# taz.de -- 70 Jahre Atombombe auf Hiroshima: Sorge um den Frieden | |
> Japans Abkehr vom Pazifismus überschattet die Gedenkfeier zum 70. | |
> Jahrestag des ersten Atombomben-Einsatzes. | |
Bild: Eine Frau in Trauer während der Gedenkzeremonie in Hiroshima. | |
Tokio taz | Um 8.15 Uhr erklingt die mächtige Friedensglocke. Die 55 000 | |
Besucher der Gedenkzeremonie mit Abgesandten von 100 Ländern, so viele wie | |
nie zuvor, beugen ihre Köpfe für eine Minute stiller Trauer. Darunter ist | |
auch die US-Botschafterin in Japan, Caroline Kennedy. Weiße Tauben steigen | |
in den Himmel. Genau zu dieser Uhrzeit vor siebzig Jahren war die erste | |
Atombombe über Hiroshima explodiert. Diesmal werden 5359 neue Namen in das | |
Opferregister eingetragen. | |
Mehr als die Hälfte der nun 297.684 Opfer ist erst ab 1946 an den Folgen | |
der radioaktiven Strahlung gestorben. Der Überlebende und Präsident der | |
Opfer-Organisationen, Mikiso Iwasa, mahnt: „Die Existenz von weltweit 15 | |
000 Atombomben bedeutet, dass jeder Mensch jederzeit ein Hibakusha werden | |
kann.“ | |
Für die schrumpfende Zahl der Hibakusha, der überlebenden Bombenopfer, ist | |
der 70. Jahrestag doppelt schmerzhaft. Nicht nur werden ihre grausamen | |
Erinnerungen an den Feuersturm der Atombombe wieder wachgerufen – die | |
Schatten der verglühten Eltern an einer Wand; die Sterbenden, denen die | |
Haut in Fetzen herunterhing; die Schreie von Opfern, die ohne Narkose | |
operiert werden mussten. | |
Zugleich erleben die Hibakusha mit Trauer und Wut, dass Japan dabei ist, | |
seinen Pazifismus der Nachkriegszeit aufzugeben und dabei die Lektionen von | |
Hiroshima und Nagasaki zu vergessen. Der Verzicht auf jede Kriegsführung in | |
Artikel 9 der neuen Verfassung war auch eine Reaktion auf die Atombomben. | |
Doch Mitte Juli hat das Unterhaus im Parlament ein Paket von | |
Sicherheitsgesetzen verabschiedet. Stimmt auch das Oberhaus zu, könnte | |
Japans Militär künftig zusammen mit verbündeten Ländern kämpfen, falls die | |
eigene Sicherheit bedroht ist. | |
Bei der Gedenkfeier in Hiroshima vermeidet Premierminister Shinzo Abe jeden | |
Bezug zu seinem Kurswechsel. Japan habe als das bisher einzige Land, das | |
einen Atomwaffenangriff erlebt habe, die Pflicht zu einem Engagement für | |
die Abschaffung von Nuklearwaffen, sagte der nationalkonservative | |
Regierungschef. Er werde im Herbst bei der UN-Generalversammlung eine neue | |
Resolution für die Abschaffung der Atomwaffen einbringen. | |
## Das „absolut Böse“ | |
Doch Hiroshimas Bürgermeister Kazumi Matsui spielt indirekt auf die | |
zahlreichen Demonstrationen der letzten Wochen gegen die Abkehr vom | |
Pazifismus an. Nuklearwaffen seien das „absolut Böse“ und die „ultimative | |
Unmenschlichkeit“, so Matsui. Jetzt sei die Zeit zum Handeln gekommen. | |
„Junge Leute haben mit verschiedenen Friedensaktivitäten begonnen“, betont | |
der Bürgermeister. „Lasst uns gemeinsam eine große Welle daraus machen.“ | |
Tatsächlich demonstrieren am Rande des Friedensparks von Hiroshima außer | |
Hör- und Sichtweite der Gedenkfeier mehrere hundert Japaner gegen die neuen | |
Gesetze und für den Abzug der US-Truppen aus Japan. Am Vortag des | |
Jahrestags hatte Verteidigungsminister Gen Nakatani nicht ausgeschlossen, | |
dass japanische Truppen als Folge der Gesetzesänderung für ausländische | |
Verbündete Atomwaffen transportieren könnten. Auf Nachfrage erklärte der | |
Minister, dies werde in der Praxis wegen der anti-nuklearen Haltung von | |
Japan aber nicht passieren. | |
## Neue Militärdoktrin | |
Seit den siebziger Jahren hält die Inselnation am „dreifachen Nein“ zur | |
Entwicklung, Lagerung und Stationierung von Atomwaffen fest. Daher fiel | |
besonders auf, dass Abe in seiner Gedenkrede abweichend vom Vorjahr dieses | |
Prinzip nicht bekräftigte. | |
Der Kommentar von Nakatani ist Wasser auf die Mühlen der | |
Pazifismus-Anhänger in Japan. Ihnen bereitet die Einführung der neuen | |
Militärdoktrin auch wegen der Beschönigung und Leugnung von japanischen | |
Kriegsverbrechen Sorge. | |
Abe will offenbar zum 70. Jahrestag des Kriegsendes am 15. August frühere | |
offizielle Entschuldigungen nicht im Wortlaut wiederholen und dadurch das | |
bisher übliche Wort „Reue“ vermeiden. Das dürfte das angespannte Verhält… | |
zu China und Südkorea weiter verschlechtern. | |
Der buddhistische Koalitionspartner von Abe, die pazifistisch orientierte | |
Partei Komeito, forderte Abe inzwischen auf, seine Rede vorab vom Kabinett | |
billigen zu lassen. „Der Premierminister soll den Weg des Friedens der | |
letzten 70 Jahre auf der Basis von tiefer Reue über den Krieg erklären“, | |
verlangte Komeito-Generalsekretär Yoshihisa Inoue. | |
6 Aug 2015 | |
## AUTOREN | |
Martin Fritz | |
## TAGS | |
Japan | |
Atomwaffen | |
Hiroshima | |
Shinzo Abe | |
Pazifismus | |
Japan | |
Protestbewegung | |
Atombombe | |
USA | |
Hiroshima | |
Atombombe | |
Atombombe | |
Atomkraftwerk | |
## ARTIKEL ZUM THEMA | |
Geschichtsrevisionismus in Japan: Hotel verstört mit alternativen Fakten | |
Die Geschichtsklitterung einer japanischen Hotelkette über das | |
Nanking-Massaker und Zwangsprostituierte empört chinesische und koreanische | |
Kunden. | |
Protest in Tokio: Zehntausende gegen Militär-Gesetze | |
Japan will sein Militär stärken und dessen Einsätze ausweiten. Gegen das | |
geplante Gesetz sind mehrere Tausend Menschen auf die Straße gegangen. | |
Abwurf der Atombombe 1945: Nagasaki gedenkt seiner Opfer | |
Die Überlebenden des Nuklear-Angriffs auf Nagasaki 1945 fordern eine Welt | |
ohne Atomwaffen. Japans Premier versichert, sein Land bleibe | |
atomwaffenfrei. | |
Historiker über drohenden Atomkrieg: „Nur mit Glück vermieden“ | |
Die Gefahr eines Atomkriegs ist keineswegs gebannt, warnt der Historiker | |
Peter Kuznick. In den USA fehlten Debatten über die Nuklearwaffen. | |
Opfer der Hiroshima-Bombe: Das Friedensboot der Überlebenden | |
Hiroe Kamada war drei Jahre alt, als die Bombe fiel, Takako Kotani sechs. | |
Heute kämpfen sie gegen die Atomkraft. | |
70 Jahre nach Atombombenabwurf: Weiter Tausende in Behandlung | |
Vor 70 Jahren warfen die USA Atombomben auf Hiroshima und Nagasaki. Noch | |
heute leiden Anwohner_innen an Folgen der Strahlung. | |
Atomwaffen weltweit: Mit Superlasern zur Minibombe | |
Die Supermächte modernisieren ihre Arsenale. 70 Jahre nach Hiroshima war es | |
noch nie so einfach und so billig, eine Atombombe zu bauen. | |
Strahlenschäden bei Atomarbeitern: Ausstieg aus der Verharmlosung | |
Die Langzeitstudie zu den Leukämieerkrankungen von Atomarbeitern zeigt: | |
Auch Niedrigstrahlung löst Krebs aus. |