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# taz.de -- Kolumne Dumme weiße Männer: Die späte Einsicht des Währungsfonds
> Nach Jahrzehnten stellen die weißen Männer des IWF den Neoliberalismus in
> Frage. Ein schwacher Trost für die Millionen, die er in die Armut trieb.
Bild: Hau ab, IWF: Die Griechen halten nicht viel vom Währungsfonds
Es gibt dieses Gefühl der Erleichterung, wenn am Ende auch der letzte Depp
verstanden hat, was allen anderen offensichtlich schien. Kurz freut man
sich mit ihm, statt sich über seine Begriffsstutzigkeit zu ärgern. Man ist
erleichtert, statt der verplemperten Zeit nachzutrauern. Und wenn der
letzte Depp dann auch noch einer war, der viel Einfluss hatte, hält die
Erleichterung vielleicht ein wenig länger an.
Stellt Euch vor, der Internationale Währungsfonds (IWF) stellt nach
Jahrzehnten seine neoliberale Leitpolitik in Frage.
In [1][einem Paper stellen drei prominente Ökonomen] die für den IWF fast
schon ketzerische Frage: Wurde der Neoliberalismus überverkauft? “Statt
Wachstum zu erzeugen, hat manche neoliberale Politik mehr Ungleichheit
produziert“, schreiben die Männer. Schon die Formulierung ist revolutionär,
wurde „Neoliberalismus“ als Begriff doch bisher nur von Gegner*innen, nie
aber von Befürworter*innen dieser Agenda von verringerten
Kapitalkontrollen, weitreichendenen Privatisierungen und
Wohlfahrtsstaatsabbau genutzt. Und der mächtigste Durchsetzer dieser Agenda
war der IWF.
Die Autoren argumentieren, dass nicht eindeutig sei, dass neoliberale
Reformen Staaten tatsächlich zu mehr Wachstum verhelfen. Hingegen seien die
Kosten der erhöhten Ungleichheit sehr deutlich. Und diese würden wiederum
zu weniger Wachstum führen. Auch hier bleibt festzuhalten: Ökonomen des IWF
– des IWF! – schreiben, Neoliberalismus führe nicht zu mehr Wachstum. Sie
schreiben, Neoliberalismus führt zu mehr Ungleichheit. Und sie schreiben,
mehr Ungleichheit sei schädlich. Der Herr hat offensichtlich auf eine der
sandigsten Wüsten der Welt Hirn regnen lassen.
Diese Wüste der Hirnlosigkeit war und ist dabei eine durch und durch weiße,
männliche Angelegenheit, gegründet 1945, in [2][der Endzeit des
Kolonialismus]. Bis Christine Lagarde 2011 Direktorin wurde, hatte der IWF
[3][ausschließlich weiße, männliche Leiter] – darunter der ehemalige
deutsche Bundespräsident Horst Köhler. Und auch heute sind bis auf eine
Handvoll Ausnahmen [4][alle Abteilungsleiter weiße Männer] und im
Exekutivdirektorium sind [5][zwölf von 24 Direktoren weiße Männer].
Die akademischen Vokabeln des neuen Artikels verschleiern allerdings noch
immer, was die Interventionen des IWF für die meisten Länder in Südamerika,
Afrika, Asien und Osteuropa bedeuteten: Nämlich die Verarmung weiter Teile
der Bevölkerung, ihre Disziplinierung und Tötung durch Terrorregimes, mit
denen der Fonds zusammenarbeitete, Millionen Tote durch Armut und
Verzweiflung und die Bereicherung von wenigen, insbesondere westlichen,
Konzernen.
Und bevor wir es vergessen: Auch westeuropäische und nordamerikanische Arme
haben unter neoliberaler Politik gelitten, in Großbritannien bekannterweise
unter Margaret Thatcher, in Deutschland ausgerechnet unter Rot-Grün.
Neuerdings wurden so in Griechenland Banken gerettet, die schlechte
Investmententscheidungen getroffen hatten – dafür müssen die Bürger*innen
mit dem Verkauf von Staatseigentum und dem Abbau von Wohlfahrt bezahlen.
## Die Reichen wurden reicher, die Armen starben
In ihrem [6][Buch “Die Schock-Strategie“] zählt die Journalistin Naomi
Klein diese Auswirkungen auf: Nach der IWF-Intervention in Chile in den
1980er Jahren fiel fast die Hälfte der Bevölkerung unter die Armutsgrenze,
während die Einkommen der reichsten 10 Prozent um 83 Prozent stiegen. Das
Pinochet-Regime folterte und tötete Zehntausende. In Polen fielen dank der
IWF-Intervention in den 1990ern bis zu 60 Prozent der Menschen unter die
Armutsgrenze, obwohl die Wirtschaft nominell wuchs. In Russland stieg die
Zahl der Menschen unter der Armutsgrenze von wenigen Prozent auf fast 50
Prozent, zugleich stiegen Alkoholismus, Drogenkonsum, Suizide und Morde –
Klein geht davon aus, dass mehrere Millionen Menschen einen “ökonomischen
Genozid“ zum Opfer fielen.
Das alles ist nicht neu. Bereits 1988 trat der IWF-Ökonom Davison Buddhoo
mit [7][einem gepfefferten Abschiedsbrief] von seinem Posten zurück. “Für
mich ist der Rücktritt eine unbezahlbare Befreiung, da ich mit ihm einen
ersten Schritt zu diesem Ort gemacht habe, an dem ich von meinen Händen das
abwaschen kann, was für mein geistiges Auge das Blut von Millionen armen
und hungernden Menschen ist […] Es ist so viel Blut, dass es in Flüssen
fließt.“
Was bringt also nun die Erkenntnis innerhalb des IWF? Vermutlich nicht
viel, auch wenn man [8][mit dem Guardian] auf ein Absterben des
Neoliberalismus von innen hoffen kann. Einer der Autoren des Papiers sagt,
die Position stelle nicht die “Kultur des Mainstreams“ im IWF dar – vor
fünf Jahren wäre nicht mal die Veröffentlichung eines solchen Papers
denkbar gewesen. “Kulturen bewegen sich langsam“, sagte er [9][der
Financial Times].
Und selbst wenn. “All die Milliardäre, die der IWF produziert hat, müssen
jetzt ihr Geld zurückgeben, oder?“ [10][fragte Naomi Klein] nach Erscheinen
des Papiers. Schön wär’s.
27 Jul 2016
## LINKS
[1] http://www.imf.org/external/pubs/ft/fandd/2016/06/ostry.htm
[2] /Kolumne-Dumme-weisse-Maenner/!5278778/
[3] http://www.imf.org/external/np/exr/chron/mds.asp
[4] http://www.imf.org/external/about/staff.htm
[5] http://www.imf.org/external/np/sec/memdir/eds.aspx
[6] /!5195292/
[7] http://www.naomiklein.org/files/resources/pdfs/budhoo.pdf
[8] http://www.theguardian.com/commentisfree/2016/may/31/witnessing-death-neoli…
[9] http://next.ft.com/content/4b98c052-238a-11e6-9d4d-c11776a5124d
[10] http://twitter.com/NaomiAKlein/status/735965241872261120
## AUTOREN
Lalon Sander
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