In den kommunalen Kassen fehlen plötzlich Millionen an | |
Steuereinnahmen und die seit Jahrzehnten stetig gestiegenen | |
Immobilienpreise sinken. | |
„Im Grunde wird die ganze Gesellschaft von der Situation in der Ölbranche | |
berührt“, sagt Christine Sagen Helgø. Sie ist Bürgermeisterin der | |
westnorwegischen Stadt Stavanger. Stavanger ist Norwegens „Ölhauptstadt“ | |
und Sitz von Statoil. Hier war der Niedergang der Branche besonders | |
deutlich zu spüren. Binnen eines Jahres stieg die Zahl der Arbeitslosen um | |
65 Prozent, so stark wie sonst nirgends im Land. | |
## Erste Anzeichen einer grünen Wende | |
Erlend Jordal von der Branchenvereinigung Norsk Olje & Gass mag das Wort | |
Krise nicht, sondern spricht lieber von „Abkühlung“. Seinen Peak Oil hatte | |
Norwegen schon 2001 erreicht, seither hat sich die Ölförderung halbiert. | |
Die alten, günstig auszubeutenden Ölfelder in der Nordsee versiegen, neue | |
Vorkommen im Nordatlantik und der Barentssee lohnen sich bei den niedrigen | |
Ölpreis nicht zu erschließen. | |
Der Ölpreis sinkt nicht nur, weil China aufgrund der Wirtschaftsflaute | |
weniger wächst und die USA mehr Öl fördern. Thina Saltvedt, | |
Ölmarktanalystin bei der Nordea-Bank, sieht auch erste Anzeichen einer | |
grünen Wende. „Alternative Antriebsmittel auch im Transportsektor wachsen. | |
Wir wussten lange, dass das kommt. Aber wir sehen jetzt, dass das sehr | |
schnell geht“, sagt sie. | |
Kürzlich hatte Sagen Helgø die VertreterInnen von 28 besonders stark von | |
der Ölindustrie abhängigen norwegischen Kommunen zu einem Krisentreffen | |
eingeladen. „Wir müssen wirtschaftlich auf anderen Beinen stehen“, fordert | |
die Bürgermeisterin von Stavanger. „Auf Erdöl können wir nicht weiter | |
setzen“, meint auch Sven Åke Bjørke, der an der Universität Agder über | |
nachhaltige Entwicklung forscht. Leider reagiere Norwegens Politik zu | |
langsam. Statt die Ölwirtschaft an die Leine zu nehmen, hinge die Politik | |
wie eine Marionette an deren Fäden. | |
21 Aug 2015 | |
## AUTOREN | |
Reinhard Wolff | |
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