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# taz.de -- Debatte Schuldenschnitt: Geld ist nur Geld
> Der IWF hat recht: Man muss die griechischen Schulden streichen.
> Deutschland und Frankreich sollten dafür zahlen, dass ihre Banken
> gerettet wurden.
Bild: Echt wahr: Mit Geld kann man viel machen
Der nächste Streit rund um Griechenland ist bereits in Sicht – und diesmal
wird es spannend. Denn der Internationale Währungsfonds (IWF) besteht
darauf, dass es zu einem „Schuldenschnitt“ kommt. Dagegen stemmen sich die
Euroländer vehement, vorneweg Finanzminister Schäuble.
Diese strategische Konstellation ist neu, denn offenen Krach zwischen den
Gläubigern gab es bisher nicht. Doch jetzt werden die Differenzen nicht
mehr verdeckt. Erst am Mittwoch hat IWF-Chefin Christine Lagarde wieder
klare Kante gezeigt: In einer Online-Pressekonferenz sagte sie, dass ein
Schuldenschnitt „unvermeidlich“ sei. Damit wählte sie ein maximales
Eskalationswort. Unvermeidlich ist unvermeidlich. Dahinter kann sie kaum
noch zurück.
Die griechischen Staatsschulden belaufen sich momentan nominal auf etwa 322
Milliarden Euro. Dies entspricht etwa 180 Prozent der jährlichen
Wirtschaftsleistung. So viel ist klar. Nicht ganz so klar ist, was genau
ein „Schuldenschnitt“ sein könnte. Vor allem zwei Fragen stellen sich: Wie
organisiert man ihn? Und wer zahlt am Ende?
Ein eleganter Schuldenschnitt wäre, einfach die Laufzeiten der griechischen
Kredite zu verlängern, die Zinsen zu senken – und am Anfang tilgungsfreie
Zeiten vorzusehen. Einziges Problem: Diesen Trick hat man schon angewandt,
sodass kaum noch Manövriermasse bleibt. Der IWF hat es jüngst vorgerechnet:
Momentan zahlt Griechenland im Durchschnitt nur noch 2,3 Prozent Zinsen auf
seine Schulden – und ist trotzdem pleite.
Oder andersherum betrachtet: Selbst wenn man die Kredite noch weiter
streckt und die Zinsen noch weiter senkt, könnte Griechenland seine
Schulden nur bedienen, wenn seine Wirtschaft jährlich um mindestens 1
Prozent wächst. 1 Prozent mag zunächst harmlos klingen. Nach kleinem
Fliegenschiss.
Tatsächlich ist aber ein Wachstum von 1 Prozent nicht selbstverständlich.
Selbst die USA kamen von 1997 bis 2014 nur auf ein durchschnittliches
Wachstum von 1 Prozent pro Kopf – und Griechenland ist längst nicht so
leistungsfähig.
Zudem gibt es noch eine weitere Hürde, wie der IWF herausstreicht: Um den
Kreditberg stabil zu halten, müsste Griechenland einen jährlichen
Primärüberschuss von mindestens 3 Prozent der Wirtschaftsleistung
erreichen. Dieses Ziel ist jedoch völlig illusorisch und grenzt an
Wahnsinn.
Primärüberschuss meint das Plus im Staatshaushalt, wenn man die
Zinszahlungen abzieht. Selbst das reiche Deutschland mit Schäubles
„schwarzer Null“ kommt derzeit auf einen Primärüberschuss von nur 0,88
Prozent der Wirtschaftsleistung. Wie sollen die Griechen dann 3 Prozent
schaffen?
## Lieblingswort „unausweichlich“
Es funktioniert nicht. Diese Drei-Wort-Erkenntnis hat sich beim IWF jetzt
durchgesetzt – und wird konsequent zu Ende gedacht. Wenn es bei allen
denkbaren Szenarien völlig unrealistisch ist, dass Griechenland seine
Kredite bedient, dann bleibt nur eine Option: Ein Teil der Schulden muss
gestrichen werden und aus den Büchern verschwinden. Das ist leider
„unausweichlich“, wie Lagarde es nennt.
Dieser Plan behagt den europäischen Politikern jedoch gar nicht, weil sie
dann ihren Wählern erklären müssten, wer jetzt dafür zahlt, dass die
Griechen nicht zahlen können. Man müsste wieder ins Frühjahr 2010
zurückkehren – und über jene Fehler sprechen, die damals gemacht wurden.
Man erinnert sich: Schlagartig wurde vor fünf Jahren klar, dass
Griechenland bankrott war. Dies war eine ganz schlechte Nachricht – für die
Banken, die der griechischen Regierung insgesamt mehr als 300 Milliarden
Euro geliehen hatten. Etwa 100 Milliarden stammten von einheimischen
Instituten; der Rest kam aus dem Ausland, vor allem aus Frankreich und
Deutschland.
Schon damals stellte sich die Frage: Und wer kommt für den Schaden auf?
Gerecht wäre es gewesen, wenn die Banken hätten bluten müssen. Schließlich
waren sie doof genug, den Griechen ständig neue Kredite zu gewähren. Aber
leider ist Gerechtigkeit manchmal zu teuer, um sinnvoll zu sein.
So war es auch in der Eurokrise: Wenn Griechenland – und kurz darauf
Portugal und Irland – einen ungeordneten Bankrott hingelegt und die Banken
mitgerissen hätten, wäre höchstwahrscheinlich eine neue Finanzkrise
ausgebrochen. Lehman Brothers lassen grüßen. Eine einzige kleine
Investmentbank hatte 2008 gereicht, um weltweites Unheil anzurichten.
## Das Jahr 2015 ist wie 2010
In Griechenland sprang daher die Eurozone mit ihren Rettungsschirmen ein –
und klammerte sich an die Fiktion, dass das Land seine Schulden schon
bedienen würde, wenn es nur hart genug spare. Fünf Jahre später weiß man,
dass die griechischen Staatsausgaben zwar um 30 Prozent gesunken sind, die
Wirtschaft aber genauso stark eingebrochen ist. Ergebnis: Griechenland ist
immer noch bankrott, aber viel ärmer.
2015 ist man wieder dort angekommen, wo man 2010 auch schon war: Der
Eurozone wird nichts anderes übrig bleiben, als die griechischen Schulden
zu streichen. Da hat der IWF völlig recht. So skandalös ist dies übrigens
nicht. Letztlich läuft es darauf hinaus, dass Deutschland und Frankreich
dafür zahlen, dass ihre Banken gerettet wurden.
Eigentlich wäre es einfach, die griechischen Schulden zu streichen. Denn
Geld ist nur Geld. Echter Reichtum ist nicht, was als Zahl auf einem Konto
steht – sondern es sind die Güter und Dienstleistungen, die real
hergestellt werden. Europa hat sich jedoch in eine Situation gebracht, in
der die Wirtschaftsleistung abgewürgt wird, weil permanent gespart wird, um
alte Schulden zu bedienen. Zukunft wird geopfert, weil man die
Vergangenheit absolut setzt.
Ausgerechnet Deutschland wollte unbedingt, dass der IWF an den
Rettungsprogrammen der Eurozone beteiligt wird. Angela Merkel und Wolfgang
Schäuble trauten den IWF-Technokraten mehr als den anderen Eurostaaten. Nun
sollten sie auch konsequent sein: und brav auf den IWF hören.
1 Aug 2015
## AUTOREN
Ulrike Herrmann
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